Die Sache mit der Seele

Die Sache mit der Seele

Es ist wohl ein weit verbreiteter Glaube, längst nicht nur unter Christen: Dass der Mensch neben dem sterblichen Körper eine unsterbliche Seele habe. Etwas also, das das schnöde Material unseres Körpers über sich selbst hinauswachsen lässt, das ihm Persönlichkeit, Empfindsamkeit, Absichten und Ziele verleiht - das aber auch losgelöst vom Körper existieren kann. Nur: Ist diese Vorstellung von Seele im Lichte dessen, was wir heute über das Gehirn wissen, noch haltbar?

 

Zu Beginn dieses Blogs gleich mal ein schwieriges Thema: das Leib-Seele-Problem, wie es in der Philosophie heißt. Also die Frage, wie unser Körper (und speziell unser Denkorgan) zusammenhängt mit unserer Psyche (also unserem Denken einschließlich Gefühlen, Motivationen, Entscheidungen, ...). Der US-Psychologieprofessor und Romanautor Michael Graziano hat kürzlich dazu gebloggt und sieht in dieser Problematik - im Vergleich zu klassischen Konfliktthemen zwischen Glaube und Wissenschaft wie etwa der Debatte zu Schöpfung/Evolution - eine "viel ältere, viel grundlegendere und vielleicht viel schwieriger zu überbrückende" Kluft. Stoßen wir also hier gleich an die Grenzen des Projekts, Glaube und Wissenschaft zusammenzudenken?

Graziano begründet in seinem Beitrag in der Huffington Post (englisch) sehr anschaulich, warum die gängige Vorstellung einer eigenständigen Seele heute nicht mehr haltbar ist. Diese Vorstellung geht im Wesentlichen auf den Philosophen Rene Descartes ("Ich denke, also bin ich") zurück. Descartes kam durch Nachdenken zu der Ansicht, dass es zwei Substanzen geben muss: die "res extensa" (ausgedehntes, räumliches Etwas, also die Materie) und die "res cogitans" (denkendes Etwas, also Geist oder Seele). Philosophen nennen diesen Standpunkt Dualismus. Für seine Anhänger, die Dualisten, sind beide Substanzen gleichermaßen existent und wirklich, der Mensch ist nur als Kombipack denkbar.

Die Zirbeldrüse als Sitz der Seele?

Dazu müssen die beiden Substanzen interagieren: Wenn mensch zum Beispiel etwas sieht und empfindet, wirkt sich die stoffliche Welt auf die geistige Substanz aus. Trifft mensch dagegen einen Entschluss und setzt ihn in die Tat um, liegen die Ursachen in der geistigen und die Wirkungen in der stofflichen Welt. Es braucht also eine kausale Wechselwirkung zwischen Geist und Materie, und zwar in beide Richtungen. Descartes betrachtete als den entscheidenden Ort dieser Wechselwirkung die Zirbeldrüse, eine kleine Struktur im Gehirn (von der es, im Gegensatz zu Groß- und Kleinhirn etwa, nicht linke und rechte Hälfte separat gibt).

Heute wissen wir von der Zirbeldrüse, dass sie das Hormon Melatonin produziert, das etwa für den Schlaf-Wach-Rhythmus wichtig ist. Mit dem, was Geist und Seele ausmacht, hat die Zirbeldrüse nichts zu tun. Aber auch sonst haben Gehirnforscher keinen speziellen Ort im Kopf gefunden, wo eine psychische Substanz am Werk wäre. Vielmehr gibt es im Gehirn überall Neuronen, also Nervenzellen, die offenbar streng nach physikalischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Auf mikroskopischer Ebene scheint also alles mit rechten Dingen zuzugehen - das heißt, für alles, was an Messbarem passiert, gibt es auch materielle Ursachen. Keine Spur davon, dass auch eine geistige Substanz Einfluss entfalten würde.

Für die allermeisten Wissenschaftler ist deshalb völlig klar: Der Dualismus hat unrecht. Es gibt nur eine Substanz, die Materie. Diese ist lediglich unfassbar komplex strukturiert, so dass die vielen chemisch-physikalischen Vorgänge in Gehirn und umgebendem Körper in der Summe dann einen Forscher oder einen Blogger oder einen evangelisch.de-Leser ergeben.

Mit dem Gehirn sterben Erinnerungen und Persönlichkeit

Graziano bringt aber noch mehr Hinweise darauf, dass es keine eigenständige, von der Materie losgelöste Seele geben dürfte. So zeigen viele Fallgeschichten aus der Medizin, dass mit der Schädigung bestimmter Hirnregionen auch bestimmte Aspekte der Psyche ausfallen. Trifft eine Verletzung oder ein Schlaganfall etwa das Broca-Zentrum, kann der Patient keine Sätze mehr formulieren. Ist das Wernicke-Zentrum betroffen, ist das Sprachverständnis dahin. Schäden in wieder anderen Regionen können Farbensehen, räumliches Denken, die Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen oder noch ganz andere Dinge zerstören. "Die Psyche ist ein Kollektiv und Teile davon sterben, wenn im Maschinenpark etwas hopps geht", schreibt Graziano. Umgekehrt haben Forscher durch elektrische Stimulation die Psyche schon gezielt beeinflussen können: Ob Wut, ob bestimmte Gesten, ob Kindheitserinnerungen - das alles lässt sich durch Stromimpulse an der richtigen Stelle im Gehirn ein- oder ausschalten.Wenn der Mensch stirbt, sterben auch Erinnerungen und Persönlichkeit

Unterm Strich ist die Beweislage also ziemlich erdrückend: Jeder Gedanke, jede Wahrnehmung, jedes Gefühl, jeder Handlungsimpuls lässt sich auf elektrochemische Vorgänge im Gehirn zurückführen. Unsere Psyche, unser Geist, unser Seelenleben hängt ganz unmittelbar mit dem Gehirn zusammen und von seinem Funktionieren ab, oder mit Grazianos Worten: Jede Facette unserer Psyche wird vom Gehirn produziert. Das heißt aber: Wenn der Mensch stirbt, dann sterben auch Erinnerungen, Erfahrungen, Persönlichkeit des jeweiligen Menschen, statt in Form einer unsterblichen Seele gen Himmel zu schweben.Was heißt das nun für die christliche Hoffnung auf Ewiges Leben? Ist sie nur Wunschdenken? Oder sollten Gläubige den Kopf in den Sand stecken, um sich von solch gottloser Wissenschaft nicht den Glauben kaputt machen zu lassen? Ich denke, weder noch. Tot ist, wenn man die wissenschaftliche Perspektive akzeptiert, doch nur die anschauliche Vorstellung, die wir uns von unserer Seele machen: als immaterieller Geist, der in unserem Körper wohnt und nach dessen Tod anderswo weiterexistiert. Tot ist der naive Versuch, unsere Seele als Wesen in Zeit und Raum zu sehen - so ähnlich wie in dem oben abgebildeten Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert, wo ein Engel die Seele eines Sterbenden in Empfang nimmt (Bild: Wikipedia).

Mag sein, dass der Tod dieser Vorstellung für manche Esoteriker schwer zu akzeptieren ist. Christen aber glauben nicht an die unsterbliche Geist-Seele, sondern an Gott! Die Hoffnung auf Ewiges Leben gründet nicht in der Beschaffenheit unserer Seele, sondern darin, dass Gott stärker ist als der Tod. Sie steht deshalb nicht im Widerspruch zu obigen Überlegungen. Beides lässt sich ganz gut zusammendenken - wie, darum soll es nächstes Mal gehen.

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