TV-Tipp: "Die Entdeckung der Currywurst" (ARD)

TV-Tipp: "Die Entdeckung der Currywurst" (ARD)
Eine ungewöhnliche und heftige Liebe, die den Krieg ignoriert, auch wenn er sie ständig bedroht. Die größte Bedrohung aber wird der Frieden. Lena verschweigt Bremer die Kapitulation.
08.12.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Die Entdeckung der Currywurst", 8. Dezember, 20.15 Uhr im Ersten

Die sandigen, extrem reduzierten Farben sollen eine gewisse Zeitlosigkeit reduzieren, aber das Signal ist klar: So sehen im deutschen Film die Jahre zwischen 1933 und 1945 aus. Im Vergleich zu anderen Werken über diese Epoche setzen Regisseurin Ulla Wagner und vor allem ihr holländischer Kameramann Theo Bierkens die Ereignisse jedoch in ein eher warmes Licht; schließlich erzählen sie eine Liebesgeschichte. Abgesehen von notwendigen Verdichtungen hält sich Wagners Drehbuch eng an die gleichnamige Novelle von Uwe Timm (Kiepenheuer & Witsch).

Gegen Kriegsende begegnet die Hamburgerin Lena (Barbara Sukowa) dem jungen Marinesoldaten Hermann (Alexander Khuon); sie nimmt ihn mit nach Hause. Unmerklich beginnt sich Hermanns Rolle zu ändern: Erinnerte er Lena zunächst an ihren Sohn, der im Ruhrgebiet als Flakhelfer dient, fühlt sich das Paar mehr und mehr zueinander hingezogen. Sie entwerfen einen riskanten Plan: Lena wird Hermann bei sich verstecken. Fortan führt der junge Mann tagsüber ein Leben in Lauerstellung, muss er doch ständig mit unangemeldeten Besuchen des Blockwarts (Branko Samarovski) rechnen.

Die Handlung trägt sich größtenteils in der Wohnung zu, weshalb sich die gut hundert Minuten Filmlänge zwischendurch etwas ziehen. Mindestens so reizvoll wie die vielen erotischen Szenen, die Barbara Sukowa, immerhin eine Frau von Ende fünfzig, sehr mutig spielt, ist jedoch die philosophische Ebene: Ohne Zeitung und Radio reduziert sich die Außenwelt für Hermann ähnlich wie in Platons Höhlengleichnis auf das Stück Straße, das er vom Fenster aus sieht. Was er nicht ahnt: Während er in kindlichen Planspielen den Krieg gewinnt, hat sich Hitler längst aus dem Staub gemacht. Lena, die in Hermanns Brieftasche ein Foto von Frau und Kind gefunden hat, verschweigt ihm aus Angst um ihr stilles Glück die Kapitulation und setzt das Versteckspiel einfach fort.

Die titelgebende Currywurst wird übrigens erst später in der Rahmenhandlung erfunden. Nach Kriegsende hat Lena Geschmack am Leben auf eigenen Füßen gefunden, setzt den Gatten (Götz Schubert) kurzerhand vor die Tür und macht eine Imbissbude auf. Weil Hermann immer vom Curry geschwärmt hat, ersteht sie bei einem Schwarzmarktgeschäft neben Würsten und Tomatensauce auch die Gewürzmischung und entdeckt durch Zufall, dass die Kombination Süß plus Scharf mindestens so reizvoll ist wie Jung plus Alt.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).