Zeitung als Kunst - Kunst als Zeitung

Zeitung als Kunst - Kunst als Zeitung
Der Zeitungssammler Franz-Josef Wiegelmann zeigt in der Ausstellung "Newspaper-Art" im Stadtmuseum Siegburg die Wechselbeziehungen zwichen Kunst und Zeitung über vier Jahrhunderte.
16.08.2010
Von Ralf Siepmann

Im Bild "Zeitungsleser II" des amerikanischen Künstlers Lyonel Feininger stürzen sich Menschen im Gehen begierig auf die Neuigkeiten. Das vom Kubismus geprägte Bild entstand im Kriegsjahr 1916. In Pablo Picassos „Gitarre“ von 1913 sind Ausrisse aus Zeitungen in eine Komposition mit Kohle, Bleistift und Tusche geklebt. In der Lithographie "Le Journal" des spanischen Kubisten Juan Gris von 1916 hat der integrierte Zeitungskopf etwas Dekoratives.

Joseph Beuys inszeniert sich 1977 mit einer eigenen Kunst-Zeitung, die in einer signierten Kassette aus Pappe eingelegt ist. Im Zeitungstitel steckt eine deutliche Assoziation an das Layout von Springers "Bild". Der katalanische Grafiker Antonio Tápies hat das offizelle Plakat zur Fußball-WM 1982 in Spanien auf Faksimileseiten der Zeitung „Tribuna“ gestaltet.

400 Jahre Wechselbeziehung zwischen Zeitung und Kunst

Mit den verblüffend vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Zeitung macht die Ausstellung „Newspaper-Art“ im Stadtmuseum Siegburg vertraut, für die der Sammler und Kurator Franz Josef Wiegelmann über 70 Objekte zusammengetragen hat. Die Abbildungen, Reproduktionen und Originale umspannen mehr als vier Jahrhunderte – von den ersten Einblattdrucken und Flugblättern in Deutschland, dem „Mutterland der Zeitung“ (Wiegelmann), über die Blütezeit der Karikatur in der Presse der Kaiserzeit bis hin zu Aktionen der Gegenwart. Immer wieder haben sich Künstler und Redaktionen bewusst aufeinander eingelassen. So etwa 2005, als 32 Künstler die Ausgabe der "BZ" vom 16. Dezember gestalteten. Aus diesem "Newspaper Art"-Event ist in Siegburg Georg Baselitz mit der Arbeit „Negativ im November“ vertreten.

Politische Zeitungskunst

Lange Zeit unterstützten fortschrittlich denkende Künstler – vor allem im Genre der Karikatur – die Intentionen von Redaktionen und Verlegern wider Restauration und alle Spielarten antidemokratischer Einstellungen. Sie träumten von einer Gesellschaft in Freiheit und traten für eine freie Presse ein. In Siegburg ist diese Sphäre der politischen Zeitungskunst mit Arbeiten etwa von Honoré Daumier, A. Paul Weber oder auch John Heartfield manifestiert. Als Medium gleichsam in eigener Sache entdeckten Künstler hingegen die Zeitung erst in jüngster Zeit.

Günther Uecker brachte erstmals 1969 eine eigene "Kunstzeitung" heraus - als Transportmittel für seine künstlerischen Vorstellungen und Arbeiten. In dem Düsseldorfer, der mit Nagelobjekten einzigartig wurde, sieht Wiegelmann den eigentlichen Pionier eines Ausdrucksmittels, das auch andere Künstler – etwa HA Schult – inspirierte. Womöglich, mögen manche im digitalen Medienumbruch der Zeitung denken, eine Vorwegnahme heutiger Blogs im Internet.

Medienevolution

A propos Schult: Der exzentrische Objekt-und Aktionskünstler experimentierte schon in den 70er Jahren mit der Zeitung als Material. Er überzog 1976, zum Zeitpunkt der Biennale, den Markusplatz von Venedig mit über 300.000 Zeitungsexemplaren und verlieh ihm als "papierenes Meer" eine neue Ästhetik. 1983 waren es wiederum hunderttausende von Exemplaren der "New York Times", die die Washington Street in Manhattan in einen Zeitungsstrom verwandelte, der bis zum World Trade Center reichte. „Newspaper-Art“ in Vollendung, die in Siegburg in Plakaten und Fotodokumenten zu besichtigen ist. Vielleicht eine kaum mehr zu überbietende künstlerische Überhöhung des altehrwürdigen Print-Medium, das im digitalen Zeitalter in eine Existenz-, bei den Jüngeren in eine Akzeptanzkrise geraten ist. "Unsere Gesellschaft", sagt Wiegelmann über seine Sammlung, "ist in hohem Maße von der Zeitungskultur geprägt worden." Doch ist völlig offen, ob das so bleiben wird.

So macht denn die Siegburger "Newspaper-Art" auf ihre Weise bewusst, welch große Kultur im "news paper endgame" nach US-Muster auf dem Spiele steht. Sollten klassische Zeitungsinhalte in zehn bis 20 Jahren weitgehend über Smartphones oder dann noch modernere digitale Werkzeuge verbreitet werden, dürfte wohl die Liebe der Künstler zu dem guten alten Medium (weiter) erkalten. Die Prognose sei gewagt: Digitale Tools vom Typ iPad oder Kindle werden wohl kaum in ähnlicher Weise zur Kunst, wie es das gedruckte Medium über Jahrhunderte vermochte. Beweise dafür, dass dies eine irrige Annahme ist, sind jeder Zeit willkommen.

„Newspaper-Art“, Stadtmuseum Siegburg. Noch bis 5. September geöffnet.


Ralf Siepmann ist freier Journalist aus Bonn.