Rasputins Erben: Duma geht gegen Scharlatane vor

Rasputins Erben: Duma geht gegen Scharlatane vor
Mit Wodka gegen radioaktive Strahlen und mit Wünschelruten gegen Hautkrebs: In Russland haben medizinischer Hokuspokus und fauler Zauber Hochkonjunktur. Nach zahlreichen Todesfällen will die Staatsduma nun Scharlatanen das Handwerk legen.
29.07.2010
Von Wolfgang Jung

Der vierjährige Dima Kasatschuk hatte keine Chance. Mit dem Schrei "Du trägst Luzifer in dir!" stürzte sich Anfang Juli in der ostrussischen Stadt Ussurijsk eine "Schamanin" auf das Kind und begann mit der "Teufelsaustreibung". Wenig später lag der Junge erdrosselt am Boden. Der tragische Tod ist kein Einzelfall, immer wieder sterben in Russland Menschen bei "Wunderheilungen". Das Parlament in Moskau zieht jetzt die Notbremse: Der Staatsduma liegt ein Gesetzentwurf vor, dem zufolge bereits das öffentliche Werben für "okkult-mystische Dienstleistungen" strafbar sein wird.

Kräuterhexen und Kartenleger präsentieren sich derzeit noch seitenweise in Russlands Boulevardzeitungen. "Ein Blick in die Kristallkugel von Babuschka Nadja löst Ihre Eheprobleme", heißt es dort, oder auch: "Express-Magie, auf Wunsch per SMS." Hinter den Anzeigen steckten Betrüger, die sich ihre Weissagungen teuer bezahlen ließen, schimpft der Abgeordnete Viktor Swagelski von der Regierungspartei Geeintes Russland als Initiator des Gesetzes. "Das ist eine riesige Schattenwirtschaft mit gewissenlosen Profiteuren."

"Esoterische Rituale"

Jährlich sterben nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums etwa 500 Menschen durch "esoterische Rituale". In Krisenzeiten wie jetzt ist die Nachfrage nach Horoskopen und Weissagungen besonders hoch.

Das Kernproblem sei, dass überdurchschnittlich viele Russen nicht nur traditionell abergläubisch, sondern auch besonders naiv seien, meint Swagelski. Als Beispiel dafür sieht er die andauernde Verehrung für den legendären Zarenberater und Wunderheiler Rasputin (1869- 1916). Tatsächlich erstaunte es nur wenige Menschen in Moskau, als vor kurzem ein Oligarch dem Sea Life Aquarium Oberhausen für den berühmten "Orakel-Tintenfisch" Paul 500 000 Euro bot. Das Riesenreich stehe vor vielen ungelösten Fragen, begründete der Milliardär seine Offerte. "Der Krake muss uns sagen, wie es weitergeht."

Die Sehnsucht nach dem Übersinnlichen durchzieht längst alle Teile der russischen Gesellschaft - auch die Armee. So erzählte der Kapitän eines waffenstarrenden Atom-U-Boots im Nordpolarmeer der Zeitung "Kommersant", die Besatzung achte auf regelmäßigen Wodka-Konsum. Dies geschehe aber aus streng medizinischen Gründen, denn Alkoholmoleküle würden ja, "wie jedermann weiß", vor radioaktiven Strahlen schützen. Wissenschaftler halten diese Theorie für baren Unsinn. In einer "Astroshow" im russischen Fernsehen wiederum riet eine "Alchimistin" einem krebskranken Anrufer, eine Schraube an einen Faden zu binden und den Tumor damit "dauerhaft wegzupendeln".

Tradition der Volksmedizin

"Aberglauben ist zwar auch in anderen Ländern verbreitet", meint die Moskauer Soziologin Olga Gudkowa. Aber in Russland sei der Hang von Menschen, Zusammenhänge zu sehen, wo keine sind, besonders verbreitet. "In manchen Kliniken ist ein Amulett gegen böse Geister über dem OP-Tisch normal." Leider komme es immer wieder zu Tragödien, sagt Gudkowa. Vor zwei Jahren hatte ein Wunderheiler hunderten verzweifelten Eltern versprochen, er lasse für jeweils 1300 Euro ihre beim blutigen Geiseldrama von Beslan (Kaukasus) getöteten Kinder "auferstehen". Er wurde wegen Betrugs zu elf Jahren Haft verurteilt.

Es gehe der Duma nicht darum, die Tradition der Volksmedizin zu zerstören, betont Swagelski. "Aber oft merken die Leute zu spät, dass Handauflegen und Geistheilen nicht helfen." Mit schweren organischen Krankheiten wie Krebs sollten die Menschen zu einem Arzt gehen und nicht zu einem der schätzungsweise 1000 Schamanen in Russland, sagt der Abgeordnete. Künftig sollen laut dem geplanten Gesetz - wie in Deutschland - nur noch Ärzte und Heilpraktiker mit einem offiziellen Diplom für ihre Leistungen werben dürfen. Gefälschte Urkunden sind allerdings in Russland noch weiter verbreitet als Wunderheiler.

dpa