Melanchthons Vermächtnis: Bildung für alle

Melanchthons Vermächtnis: Bildung für alle
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat den Reformator Philipp Melanchthon (1497-1560) gewürdigt. An einem Festakt in der Wittenberger Schlosskirche zum 450. Todestag Melanchthons nahmen Vertreter aus Kirche und Politik teil, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (beide CDU). Der amtierende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider hob dabei die aktuelle Bedeutung Melanchthons für das Miteinander der Kirchen sowie die Notwendigkeit von Bildungsgerechtigkeit hervor.
19.04.2010
Von Bernd Buchner

Wenn Angela Merkel ins beschauliche Wittenberg kommt, noch dazu nach einem vulkanaschebedingt stressigen Wochenendtrip durch halb Europa, muss etwas Besonderes der Anlass sein. Der 450. Todestag des Lutherfreundes Philipp Melanchthon wird gefeiert - da darf auch die etwas ermattet wirkende Kanzlerin nicht fehlen, zumal der berühmte Philologe, Theologe und Pädagoge zu den "größten Deutschen" gehört, wie Merkel mit leiser Stimme hervorhebt. Die Festgäste in der Wittenberger Schlosskirche hören es gerne.

"Bildung für alle", so könne man Melanchthons Botschaft zusammenfassen, erläutert die Regierungschefin und nennt ihn "einen der größten Bildungsreformer unserer Geschichte". Ob der aus dem Badischen stammende Professor allerdings die Bildung selbst über die Frömmigkeit stellte, wie Merkel meint, darf man getrost bezweifeln. Bei aller Gelehrsamkeit war Melanchthon nämlich auch ein höchst spiritueller Mensch, der zahllose Gebete verfasste. Bildung war für ihn nie Selbstzweck, sondern stand im Dienste des Glaubens: Nur ein gebildeter Mensch ist wahrhaft religiös.

Ein Lob für die Lehrer

Doch da ist die CDU-Chefin schon weiter im Manuskript ihrer Sonntagsrede am Montag, in der sie sämtliche bildungspolitische Standardsätze, die man gegenwärtig so sagt, aneinanderreiht: Bildung sei gut für Wirtschaft und Demokratie, doch zu oft entscheide noch die Herkunft über das Fortkommen, weshalb es gut sei, dass Bund und Länder an dem Thema dran seien und man künftig zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts für Bildung ausgeben wolle und so weiter. Dann noch ein Lob für die Lehrer, die bei guter Arbeit schlecht bezahlt und von allen beschimpft würden.

Pünktlich um 13.58 Uhr, kurz bevor die Fernsehübertragung des Festakts endete, war die Kanzlerin durch. Zuvor hatte der rheinische Präses Nikolaus Schneider eine Montagsrede gehalten mit klugen Worten schilderte er das genialische Wittenberger Gegensatzpaar, den Polterer Luther und den Diplomaten Melanchthon, rühmte dessen ökumenische Leidenschaft und nahm ihn gegen den Vorwurf der konfessionellen Unzuverlässigkeit in Schutz. "Die Brückenbauer erfahren im protestantischen Kontext nicht immer die gebührende Wertschätzung", so die Mahnung des amtierenden EKD-Ratsvorsitzenden.

Bildungspolitische Mängel

Dann aber legte Schneider los und hielt der Politik sämtliche bildungspolitische Mängel und Unzulänglichkeiten vor. "Wenn gebildete Menschen dazu nötig sind, öffentliche Übel abzustellen, dann müssen Schulen und Hochschulen flächendeckend vorhanden sein", verlangte der Präses. Die frühkindliche Bildung müsse weiter ausgebaut, der falsche Gegensatz zwischen Eliten- und Breitenförderung überwunden und der konfessionelle Religionsunterricht gestärkt werden. Bildung, so der Ratschef, müsse viel mehr sein als Wissensvermittlung.

Zu Beginn der Melanchthon-Gedenkstunde, die von der Wittenberger Hofkapelle hymnisch untermalt wurde, würdigte auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) den Reformator und sein "leidenschaftliches Engagement für die Bildung von Menschen". Dessen Motto "ad fontes", zurück zu den Quellen, sei auch heute noch von Belang: So wären etwa Missverständnisse auch im politischen Bereich vermeidbar, so Böhmer, "wenn wir uns immer nur auf die Quellen von Informationen beziehen würden".

Wo bleibt der Glaube?

Dass Sachsen-Anhalt mehr Geld für die Förderung der in der UNESCO-Welterbeliste stehenden Reformationsstätten im Land haben möchte, gab der Landeschef der Bundespolitik dann gleich aus erster Hand mit. "Ich gehe davon aus, dass das Konsequenzen hat." Der Tourismus ist einer der wenigen Wachstumsmärkte im Lande Luthers und Melanchthons - und mancher Kirchenmann beäugt kritisch die Kulturalisierung und Kommerzialisierung des Reformationsgedenkens. Wo bleibt der Glaube? In Wittenberg sind noch etwa 15 Prozent der Bevölkerung Mitglied einer Kirche.

Wenig berührt vom kulturprotestantischen Bildungsdogma gab sich der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, der den erkrankten Chef der katholischen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, vertrat. In seinem Grußwort versuchte er flugs die Heimholung Melanchthons zu den Altgläubigen: "Im Ton verbindlich, in seiner Theologie verbindend" habe dieser gewirkt und keine Kirchenspaltung gewollt. Nach Müllers Darstellung zählte der Reformator neben Taufe und Abendmahl auch Buße und Priesterweihe zu den Sakramenten. Im Vergleich zu Luther sei dies "besonders erhellend".

Evangelischer Heiliger

In der dank TV-Übertragung gut ausgeleuchteten Schlosskirche war unter allem Ernst angesichts der Gedenkstunde und der bedeutungsschweren Bildungsreden auch Platz für Heiterkeit. Müller erntete Schmunzeln, als er am Ende seines Grußworts Melanchthon um Fürsprache im Himmel für das Gelingen des Ökumenischen Kirchentags in München bat - und ihn so kurzerhand zum evangelischen Heiligen machte. Schneider wiederum präsentierte eine andere Haltung des Reformators: Er habe sich das Reich Gottes als himmlische Akademie vorgestellt. Es gibt also auch eine Bildung nach dem Tod. Das macht Hoffnung.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Kultur und Politik