Friede ihrer Seele: Auch Patchwork-Familien haben Gefühle

Friede ihrer Seele: Auch Patchwork-Familien haben Gefühle
Kinder in Patchwork-Familien verlieren ihr Urvertrauen. Das glaubt zumindest der Leitartikler der Ausgabe der Rheinischen Post vom Wochenende. Wenn da mal nicht auf den Falschen rumgehackt wird.
01.11.2010
Von Ursula Ott

Beim Zeitunglesen am Wochenende habe ich mich doch sehr gewundert. Die Rheinische Post, die im katholischen Düsseldorf erscheint, hatte in ihrem Leitartikel eine Umfrage aus „chrismon“ zitiert. Das freut uns. Die Düsseldorfer Kollegen zitieren uns auch korrekt: Das Umfrage-Institut Emnid hat 1004 Deutsche befragt, wer in ihren Augen als „Familie“ gilt. Und siehe da: Für die ganz große Mehrheit der Deutschen – nämlich 89 Prozent – kann man immer dann von Familie sprechen, wenn Menschen sich dauerhaft und verlässlich umeinander kümmern. Auch wenn es sich um Alleinerziehende handelt oder um Patchworkfamilien. Die Deutschen sind zweifellos moderner geworden.

So weit, so schön, liebe Düsseldorfer Kollegen. Aber es bedarf schon besonderen journalistischen Übermutes, ausgerechnet diese Zahlen als Beleg dafür zu nehmen, dass dies einen großen „Verlust an Kultur“ darstellt für unser Land. Wörtliches Zitat: „Fast alle finden, Familie ist da, wo Menschen sich umeinander kümmern. Das klingt fröhlich, schön, unkompliziert, geht aber darüber hinweg, dass Patchwork-Familien oft Kinder umfassen, die aufgrund gescheiterter Ehen das Urvertrauen in familiäre Geborgenheit verloren haben.“

Lästige Volksbefragungen

Dazu gibt es dreierlei zu sagen. Erstens: „Kümmern“ hat gar nichts zu tun mit fröhlich und unkompliziert. Ja, es kann fröhlich und ausgelassen sein, wenn Alleinerziehende mit ihren Kindern zur Karneval- oder Halloween-Party gehen. Meistens ist es eher anstrengend – wie in anderen Familien auch. Auf jeden Fall verdient es denselben Respekt. Offenbar sitzt in manchen Zeitungsredaktionen noch eine Opa-Generation, die glaubt: Alleinerziehende oder Paare ohne Trauschein, das seien ganz charakterlose Gesellen. Fröhliche Selbstverwirklicher. Ausgelassene Partyhengste, die aus Versehen ein Kind gekriegt haben. Gähn. Wer heute Kinder bekommt, übernimmt eine riesige Verantwortung. Ob in oder außerhalb der Ehe. "Unkompliziert" ist in diesen Zeiten gar nichts. Hat aber auch gar keiner behauptet.

Zweitens: Was sollen die Deutschen eigentlich in Umfragen noch sagen? Hätten sie geantwortet: Eine Familie, das sind nur die Verheirateten mit Kind – dann hätte der Leitartikler seine Moralkeule schwingen können. Jetzt sind die Deutschen aber offenbar in der Realität angekommen. Entweder sie müssen selber den Verlust eines Partners verkraften, sei es durch Tod oder Scheidung. Oder sie gehören der Großelterngeneration an, die vieles auffängt, was die Jungen an Lebensproblemen anhäuft, Scheidung, Einsamkeit, Jobverlust. Und sie wissen: all das ist Familie.

Ist jetzt blöd für einen Leitartikler, der unbedingt das Ende der Familie beschreien will. Schon lästig, diese Volksbefragungen. In Anklang an Brecht: Wäre es da nicht einfacher, die Journalisten lösten das Volk auf und wählten ein anderes? Drittens: Ja, das ist richtig ungerecht, immer auf die Alleinerziehenden und die Patchwork-Familien einzudreschen, auch wenn es der Anlass gar nicht hergibt. Aber wollen wir mal gnädig sein. In Düsseldorf ist heute Allerheiligen, der Mensch geht auf den Friedhof. Und trauert vielleicht auch um alte Familienbilder. Friede ihrer Seele. Aber ab morgen wird wieder gelebt, und zwar im Hier und Jetzt


Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern. Ihre Homepage ist hier zu finden.