Streit in Odenwaldschule über Missbrauchs-Entschädigung

Streit in Odenwaldschule über Missbrauchs-Entschädigung
Die Odenwaldschule kommt nicht aus der Krise. Die Führung der durch zahlreiche Missbrauchsfälle in Misskredit geratenen Schule ist zurückgetreten. Die Schule kündigte eine Stiftung zur Unterstützung der Opfer an - nannte jedoch keine konkrete Summe.
29.11.2010
Von Joachim Baier

Die renommierte Odenwaldschule kann sich bei der Entschädigung ihrer inzwischen 125 Opfer sexuellen Missbrauchs bisher nicht zu einer klaren Linie durchringen. Weil es in der Frage heftigen Streit gibt, stürzte das Elite-Internat im südhessischen Heppenheim am Sonntag in ein Führungschaos. Nur ein halbes Jahr nach ihrer Wahl legten die für einen rigorosen Neuanfang stehenden Vorstands-Spitzen Johannes von Dohnanyi und Michael Frenzel bei einer Sitzung überraschend ihre Ämter nieder.

"Es ist nicht mehr um Sachfragen gegangen, sondern um Polemik und Streit", sagte von Dohnanyi zur Begründung. Die Schule kündigte zwar am Abend noch eine Stiftung zur Unterstützung der Opfer an, nannte dafür aber keinerlei finanziellen Rahmen. "Über Geld wurde noch nicht gesprochen", sagte Sprecherin Gertrud Ohling-von Haken. Die Stiftung solle "in den nächsten Wochen" erst noch gegründet werden.

In der Mitteilung heißt es, dass keine Mittel aus dem laufenden Haushalt der Reformschule in die Stiftung fließen sollen. Heutige Schüler dürften nicht unter einer Kürzung des Schuletats leiden und für Fehler der Vergangenheit aufkommen müssen. Das Geld soll vielmehr gesammelt werden. Ansprechpartner für Entschädigungen sei der Verein "Glasbrechen", in dem sich Opfer zusammengeschlossen haben.

Verweigern von Entschädigungen ist "Zynismus pur"

Frenzel als Vorsitzender des Vorstandes und von Dohnanyi als dessen Sprecher hatten sich hingegen für eine zügige Anerkennung des Leids eingesetzt und einen finanziellen Rahmen genannt. Für sie war dies eine unbedingte Voraussetzung für einen Neuanfang. Noch für dieses Jahr war ein sechsstelliger Betrag angekündigt worden. Die Missbrauchsfälle liegen schon Jahrzehnte zurück und gelten als verjährt. Im Zentrum des Skandals stand der inzwischen gestorbene ehemalige Schulleiter Gerold Becker.

Von Dohnanyi und Frenzel hätten ihren Rückzug gleich zu Beginn verkündet und das Treffen schon nach knapp einer Stunde wieder verlassen. Opfer-Anwalt Thorsten Kahl nannte nach den Rücktritten das Verweigern von Entschädigungen "Zynismus pur".

Von Dohnanyi sagte weiter, in der Schulleitung und auch in Teilen des Trägervereins habe sich in den vergangenen Wochen Widerstand gegen eine schnelle finanzielle Lösung formiert. Begründet worden sei dies mit der angespannten Finanzlage der Reformschule. "Der Rücktritt war das letzte Geschenk von mir an die Odenwaldschule", sagte von Dohnanyi. "Nun muss die Leitung Farbe bekennen, was sie wirklich will." Komme keine Einigung zustande, werde auch der restliche Vorstand mit seinen fünf Mitgliedern auseinanderbrechen.

"Der Odenwaldschule geht es um das eigene Überleben"

Die Zahl der Missbrauchsopfer hat sich inzwischen auf 125 deutlich erhöht. Bisher war von über 50 Betroffenen in den Jahren von 1966 bis 1991 ausgegangen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen etwa ein Dutzend damalige Lehrer, stellte die Verfahren aber meist wegen Verjährung ein.

Der alte Vorstand war Ende März nach dem erneuten Bekanntwerden des Skandals kurz vor dem 100-jährigen Bestehen der Schule unter Druck geraten und zurückgetreten. Ihm wurde vorgeworfen, vieles vertuscht zu haben. Ende Mai war dann der neue Vorstand gewählt worden.

Als Reaktion auf den Doppel-Rücktritt habe auch der Frankfurter Rechtsanwalt und ehemalige Schüler Jens Jörg Hoffmann sein Angebot zurückgezogen, der Odenwaldschule als Ombudsmann zur Verfügung zu stehen, teilte von Dohnanyi mit. Hoffmann berät und unterstützt bereits eine Reihe von Missbrauchsopfern. Opfer-Anwalt Kahl meinte, der Odenwaldschule gehe es weniger um die Opfer als um das eigene Überleben. Das Internat habe aber die Verpflichtung, seinen Opfern zu helfen. "Ohne die Schule hätte diese geballte Zerstörung junger Menschen nicht stattfinden können", erklärte Kahl.

dpa