Weltklimagipfel: Die Stunde der Realisten

Weltklimagipfel: Die Stunde der Realisten
Unter Klimadiplomaten herrscht nüchterner Realismus: Kleine Fortschritte statt großer Durchbrüche erhoffen sie sich vom Weltklimagipfel, der am Montag im mexikanischen Cancún beginnt. Vor allem die USA und China gelten als Blockierer auf dem Weg zu einem verbindlichen Abkommen im Kampf gegen die weltweite Erderwärmung.
26.11.2010
Von Stefan Fuhr

Die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen vor einem Jahr war noch zum schicksalhaften Moment der Menschheitsgeschichte erklärt worden. Bittere Enttäuschung nach dem Scheitern war die Folge. Beim Nachfolgetreffen vom 29. November bis 10. Dezember in Mexiko ist die Fallhöhe geringer. "In Cancún werden wohl nur kleine Brötchen gebacken", sagt Thomas Hirsch, Klimaexperte von "Brot für die Welt".

Im Ringen um ein neues internationales Klimaabkommen bleibt die Ausgangslage unverändert. 2012 läuft das Kyoto-Protokoll aus, das CO2-Minderungsziele für die Industriestaaten festschreibt. Ein Nachfolgevertrag soll möglichst auch Verpflichtungen für die USA, die dem Protokoll nicht beigetreten sind, und erstmals auch für große Schwellenländer wie China enthalten.

Verhärtete Fronten

Doch zwischen den beiden größten Klimasündern sind die Fronten weiter verhärtet: Washington und Peking blockieren den Verhandlungsverlauf mit wechselseitigen Forderungen. In den Vereinigten Staaten haben sich bei den Kongress-Wahlen zudem die Machtverhältnisse zugunsten der Republikaner verschoben - das erschwert Zugeständnisse der US-Regierung beim Klimaschutz erheblich.

Die gegensätzlichen Interessen der großen Akteure führten in Kopenhagen zu einem Minimalkompromiss, dem "Copenhagen Accord". Das nichtbindende Abschlusspapier enthält immerhin das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Zudem haben die meisten Staaten inzwischen freiwillige Zusagen zur CO2-Reduzierung nachgereicht. Die Übereinkunft von Kopenhagen wurde auf dem Gipfel indes nicht einstimmig verabschiedet, sondern nur "zur Kenntnis"
genommen - mehrere Entwicklungsländer lehnten sie ab.

Unzufriedenheit mit EU

Als Lehre aus der Enttäuschung von Kopenhagen empfiehlt Klimaexperte Christoph Bals von Germanwatch, sich von der "Theorie des Big Bangs" zu verabschieden - also der Erwartung, dass sich bei einem Gipfel gleichsam über Nacht eine Verhandlungslösung finden wird. Die Fachleute vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen setzen darauf, dass Koalitionen einzelner Vorreiterländer den Kampf gegen die Erderwärmung voranbringen. Eine solche Dynamik könne auch den UN-Verhandlungen neuen Schwung bringen.

Unzufrieden sind Klimaschützer deshalb mit der Haltung der EU, die sich gerne als Speerspitze im Kampf gegen die Erderwärmung sieht: Die Europäer konnten sich bislang nicht darauf einigen, ihr Ziel zur Reduktion von Kohlendioxid bis 2020 ohne Vorbedingungen von 20 auf 30 Prozent zu erhöhen. Nach den Worten des "Brot für die Welt"-Experten Hirsch wäre dieser Schritt ein wichtiges Signal gewesen und hätte eine "vertrauenschaffende Basis" gelegt.

Als realistisch gelten beim Klimagipfel in Cancún zum Beispiel Fortschritte beim Waldschutz und beim Transfer umweltfreundlicher Technologien in arme Staaten. Germanwatch-Experte Bals hält es auch für möglich, dass die Staaten ihre im "Copenhagen Accord" festgehaltenen Zusagen bekräftigen werden - diesmal einstimmig. Damit würde das Abschlussdokument von Mexiko zumindest ein gewisses Maß an völkerrechtlicher Verbindlichkeit erreichen. Über ein vollständiges internationales Abkommen, dessen rechtlicher Rahmen noch zu klären wäre, könnte dann bei der nächsten Klimakonferenz 2011 in Südafrika verhandelt werden.

Finanzhilfen für arme Staaten

Im Mittelpunkt der Konferenz von Cancún stehen auch wieder Finanzhilfen für arme Staaten. Zur Anpassung an die Erderwärmung und Klimaschutzmaßnahmen hatten die Industriestaaten in Kopenhagen kurzfristig 30 Milliarden Dollar bis 2012 zugesagt. Bis 2020 soll die Unterstützung auf jährlich 100 Milliarden Dollar steigen. Jetzt wird es unter anderem darum gehen, auf welchem Weg und mit Hilfe welcher Finanzinstrumente die langfristigen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Streit zwischen armen und reichen Staaten wird es möglicherweise um die Anschubfinanzierung von 30 Milliarden Dollar geben. Grund: Die Industriestaaten rechnen sich bereits vor Kopenhagen zugesagte Mittel
- etwa für Waldschutz - auch als Klimahilfen an. Die Bundesregierung zum Beispiel stellt in diesem Jahr 420 Millionen Euro bereit: Doch nur 70 Millionen Euro sind neue Mittel. Im Haushaltsentwurf für 2011 sind bislang überhaupt keine zusätzlichen Gelder vorgesehen.

epd