Eine hämmernde Frage: Wie konnte das geschehen?

Eine hämmernde Frage: Wie konnte das geschehen?
Die Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg hat 19 Todesopfer gefordert. Die Frage nach dem "Warum" ist am Tag nach der Katastrophe besonders drängend. Seelsorger müssen diese Frage anders beantworten als Veranstalter und Behörden.

Es ist schwer zu begreifen, was am Samstag in Duisburg geschehen ist. Hunderttausende Technofans waren an die Ruhr gekommen, um zu tanzen und zu trinken, Freunde zu treffen, Spaß zu haben. Seit mehr als zwei Jahrzehnten gehörte die Loveparade zu den festen Bestandteilen der Jugendkultur in Deutschland - zurück blieben bisher stets eine Menge Müll sowie, wenn sich der Alkohol- und Drogenrausch gelegt hatte, die Erinnerung an eine richtig geile Fete. Und die Vorfreude auf das nächste Mal.

In Duisburg herrschten dagegen Panik, Leid und Tod. Aufgrund eines offenbar völlig unzureichenden Sicherheitskonzepts drängten sich tausende Menschen in einem engen Tunnel an der Karl-Lehr-Straße, der den einzigen Zugang zum Partygelände bildete. Ein Stau entstand, die Stimmung wurde aggressiv und unerträglich, viele wurden ohnmächtig. Am Tunnelausgang dann die Katastrophe: Einige Festivalbesucher kletterten offenbar über eine Absperrung, stürzten eine unzureichend gesicherte Treppe hinab. Eine Massenpanik brach aus, Menschen stolperten im Chaos übereinander, überrannten und erdrückten einander.

Opfer aus Holland, Italien, China, Australien

Für 19 von ihnen endete die Loveparade tödlich. Sie waren gekommen, um die Nähe anderer Menschen zu genießen, das Massenerlebnis einzuatmen. Nun wurden ihnen Nähe und Masse zum Verhängnis. 16 Technofans starben direkt am Tunnelausgang, drei weitere erlagen später im Krankenhaus ihren Verletzungen. Unter den Opfern sind nicht nur Deutsche – auch vier junge Leute aus den Niederlanden, Italien, China und Australien. Die Katastrophe hat eine internationale Dimension. 342 Menschen wurden verletzt, wie die Polizei am Sonntag mitteilte. Die Zahl gibt ein nur unzureichendes Bild von dem gewaltigen Drama, das sich in Duisburg abgespielt haben muss.

Zurück bleibt die drängende, die hämmernde und wummernde Frage: Wie konnte das passieren? Haben die Veranstalter die Zahl der Besucher unterschätzt? Noch immer ist unklar, wie viele Menschen bei der Loveparade waren, die Angaben schwanken zwischen 500.000 und 1,4 Millionen. Waren Polizei und Behörden überfordert? Kritiker warnten vor chaotischen Situationen, von einem "Tanz auf dem Drahtseil" war die Rede. Ein Feuerwehrmann erstattete am Sonntag Anzeige gegen die Veranstalter – er hatte vor der Loveparade auf Gefahren genau an jener Stelle hingewiesen, an der später das Unglück geschah.

Viele wussten nicht, was geschehen war

Welche Rolle schließlich spielten Leichtsinn und Unvorsicht der teils alkoholisierten, womöglich unter Drogen stehenden Besucher? Wer die Loveparade nicht mag, wird hier schnell einfache Gründe finden. Doch niemand will sich im Augenblick ein Urteil erlauben. Trauer und Entsetzen herrschen vor. Auch dass die Loveparade nicht sofort abgebrochen wurde, sondern lediglich früher beendet, scheint plausibel: Sonst hätte eine weitere Panik mit unabsehbaren Folgen gedroht. Auf der anderen Seite wussten viele Besucher, die nur einen Steinwurf vom Ort des Grauens entfernt fröhlich weitertanzten, lange nicht, was eigentlich passiert war.

Mit den Opfern von der Duisburger Karl-Lehr-Straße ist auch die Loveparade gestorben. "Worte reichen nicht aus, um das Maß meiner Erschütterung zu erklären", sagte Organisator Rainer Schaller am Sonntag. Ihm liege alles daran, die Geschehnisse vollständig aufzuklären. Das Ende der Loveparade ist eine gute Entscheidung – und zugleich die einzig richtige. Für die Familien der Opfer, für die vielen Verletzten und Traumatisierten, auch für die zahllosen Helfer vor Ort wäre es wie ein Hohn gewesen, wenn die Veranstaltung im nächsten Jahr fortgesetzt worden wäre.

Eine Begegnung, bei der Fremdheit eine Rolle spielt

Noch in der Nacht zum Sonntag kamen Angehörige, andere Betroffene sowie Anwohner zum Tunnel, zündeten Kerzen an und legten Blumen nieder (Foto oben: dpa). Trauer wird die nächsten Tage bestimmen. Dabei sind auch die Kirchen gefragt. Sie müssen die Frage nach dem "Warum" ganz anders beantworten als Veranstalter und Behörden. Und sie müssen Menschen Trost geben, die abseits von Katastrophen nicht eben viel mit ihnen zu tun haben (wollen). Es ist eine Begegnung, bei der Fremdheit eine Rolle spielt. Eine Begegnung, die zugleich Chancen bietet – begreiflich zu machen, was am Samstag in Duisburg geschehen ist.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de mit Zuständigkeit für die Ressorts Politik und Religion.