Das Fernsehen und die Qualität: "Was bewegt die Menschen?"

Das Fernsehen und die Qualität: "Was bewegt die Menschen?"
Firma mit Auftrag: Seit 1960 produziert die gemeinnützige Film- und Fernseh-Produktionsgesellschaft Eikon Dokumentationen, Serien und Unterhaltungsfilme mit der Evangelischen Kirche als Hauptgesellschafter. Ein Gespräch mit Eikon-Geschäftsführer Dr. Ernst Ludwig Ganzert zum 50. Jubiläum.
25.06.2010
Die Fragen stellte Diemut Roether

Ein Blick zurück: Warum entstand die Eikon damals als evangelische Produktionsfirma?

Ernst Ludwig Ganzert: 1960 stand die Gründung des ZDF bevor, und es gab dann ab 1961 mit diesem weiteren großen Sender neben der bestehenden ARD verstärkt die Möglichkeit, Programme am Markt durch freie Produzenten herstellen zu lassen, nicht mehr nur intern durch die Sender. Die beiden christlichen Kirchen waren der Meinung, wir haben etwas zu sagen und wollen selber die Inhalte herstellen, die sich mit den für uns relevanten Themen befassen. Angeregt hat die Gründung der Eikon Robert Geisendörfer, der für eine liberale evangelische Publizistik stand.

"Inhaltlich frei"

Wie hat sich das Unternehmen in den folgenden Jahren entwickelt? Sie produzieren ja nicht nur Filme, die die evangelische Botschaft verkünden.

Ganzert: Unser Ansatz: Welches sind die großen Fragen und Themen, die die Menschen heute bewegen? Wir arbeiten in allen wesentlichen Bereichen: Dokumentarfilm, Spielfilm, Kinderfilm, Serien, Magazine. Themen, die direkt mit Glauben und Religion zu tun haben, machen etwa ein Viertel unserer Produktionen aus. Die Hälfte sind den kultur- und werteorientierten Themen zuzurechnen. Ein Viertel würde ich dem reinen Unterhaltungsbereich zuordnen. Über einen "Tatort" würden unsere Gesellschafter vielleicht ganz grundsätzlich sagen, das kann nur reine Unterhaltung sein. Aber wenn ich an "Hitchcock und Frau Wernicke" denke, mit acht Millionen Zuschauern, fast 25 Prozent Marktanteil und hervorragender Presse einer der erfolgreichsten RBB-Tatorte seit langem: Er thematisiert die Einsamkeit im Alter, es gibt sehr berührende Szenen zwischen den Schauspielern Barbara Morawiecz und Dominic Raacke. Das gilt auch für unsere ZDF-Reihe "Unter Verdacht" mit Senta Berger, bei der Korruption, Vorteilsnahme oder Klüngel im Mittelpunkt stehen, also die ganz besondere Verantwortung von Beamten, Politikern oder Unternehmern und wie sie mit unseren Steuergeldern umgehen. Das ist Ethik pur. Und hochaktuell.

Psychologen sagen, das Beruhigende am Krimi ist, dass die Welt am Ende wieder in Ordnung ist. Trifft sich das wiederum mit der evangelischen Botschaft?

Ganzert: Man müsste erst einmal definieren, was die evangelische Botschaft ist und wie man sie filmisch umsetzen kann. Wir machen uns im Moment darüber sehr intensive Gedanken, bekanntlich sind demnächst 500 Jahre Reformation zu feiern, im Jahr 2017. Die EKD hat die Luther-Dekade ausgerufen, wir möchten mit unseren Mitteln darauf aufmerksam machen, was die Reformation und das Wirken Luthers bedeutet haben, nicht nur für die Kirche, sondern für die gesamte moderne Welt. Wir wollen Filme aus unserer Zeit heraus entwickeln, mit erstklassigen Filmemachern, die sich aus ihrer heutigen künstlerischen Perspektive diesen Gedanken neu stellen.

"Enger Austausch"

Sie haben vor einigen Jahren einen großen Kinofilm über Luther koproduziert, Sie haben jetzt auch einen TV-Film über Calvin gemacht. Wie stark ist bei solchen Filmen die inhaltliche Mitarbeit der evangelischen Kirche?

Ganzert: Wir werden häufig gefragt, ob es eine "Themenkontrolle" gibt, ob wir unsere Produktionen "absegnen" lassen müssen. Das ist nicht der Fall, wir sind frei in der Wahl unserer Themen und Stoffe. Eher im Gegenteil: Bei vielen Themen, natürlich vor allem bei denen, die sich explizit mit Glauben und Religion auseinandersetzen, sind wir in einem engen Austausch mit den Fachleuten. Es gibt in unserem Gesellschafterkreis die unterschiedlichsten Persönlichkeiten mit sehr spannenden Biografien und ein ehrliches und offenes Interesse an unserer Arbeit. Wir empfinden dies als echtes Privileg.

Ist die Eikon für Autoren die Anlaufstelle für die schwierigen Themen?

