Der Weg in die Freiheit endet hinter Stacheldraht

Der Weg in die Freiheit endet hinter Stacheldraht
Wer am Düsseldorfer Flughafen landet und Asyl sucht, beginnt seinen Aufenthalt im Flüchtlingscontainer. Ein Besuch bei dem Iraner Bazin Merizadi, der in Deutschland bleiben möchte.
30.09.2010
Von Maike Freund

Er reibt sich den Schlaf aus den Augen. Es ist neuen Uhr. Viel geschlafen hat er in dieser Nacht nicht. Das Verhör der Bundespolizei dauerte fast fünf Stunden. Erst musste er Fragen nach Schlepperrouten, falschen Papieren und Kontakten beantwortet. Dann wurde er in den Container gebracht, hierher, wo er auf seine Verhandlung warten muss, hierher, wo der Weg in die Freiheit erst einmal endet.

Bazin Merizadi (Name geändert) ist 22 Jahre alt und kommt aus dem Iran. Er ist in Deutschland, weil er wegen seines Glaubens in seiner Heimat verfolgt wurde, sagt er. Denn Bazin Merizadi hat sich vom muslimischen Glauben abgewandt, ist Christ geworden. Also hat er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, ist am Düsseldorfer Flughafen gelandet, um Asyl zu beantragen. Doch in der Freiheit angekommen ist er nicht. Sondern erst einmal in der Aufbewahrung.

Eisentore, Asphalt, ein Spind

Hier, im Nirgendwo, hinter den Verwaltungsgebäuden und Parkplätzen, bevor man nur noch zu Fuß die Autobahn überqueren kann und zur Bahnhaltestelle kommt, wo die U79 in Richtung Düsseldorfer Innenstadt fährt, hier liegt der Container. Der Container des Flughafenasyls. Ein Stück Rasen, ein Stück Asphalt, ein flaches, weißes Gebäude mit hellblauen Streifen, das schon bessere Zeiten gesehen hat, hinter Eisentoren und Stacheldraht, bewacht von einem Sicherheitsdienst.

Von einem schmalen langen Gang gehen links und rechts Zimmer ab. Ganz hinten, hinter einer Sicherheitstür: die Räume für Frauen. Davor: ein Aufenthaltsraum, ein Lagerraum, ein Büro, ein Spielzimmer für Kinder, die Küche, das Bad, das Verhandlungszimmer und die Schlafräume, immer drei oder mehr Betten in einem Raum, ein Spind, sonst nichts. Hier hat sich Bazin Merizadi gestern schlafen gelegt. In einem fremden Land, in einer fremden Umgebung, in einem fremden Raum mit Blick auf Stacheldraht. Ohne zu wissen, wie die morgige Verhandlung ausgehen wird. Voller Hoffnung, voller Angst.

371 von 435 Personen, die 2009 per Flugzeug in Deutschland ankamen, durften gemäß §18a des Asylverfahrensgesetzes einreisen. Im ersten Halbjahr 2010 waren es 207. In Düsseldorf landeten bis Ende September 2010 100 Personen – die meisten aus dem Iran. Die meisten Asylsuchenden, die per Flugzeug ins Land kommen, landen in Frankfurt. Deshalb gibt es dort eine Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und an den Flughäfen Hamburg, Berlin, München und hier in Düsseldorf Nebenstellen.

Erst Verhöre, dann die Anhörung

Bazin Merizadi trägt ein T-Shirt und eine Jogginghose. Schmal ist er mit lebhaften Augen und schwarzen Haaren. Ein freundliches Lächeln im Gesicht, ein bisschen schüchtern, ein bisschen nervös. Es ist noch Zeit für einen Tee. Denn bevor der Termin mit dem Beamten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ansteht, wird er von Miguel Temprano beraten.

