Gesetz mit Fragezeichen: Embryonenschutz wird 20

Gesetz mit Fragezeichen: Embryonenschutz wird 20
Das Embryonenschutzgesetz wurde vor 20 Jahren verabschiedet, um den Mensch vor den Auswüchsen der Fortpflanzungsmedizin zu bewahren. Doch der Fortschritt hat das Gesetz überrannt: Neue Techniken dürfen angewandt werden, weil sie nicht in den Paragrafen stehen. Die Koalition ist beim Thema Gentests an Embryonen zerstritten. Ein Ausweg könnte die Aufhebung des Koalitionszwangs im Bundestag sein.
22.10.2010
Von Simone Andrea Mayer

Es geht schlichtweg um die Frage, welches Leben lebenswert ist. Der eine will sich den sehnlichen Wunsch nach einem Kind erfüllen, der andere will das menschliche Leben vor biotechnischer Forschung und deren Missbrauch geschützt wissen. Vor 20 Jahren wurde das Embryonenschutzgesetz im Bundestag verabschiedet, heute ist es das älteste unveränderte Bioethik-Gesetz der Welt. Medizinischer Fortschritt und ein Gerichtsurteil haben das Gesetz nun aber reformbedürftig gemacht. Die Diskussion reicht von einer Lockerung in Teilbereichen bis hin zu weitreichenden Verboten.

"Das Gesetz war in seiner Zeit, vor 20 Jahren, ein durchaus verantwortungsvolles und visionäres Gesetz", sagt Professor Christian Thaler von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Es stellte skurrile Forschung und gefährliche Fortpflanzungspraktiken unter Strafe. Verboten wurden Experimente an Embryonen, Manipulation von Erbgut genauso wie erschreckende Kreuzungsversuche von Tier- und Menschengenen. Unter den Gesetzeshammer fielen aber auch Methoden, die heute im Ausland gängige Praxis zur Erfüllung des Kinderwunsches sind, etwa Leihmutterschaft und die Eizellspende. Diese Behandlung würde in Deutschland heute pro Jahr für bis zu 5.000 Paare infrage kommen.

Gesetzgeber soll Rechtsunsicherheiten klären

Besonders fraglich ist inzwischen die Vorgabe, dass maximal drei befruchtete Eizellen einer Frau übertragen werden dürfen. Heißt das, Ärzte dürfen nur drei herstellen? Oder dürfen mehr als drei kultiviert und nur die entwicklungsfähigsten eingepflanzt werden? Neue Methoden machen die Auslese nach Einnistungschancen der Embryonen heute möglich - und damit den Gesetzestext zum Spiel der Interpretation. "Diese Auswahl ist in Deutschland wahrscheinlich verboten. So genau wissen wir das nicht, weil wir es dazu noch kein Urteil gab", sagt der Vorsitzende der Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, Jan-Steffen Krüssel.

Eine ähnliche Behandlungsfrage musste ein Berliner Gynäkologe erst kürzlich dem Rechtstest unterziehen, um sicherzustellen, was er in seiner Praxis tun darf und was nicht. Der Arzt wählte mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik (PID) im Reagenzglas nur die Embryonen von erblich vorbelasteten Paaren aus, die diesen einen Genschaden nicht hatten. Anschließend zeigte der Arzt sich selbst an. Das Gericht stellte klar, dass diese 1990 in Deutschland noch nicht angewendete Methode bislang erlaubt ist, da sie im Gesetzestext schlichtweg nicht vorkommt. Sie sei zudem im Sinne des Gesetzes.

Ärzte erwarten nun, dass der Gesetzgeber das Urteil zum Anlass nimmt, neben der Zulassung der PID auch weitere offene Fragen zu klären. "Um all diese Rechtsunsicherheiten zu lösen, muss der Gesetzgeber nun tätig werden", sagt Professor Hermann Hepp von der Bundesärztekammer. Ob der Bundestag das so umfassend tun wird, ist aber fraglich: "Das Embryonenschutzgesetz scheint inzwischen in Bronze gegossen und man traut sich nicht zu, regelmäßig den Stand der Dinge zu reflektieren", sagt Ethikratmitglied Wolf-Michael Catenhusen. Der unabhängige Sachverständigenrat will daher bis Sommer 2011 eine Empfehlung zur Handhabung der PID vorlegen und diesen dem Bundestag und der Bundesregierung zur Abstimmung geben.

Evangelische Kirche uneins in der Ablehnung von PID

Während Ärzte und Paare auf eine Gesetzeslockerung hoffen, schlagen Kirchen und Behindertensprecher Alarm. Die katolische Kirche hat sich kategorisch gegen PID ausgesprochen, in der evangelischen Kirche stehen verschiedene Meinungen nebeneinander: Der amtierende Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider ist  für eine eng begrenzte Zulassung, andere - wie der bayrische Landesbischof und Leitende Bischof der VELKD Johannes Friedrich - haben sich dagegen ausgesprochen. Die Debatte gibt es schon jahrelang. Bereits 2003 gab es Differenzen zwischen Nationalem Ethikrat und EKD-Rat. Die kirchlichen Mitglieder des Ethikrates, darunter der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, hatten sich gegen PID ausgesprochen.

Die Untersuchung von befruchteten Eizellen verstoße gegen das Grundrecht auf Leben und gegen das Verbot der Benachteiligung von Behinderten. Andere Kritiker warnen vor der Bestellung von "Designer-Babys" wie im Warenladen. Krüssel sieht die PID jedoch als Ausnahmeuntersuchung, bei der es rein um den Ausschluss von schweren Krankheiten sowie Fehl- und Totgeburten gehe. "Die Patienten, die zu uns kommen, haben bereits eine Leidensgeschichte hinter sich."

Anregungen zur Entscheidung aus dem Ausland?

Doch selbst die Frage, welche Krankheit dem Test unterzogen werden soll, ist strittig. "Ein festgelegter Katalog wäre problematisch, denn das wäre eine Bewertung von lebenswert bis lebensunwert", sagt Ulrich Hilland vom Verband Reproduktionsmedizinischer Zentren. Ist das Down-Syndrom Grund für eine Auslese? Oder Mukoviszidose? Auch die Bundesärztekammer schlägt in einem Diskussionsentwurf keine fixe Liste vor, schließt aber erst spät im Leben auftretende Krankheiten wie Chorea Huntington von der Diagnose aus.

Anleitungen könnten aus dem Ausland kommen, wo zum Teil schon seit mehr als zehn Jahren die Diagnostik angewandt wird. In Frankreich ist die PID nur zugelassen, wenn eine schwere Krankheit vermieden werden soll, wenn ein Elternteil ein Gen für eine Anomalie hat und das Paar mindestens zwei Jahre zusammenlebt.

dpa/ evangelisch.de