Missbrauch: Runder Tisch fängt nicht bei Null an

Missbrauch: Runder Tisch fängt nicht bei Null an
"Die Konzepte sind längst da": Seit 2003 existiert ein Aktionsplan zum "Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt". Am Freitag tagt der Runde Tisch zum ersten Mal.
20.04.2010
Von Bettina Markmeyer und Jutta Wagemann

Falsche Hoffnungen will sie nicht schüren. "Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht", sagte Kristina Schröder (CDU) bereits einen Tag nach dem Kabinettsbeschluss für einen Runden Tisch Missbrauch. Aber die Bundesfamilienministerin will die Prävention verbessern. Schutzräume für Täter "dürfen wir nicht länger zulassen", sagt sie mit Blick auf die jahrzehntelange Vertuschung von Missbrauchsfällen in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen. Am Freitag tagt der Runde Tisch zum ersten Mal.

Die Teilnehmer werden nicht bei Null anfangen. Gesetzgeberisch müsse nur wenig geschehen, sagt der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. Das bestätigt auch die Geschäftsführerin der Opferorganisation "Wildwasser", Iris Hölling: "Die Konzepte sind längst da. Man muss sie nicht neu erfinden."

Aktionsplan seit 2003

2003, nach dem Zweiten Weltkongress gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern in Yokohama, verabschiedete die damalige rot-grüne Bundesregierung einen Aktionsplan zum "Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt". Seine Ziele unterscheiden sich nicht von denen, die Schröder und ihre Kabinettskolleginnen, Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), nun mit dem Runden Tisch verbinden: besserer Opferschutz durch rechtliche Änderungen, mehr Prävention, Vernetzung der Hilfsangebote, internationale Zusammenarbeit.

Mit dem Aktionsplan wurde unter der damaligen Familienministerin Renate Schmidt (SPD) eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet. Sie existiert noch, hat aber seit einem Sachstandsbericht aus dem Jahr 2008 nichts mehr von sich hören lassen. Einige Aufträge aus dem Aktionsplan wurden abgearbeitet. In mehreren Veranstaltungen wurden rund 6.000 Mitarbeiter von Jugendämtern, Jugendhilfeeinrichtungen und aus Kinderschutzzentren fortgebildet. Es entstanden Ratgeber, etwa zu "Sexualisierter Gewalt durch Professionelle in Institutionen". Das bundesweite Kinder- und Jugend- sowie Elterntelefon "Nummer gegen Kummer" erhält seit 1996 jährlich rund 250.000 Euro vom Familienministerium.

Erweitertes Führungszeugnis für Arbeitsnehmer

Auch auf Gesetzesebene hat sich seit 2003 etwas getan. 2006 wurde das Verbot von Kinderpornografie erweitert und die Schutzaltersgrenze für Jugendliche erhöht. Ein Jahr später wurde eine ärztliche Vorsorgeuntersuchung für Dreijährige eingeführt. Außerdem einigten sich Bund und Länder, dass Eltern bundesweit zu den Vorsorgeuntersuchungen eingeladen werden sollten. Bleiben sie fern, schaltet sich das Jugendamt ein. Weitere Fälle von Kindesmisshandlung, die Schlagzeilen machten, führten 2008 dazu, dass Familiengerichten größere Eingriffsrechte zugestanden wurden.

Die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) wollte zudem 2003 eine Anzeigenpflicht bei sexuellem Missbrauch einführen. Das stieß jedoch bei Experten und Ländern auf Ablehnung, so dass Zypries ihr Vorhaben fallen ließ. Allerdings setzte sie ein Gesetz für ein erweitertes Führungszeugnis durch, das in diesem Jahr am 1. Mai in Kraft tritt. Danach können Arbeitgeber von Bewerbern, die mit Kindern und Jugendlichen beruflich Kontakt haben, ein solches Führungszeugnis verlangen. Darin sind auch sexualstrafrechtliche Verurteilungen im niedrigen Strafbereich enthalten. Familienministerin Schröder hat angekündigt, dieses Gesetz für den Jugendhilfebereich durch eine Muss-Regelung zu verschärfen.

Kinderschutzzentren und Beratungsstellen "chronisch unterfinanziert"

Der Kinderschutzbund fordert zudem die Angleichung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen für Missbrauch von derzeit drei Jahren an das Strafrecht, wo sie in der Regel bei 20 Jahren liegen. Mit der Ausweitung solle erreicht werden, dass verurteilte Täter und die Institution, die sie beschäftigt, den Opfern Schadenersatz zahlen müssten, sagt Verbandschef Hilgers.

Das größte Defizit sieht Hilgers derzeit jedoch bei der Ausstattung von Kinderschutzzentren und Beratungsstellen: "Die sind chronisch unterfinanziert." Zuständig für die Finanzierung sind die Kommunen - und die Kommunen sind klamm. Die gleiche Erfahrung machen auch die Opfer-Beratungsstellen "Zartbitter" in Köln und "Wildwasser" in Berlin, die zu ihrem Ärger zum Runden Tisch nicht eingeladen wurden. Beide Einrichtungen arbeiten nach ihren Angaben am Rande ihrer Kapazitäten.

epd