Miguel Temprano ist einer der der Mitarbeiter der Diakonie, die die Beratung für Asylbewerber macht. Düsseldorf ist eine Ausnahme. Hier werden die Mitarbeiter der Kirche informiert, wenn ein Flüchtling landet, damit er nicht unvorbereitet in die Verhandlung muss. Oft sind die Flüchtlinge traumatisiert, sind stundenlang verhört worden, haben eine lange Reise hinter sich und haben häufig in ihrem Heimatland Gewalt und Verfolgung erlebt. Temprano ist hier, um Bazin Merizadi die Situation zu erklären. Und ihm zu sagen, worauf es bei der Verhandlung ankommt. Gemeinsam mit Jarid Bijareh, dem Dolmetscher, gehen sie in den Aufenthaltsraum

Der Aufenthaltsraum: altes Linoleum auf dem Boden. Zusammengestückelte grüne Sessel und Stühle um einen Tisch. Es riecht alt, wie zu lange nicht mehr gelüftet, staubig, ein bisschen wie ranzige Butter. Die Wände: hellgelb, verblichen. Aus Zeitschriften ausgerissene Poster hängen da. Ein Palmenstrand, eine Landschaft. An der Wand neben der Tür: eine Uhr, eine weitere steht auf der Kommode: Beide stehen geblieben.

Entscheidung im Blitzverfahren

Miguel Temprano erklärt, Jarid Bijareh, der Dolmetscher, übersetzt, Bazin Merizadi antwortet. So geht es hin und her. Und obwohl Bazin Merizadi berichten will, warum er geflohen ist, sind andere Dinge drängender. Temprano weiß, dass das herzlos klingt, aber er weiß auch, wie die Verhandlungen ablaufen: Dass es nicht nötig ist, sich aus Scham zurückzuhalten. Dass es wichtig ist, nachzufragen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Und natürlich, die Wahrheit zu sagen.

Dann ist es so weit: Der Beamte vom Bundesamt ist angekommen. Er wird darüber entscheiden, ob Bazin Merizadi vorläufig einreisen darf. Ob er einen Asylantrag stellen darf und somit den Container verlassen und sich Richtung Dortmund zur Anlaufstelle machen kann. Oder ob er in Abschiebehaft kommt, bis er Deutschland wieder verlässt. Das alles wird heute geschehen. Denn das Flughafenverfahren ist ein Blitzverfahren. Das bedeutet: Innerhalb von zwei Tagen muss die Anhörung stattfinden.

Am Anfang stehen statistische Fragen: Name, Adresse, Beruf, Alter. Und Bazin Merizadi erzählt, dass er einen Schulabschluss vergleichbar dem deutschen Abitur hat, er in seinem Heimatdorf Händler sei und ein gutes Leben gehabt habe.

Ein ganzes Leben in drei Stunden

Er erzählt von den Verwandten im Dorf aus dem Süden Irans, wo er bisher lebte, die ihn verraten haben. Von den Zigaretten, die auf seiner Hand ausgedrückt wurden und die Narben hinterlassen haben. Von den vier Tagen im Gefängnis, seit er zum christlichen Glauben übergetreten ist. Von Schlägen, von Demütigung. Und von seinen Eltern und der Schwester, die ebenfalls konvertiert sind und in Deutschland im Asyl leben.

Bazin Merizadi erkannte, dass er in Gefahr war. Er besorgte Geld, nahm Kontakt zu Schleppern auf und machte sich auf den Weg nach Istanbul. Eine Woche wartete er dort auf seine falschen Papiere, einen schwedischen Pass, dafür bezahlte er 15 Millionen Iranische Rial – etwa 1.500 Euro. Woher er das Geld hatte, sagt er nicht.

Nach drei Stunden Befragung bleiben Zweifel. Zweifel an der Geschichte Bazin Merizadis. Denn als er gefragt wird, wie er zum Christentum übergetreten ist, ob er getauft wurde, ist seine Antwort nein. Er habe auf die Bibel geschworen: Jesus Christus, dir vertraue ich mein Leben an. Auf Fragen zur christlichen Religion weiß er keine Antwort.

Ob das am Stress liegt, an seiner Hilflosigkeit, an der Übersetzung des Dolmetschers oder aber, weil Bazin Merizadi nicht die Wahrheit sagt, wird in dieser Sitzung nicht mehr geklärt. Bazin Merizadi darf bleiben. Vorläufig. Über Realität und Erfindung wird im offiziellen Asylverfahren entschieden werden. Aber nicht mehr heute.


Maike Freund ist freie Journalistin in Dortmund.