Ganzert: Ich will nicht verhehlen, dass die Zahl der Komödien, die an uns herangetragen werden, erheblich unter der Zahl der Tragödien liegt. Das mag an unseren Erfolgen in dem Genre liegen und an der Philosophie der Eikon, eine Stimme der Schwachen zu sein. Aber eine Tragikomödie wie "So glücklich war ich noch nie" von Alexander Adolph, mit der Devid Striesow beim diesjährigen Deutschen Filmpreis nominiert war, hat gezeigt, dass auch solche Stoffe gut bei uns aufgehoben sind. Wir sind also überhaupt nicht auf Tragödien festgelegt, sondern erzählen gerne Komödien, aber wenn wir sie machen, machen wir sie eben nicht mit so einem Schenkelklopfhumor, sondern möchten auch hier unser hohes Qualitätsniveau halten. Das ist bei der Komödie fast noch schwerer als bei der Tragödie.

Skurriles Ermittlerpaar

Sie arbeiten überwiegend für ARD und ZDF. Fühlen Sie sich da besser aufgehoben mit Ihren Themen als bei den Privaten?

Ganzert: Abgesehen von unseren kirchlichen Formaten bei den Privaten haben wir bislang in der Tat überwiegend für ARD und ZDF gearbeitet. Zurzeit entwickeln wir aber mit der Autorin Marie Reiners, die auch die Bücher zu "Mord mit Aussicht" geschrieben hat, eine 90-minütige TV-Movie-Reihe für Sat.1, in der es um ein leicht skurriles Ermittlerpaar geht. Es besteht aus einer jüngeren Kriminalbeamtin und einem alten Haudegen, die in die Provinz strafversetzt werden. Dort müssen sie Todesfällen nachgehen, die nie als Mordfälle deklariert wurden, aber faktisch welche waren. Das tun sie anfangs sehr widerwillig, aber nach und nach mit großer Leidenschaft.

Beim Dokumentarfilm ist ein Trend zur Formatierung zu beobachten.

Ganzert: Alle schwärmen von den Dokumentationen der BBC, aber ich habe den Eindruck, den deutschen Sendern fehlt auch der Mut, etwas Neues auszuprobieren. Alles, was funktioniert, wird immer wieder kopiert, aber man probiert wenig Neues. Es passiert zu wenig. Das hat sicherlich auch Etatgründe. Alles, was neu ausprobiert wird, kostet eben auch erst einmal Geld. Unsere Erfahrung ist, dass man sich immer weniger leisten kann, bei der Entwicklung umfangreich in Vorleistung zu gehen und zu experimentieren, ohne vorher mit den potenziellen Partnern bei den Sendern zu sprechen. Man sollte in einem sehr frühen Stadium mit den Redaktionen Kontakt aufnehmen und deren Bedürfnisse und den Programmbedarf kennen, um nicht einfach ins Blaue hinein etwas zu entwickeln, was dann keinen Abnehmer findet. Denn die Investitionsmittel, die hierfür nötig wären, können wir aus unserer Produktionstätigkeit nicht erwirtschaften.

"Der Kuchen wird kleiner"

Werden Dokumentarfilme, die auf aktuelle Ereignisse reagieren, so gut wie unmöglich?

Ganzert: Einen 90-minütigen Dokumentarfilm kann man fast nicht auf ein aktuelles Thema bezogen produzieren und schnell realisieren. Man braucht fast immer Themen, die auch in einem oder zwei Jahren noch relevant sind. Ein Film zur Katastrophe im Golf von Mexiko zum Beispiel müsste weiterführen, etwa: Ist das das Ende der Ölzeitalters?

Sie haben vor drei Jahren beklagt, dass ARD und ZDF immer mehr Aufträge an ihre Produktionstöchter vergeben. Hat sich das inzwischen geändert?

Ganzert: Ich erkenne da eher eine zunehmende Tendenz, und das macht mir große Sorgen. Wirtschaftlich interessante Formate werden an sendereigene Firmen wie die Bavaria Gruppe, Studio Hamburg oder auch Network Movie, Gruppe 5 und docstation vergeben. Das Volumen hat aber insgesamt abgenommen, das heißt, der Kuchen wird kleiner, und die Stücke der großen Produzenten werden dadurch größer.

Welche Strategie verfolgen Sie in dieser Situation?

Ganzert: Wir werden unsere Strategie wie bisher weiterverfolgen. Wir waren in den vergangenen Jahren erfolgreich damit, hohe Qualität und besondere Themen anzubieten. Wir können uns in der momentanen Marktsituation nicht einbilden, dass wir durch schiere Größe oder immer weiteres Wachstum überleben können. Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen: die Sorgfalt in der Entwicklung, Respekt für die künstlerische Persönlichkeit der Menschen, mit denen wir arbeiten, und Leidenschaft für ihr Talent.

epd

Ernst Ludwig Ganzert (49) führt die Geschäfte der Eikon seit 2001 zusammen mit Wolfgang Tumler (63), der Ende Juni 2010 in den Ruhestand geht. Das vollständige Interview finden Sie in der aktuellen Ausgabe von epd Medien, zu beziehen unter http://www.epd.de/medien_index_76754.html.