MPI: Der neue Maßstab für die Messung von Armut

MPI: Der neue Maßstab für die Messung von Armut
Was ist Armut? Und wie kann man sie am besten messen? Die Universität Oxford hat einen neuen Index vorgestellt, der neben dem materiellen Lebensstandard von Menschen in Entwicklungsländern weitere Dimensionen von Armut erfasst. Mit dem "Multidimensional Poverty Index" (MPI) will das UN-Entwicklungsprogramm Mangel präziser als bisher bestimmen.
05.10.2010
Von Tillmann Elliesen

Armut wird auf den drei Gebieten Bildung, Gesundheit und Lebensstandard erfasst, mit insgesamt zehn Messgrößen. "Wir können so erkennen, auf welche Art Menschen arm sind", sagt die Wissenschaftlerin Sabine Alkire, die das Konzept mit entwickelt hat, in einem Interview des Frankfurter Magazins "Welt-Sichten" (Oktoberausgabe).

So wird beispielsweise erfragt, wie viele Haushaltsmitglieder länger als fünf Jahre zur Schule gingen und ob ein Kind in der Familie gestorben ist. Hinzu kommt, ob der Haushalt Strom hat und ob sauberes Trinkwasser weiter als 30 Gehminuten entfernt ist. Eine Familie gilt nach dem neuen Index als arm, wenn mindestens 30 Prozent der unterschiedlich gewichteten Indikatoren auf sie zutreffen.

Armut wird also nicht nur am Einkommen einer Person festgemacht, wie es die Weltbank mit ihrer Grenze für absolute Armut von 1,25 Dollar pro Tag (früher 1 Dollar pro Tag) tut. Doch das ist nicht das wirklich Neue: Sozialforscher und Ökonomen experimentieren seit 40 Jahren mit Verfahren, Armut zu messen. Dabei fragen sie nicht nur, was ein Mensch im Portemonnaie hat, sondern auch, unter welchen Bedingungen er lebt und welche Chancen er hat, diese Bedingungen zu ändern.

Die Daten für den neuen Index sind präziser

Der neue Index unterscheidet sich von anderen mehrdimensionalen Armutsindizes darin, dass seine Daten aus Haushaltsbefragungen stammen, die alle drei Dimensionen Gesundheit, Bildung und Lebensstandard gleichzeitig abdecken.

Das macht es möglich, eine absolute Zahl der weltweit Armen anzugeben: Nach dem ersten MPI, der auf Daten aus 104 Ländern beruht, sind das 1,7 Milliarden Menschen - rund 400 Millionen mehr als unter die Einkommensgrenze von 1,25 Dollar am Tag fallen. Zudem ermöglicht der neue Index, bis zum einzelnen Haushalt festzustellen, wo in einem Land die Ärmsten leben und auf welche Weise sie benachteiligt sind.

Mit dem älteren "Human Poverty Index" des UN-Entwicklungsprogramms war das nicht möglich, weil dessen Daten aus unterschiedlichen Quellen stammten und sich nur zu landesweiten Durchschnittswerten zusammenfassen ließen. "Mit dem alten Index konnte man eine Länderrangliste erstellen", sagt Alkire. "Aber mit dem MPI kann man zeigen, was sich hinter dem Indexwert eines Landes verbirgt."

Ihr Team zeigte zum Beispiel die soziale Kluft in Kenia. Im Nordosten Kenias sind die Menschen - im Sinne des MPI - ärmer als der Durchschnitt der Bevölkerung im westafrikanischen Niger, dem Schlusslicht der Rangliste von mehr als 100 Ländern. Dagegen haben die Einwohner der kenianischen Hauptstadt Nairobi ein Niveau wie die Menschen in der Dominikanischen Republik, die in der oberen Hälfte der Liste rangiert. In Indien hungern Menschen, die nach ihrem Verdienst nicht als arm gelten.

Kritik richtet sich gegen die Gewichtung der Messgrößen

Zu dem neuen Konzept melden sich auch Kritiker: Martin Ravallion, Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank, stößt sich an der Gewichtung der Indikatoren. Im Armutsindex habe der Tod eines Kindes das gleiche Gewicht wie die Tatsache, auf einem dreckigen Fußboden leben zu müssen, nur mit Holz kochen zu können und kein Radio, Fernsehen, Telefon, Fahrrad oder Auto zu besitzen, moniert er. Das seien "hochgradig fragwürdige Werturteile".

Alkire entgegnet, dass letztlich jede Definition von Armut willkürlich sei: "Tatsächlich steckt doch schon hinter der Antwort auf die Frage, wer arm ist, ein Werturteil der Gesellschaft." Ohnehin sieht sie den neuen Index weniger als Instrument, um Länder zu vergleichen. In erster Linie soll er Politikern in armen Ländern helfen, die Armutsbekämpfung zu verbessern. Dabei lasse sich je nach Land, die Gewichtung etwa von Bildung oder Gesundheit auch ändern.


Eine ausführlichere Darstellung des MPI findet sich in der aktuellen Ausgabe des Magazins "welt-sichten" (10/2010) oder online hier.

epd