Kommission: Deutsche Diplomaten am Holocaust beteiligt

Kommission: Deutsche Diplomaten am Holocaust beteiligt
Das Auswärtige Amt hat nach Recherchen einer Historikerkommission maßgeblich an der Ermordung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs mitgewirkt. Dies berichten übereinstimmend "Der Spiegel" (Samstag) und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". "Das Auswärtige Amt war eine verbrecherische Organisation", sagte Kommissionsleiter Eckart Conze dem Nachrichtenmagazin. Es habe "die nationalsozialistische Gewaltpolitik zu jeder Zeit mitgetragen".

Anders als über Jahrzehnte verbreitet, habe sich das Amt nicht vom NS-Apparat abgegrenzt, sondern diesem auch bei der Judenvernichtung zugearbeitet. Conze sagte der "FAS": "Das Auswärtige Amt war an allen Maßnahmen der Verfolgung, Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung der Juden von Anfang an aktiv beteiligt." Zudem habe das Amt nach 1945 großen Aufwand betrieben, das zu vertuschen. In der kommenden Woche soll der Abschlussbericht in Berlin vorgestellt werden.

Kommission arbeitete im Auftrag des Auswärtigen Amts

Die Kommission war 2005 vom damaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) gegründet worden. Nach einem Streit über die Nachrufpraxis im eigenen Haus bekam sie den Auftrag, die Geschichte des Ministeriums im Nationalsozialismus und seinen Umgang mit der NS- Vergangenheit in der Bundesrepublik zu erforschen.

Fischer äußerte sich erschüttert über das Ausmaß der Verstrickung des Auswärtigen Amts in den Holocaust. "Ich las den Bericht und war zunehmend immer mehr entsetzt", sagte er der "FAS". Besonders empörte sich der ehemalige Außenminister über die Rolle der "zentralen Rechtsschutzstelle" des Ministeriums. Diese sei "einer der größten Skandale" gewesen. Es scheine sich "um eine Täterschutzstelle gehandelt zu haben". So seien Listen von im Ausland gesuchten Kriegsverbrechern angefertigt und verteilt worden, damit keiner von ihnen dorthin fahre, wo ihm Verhaftung oder Verurteilung gedroht hätten.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hält die Studie für ein "gewichtiges Werk" und einen bedeutenden "Beitrag zur Selbstvergewisserung" des Amts. Sein Vorgänger, der heutige SPD- Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, nannte es "unglaublich", dass bis zur systematischen Aufarbeitung fast 60 Jahre vergangen seien.

Ernst von Weizsäcker wollte Thomas Mann ausweisen

Laut "FAS" vermerkt der Kommissionsbericht auch, dass der Vater von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker sich im Mai 1936 für die Ausbürgerung von Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann ausgesprochen habe. Es bestünden gegen die Ausbürgerung keine Bedenken mehr, nachdem der Schriftsteller feindselige Propaganda gegen das Reich im Ausland betrieben habe, heiße es in einem Brief des früheren Diplomaten und Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker. Diese Stellungnahme habe den Ausschlag gegeben, dass Mann seine deutsche Staatsangehörigkeit verlor.

Richard von Weizsäcker erklärte der Zeitung: "Mein Vater wollte bei allen Veränderungen der europäischen Situation unbedingt den Frieden bewahren." Deswegen sei sein Vater auch keine paradigmatische Figur, an der sich die Verstrickung des Auswärtigen Amts in den Holocaust exemplarisch belegen lasse.

Ernst von Weizsäcker wurde im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess 1948/49 zunächst zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Schuldspruch wurde später in einem Berichtigungsbeschluss auf fünf Jahre herabgesetzt. 1950 wurde er vorzeitig entlassen.

dpa