Sicherungsverwahrung: Das Recht und die 10.000 Überstunden

Sicherungsverwahrung: Das Recht und die 10.000 Überstunden
12.000 Euro am Tag. Die permanente Überwachung eines aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen ist teuer. Doch ein europäisches Urteil lässt derzeit keine andere Möglichkeit. Bund und Länder ringen um eine Lösung. Die Polizisten sammeln derweil Überstunden.
15.08.2010
Von Armin Leidinger,

Wie muss der Staat mit freigelassenen Schwerverbrechern umgehen? Während nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte deutschlandweit über eine einheitliche Lösung diskutiert wird, drängt das Problem im Saarland immer mehr. Dort wird seit Mai ein aus der Sicherungsverwahrung entlassener Mann rund um die Uhr von der Polizei beschattet. Kosten: 12.000 Euro pro Tag. Ähnliche Fälle gibt es in Hamburg und Freiburg.

Im Saarland klagt nun der 61-Jährige gegen die Überwachung. Hat sein Eilantrag Erfolg, müsste die Polizei nach Ansicht seines Anwalts ihre Aktivitäten unverzüglich einstellen.

Insgesamt 35 Jahre lang saß der Mann nach Angaben des Anwalts in Gefängnis und Psychiatrie. Im Alter von 19 Jahren hatte er eine junge Frau erwürgt. Später war er mehrmals wieder gewalttätig gegen Frauen geworden. Forensische Gutachter und Fachleute des Landeskriminalamtes schätzen ihn weiter als gefährlich ein. Am 12. Mai kam er frei, einen Tag, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die deutsche Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für unrechtmäßig erklärt hatte.

Mindestens sechs Polizisten immer dabei - 10.000 Überstunden

Doch so richtig "in Freiheit" fühlt er sich nicht. Denn die saarländische Polizei verfolgt ihn seitdem auf Schritt und Tritt. Am Tag hat er stets acht Beamte um sich herum, in der Nacht sechs. Geht er zum Arzt, kommen sie mit hinein. Geht er zum Bäcker, gucken sie durch die Scheiben. Insgesamt bindet der Einsatz einen Personalpool von etwa 25 Beamten.

Das geht ins Geld und bringt die Polizei erklärtermaßen an den Rand ihrer Kapazitäten. Durch die Überwachung haben sich bislang 10.000 Überstunden angesammelt, sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Hugo Müller. "Im Prinzip waren wir mit der Überwachung personell von Anfang an überfordert."

Er fordert die Landesregierung auf, gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen, um gefährliche Straftäter präventiv in ein Gefängnis, in eine neu zu schaffende Einrichtung der "Sicherungsunterbringung" oder in die Psychiatrie einzuweisen. Doch die Politik in Bund und Ländern streitet über die richtigen Maßnahmen.

Müller drängt deshalb darauf, schnell zu handeln: "Mit der Gesetzesänderung sollte die Landesregierung nicht warten, bis eine bundesweit einheitliche Lösung gescheitert ist. Wir brauchen eine Lösung schon in wenigen Wochen, nicht erst in Monaten. Innerhalb von sechs bis acht Wochen könnte ein neues Gesetz nach meiner Einschätzung im Landtag beschlossen werden", sagt er.

Länder hoffen auf gemeinsame Lösung vom Bund

Die Saar-Landesregierung aber setzt bislang auf eine bundeseinheitliche Lösung. Wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert auch der saarländische Innenminister Stephan Toscani (beide CDU) die Einführung einer "Sicherungsunterbringung", kein Gefängnis, aber auch keine Luxuseinrichtung. Toscani drängt auf eine schnelle Lösung im Bund: "Bei den Rettungspaketen zur Wirtschaftskrise hat der Bund gezeigt, wie schnell er Gesetze beschließen kann, wenn dies gewollt und man sich einig ist."

Eine Änderung des saarländischen Unterbringungsgesetzes beziehungsweise des Polizeigesetzes werde geprüft, teilen Innen- und Justizministerium in Saarbrücken mit. Sollte es in absehbarer Zeit nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung auf Bundesebene kommen, müssten die Länder notfalls eigene Regelungen einführen, heißt es. Ein Gremium der Innenministerkonferenz erarbeitet bis November Vorschläge, wie mit den sogenannten Altfällen verfahren werden kann. Der 61-Jährige wäre ein solcher Altfall, den das Urteil des EGMR direkt betrifft.

Entscheidung im Saarland in drei bis vier Wochen

Sein Anwalt, Michael Rehberger, lehnt eine "Sicherungsunterbringung" ab. Sie verstoße unter anderem gegen den Grundsatz, dass niemand für die gleiche Tat zweimal bestraft werden darf. "Die Sicherungsunterbringung wäre eine Strafe", sagt er. Der sinnvollste Weg sei die Führungsaufsicht. Dies würde für seinen Mandanten bedeuten, dass ihm ein Bewährungshelfer zur Seite steht, der beispielsweise darüber wacht, dass er keinen Alkohol trinkt. Auch eine Einrichtung des "Betreuten Wohnens" kann sich Rehberger vorstellen.

Die momentane Überwachung dagegen bezeichnet er als "nicht verhältnismäßig". Außerdem fehle dafür die Rechtsgrundlage. Mit dem Eilantrag befasst sich nun das Verwaltungsgericht des Saarlandes. In drei bis vier Wochen rechnet Rehberger mit einer Entscheidung.

dpa