Der Ratzinger-Papst und die Konfrontation mit dem Zeitgeist

Der Ratzinger-Papst und die Konfrontation mit dem Zeitgeist
Papst Benedikt XVI. ist seit fünf Jahren im Amt. In dieser Zeit hat er die Sympathien von Juden, Muslimen, Protestanten, liberalen Katholiken und der Weltöffentlichkeit verloren.
18.04.2010
Von Bettina Gabbe und Bernd Buchner

Am Anfang waren die Erwartungen hoch: "Wir sind Papst" freuten sich nicht nur die Katholiken in Deutschland, als Joseph Ratzinger am 19. April 2005 zum Papst gewählt wurde. Kritiker von Ratzinger, der als Berater deutscher Kardinäle während des Zweiten Vatikanischen Konzils tätig war, hofften, als Papst werde er sich vom strengen Glaubenshüter zum Reformer wandeln. Fünf Jahre später wird vielfach Ernüchterung artikuliert - nicht zuletzt unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals, durch den sich die katholische Kirche in einer tiefen Krise befindet.

Auf den charismatischen Papst Johannes Paul II. (1978-2005) aus Polen, der mit missionarischem Eifer und offenen Armen auf die Gläubigen zuging, folgte auf dem Stuhl Petri der gelehrte Professor. Nach seiner Wahl bat Benedikt XVI. darum, Geduld mit ihm zu haben. Mittlerweile nimmt der 1927 im bayerischen Marktl geborene Joseph Ratzinger die Begeisterung der Gläubigen dankbar entgegen.

Einen ersten großen Auftritt hatte Benedikt beim katholischen Weltjugendtag im Sommer 2005 in Köln. Der von griechischer Bildung geprägte Papst aus Deutschland hielt theologisch geschliffene Predigten, die nicht die Mystik von Johannes Paul II. atmeten. Trotzdem gehört der rhythmische Ruf "Be-ne-det-to" mittlerweile zu den Standardchören auf dem Petersplatz, wenn sich das Oberhaupt von mehr als einer Milliarde Katholiken weltweit öffentlich zeigt.

Gespräch mit Hans Küng

Nach der Rückkehr vom Weltjugendtag überraschte Benedikt in der Abgeschiedenheit der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo bei Rom die Öffentlichkeit damit, wen er als Gesprächspartner empfing. Darunter befanden sich der Generalobere der ultrakonservativen Priesterbruderschaft Pius X., Bernard Fellay, und der kirchenkritische Theologe Hans Küng.

Als Präfekt der Glaubenskongregation hatte sich Ratzinger aus Sorge um die "Einheit der Kirche" während der 1980er Jahre vergeblich darum bemüht, die Anhänger der erzkonservativen Traditionalisten zum Einlenken zu bewegen. Sie hatten sich aus Protest gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils abgespalten. Mit Professor Küng, dem 1979 auf Betreiben des Vatikans die Lehrerlaubnis entzogen worden war, führte das Kirchenoberhaupt ein Gespräch "in freundschaftlicher Atmosphäre".

Wichtige Ämter in der Kurie besetzte Benedikt mit Mitarbeitern und Vertrauten. Auf den freien Posten des obersten Glaubenshüters beförderte der Papst den Erzbischof von San Francisco, William Levada. Als Mitglied der Glaubenskongregation hatte dieser Ratzinger zugearbeitet. Seinen ehemaligen zweiten Mann in der Glaubenskongregation, Tarcisio Bertone, ernannte er zum Kardinalstaatssekretär, dem zweitmächtigsten Mann im Vatikan.

"Schlechtes und Inhumanes"

Wenn er inhaltlich auch die Beibehaltung von Zielen seines Vorgängers wie die Ökumene und den interreligiösen Dialog beschwor, so löste Benedikt doch bei seiner zweiten Deutschlandreise 2006 mit seiner Regensburger Vorlesung über "Glaube, Vernunft und Universität" erhebliche Irritationen aus. Das Zitat eines byzantinischen Kaisers aus dem späten Mittelalter, nachdem der Islam "nur Schlechtes und Inhumanes" mit sich gebracht habe, wurde in der islamischen Welt als persönliche Meinung des Papstes missverstanden. Umso stärker betonte Benedikt XVI. wenige Monate später bei seiner Türkeireise auf den Spuren des Apostels Paulus Übereinstimmungen zwischen Islam und Christentum.

Der "Regensburger Rede", deren eigentliches Thema die drohende Auflösung der Allianz von Glaube und Vernunft durch Tendenzen in der säkularen Moderne war und unter Protestanten viele Fragen auslöste, schlossen sich vielfältige Bemühungen an, die zu einer Intensivierung des interreligiösen Gesprächs mit dem Islam führten. In der jüdischen Welt sorgte die Aufhebung der Exkommunikation für vier Bischöfe der traditionalistischen Piusbruderschaft, darunter der Holocaust-Leugner Richard Williamson, für Proteste. Diese Rehabilitierung stieß auch in Deutschland auf heftigen Widerspruch. Auch die Wiederzulassung der lateinischen Messe und die von ihm selbst verfasste Karfreitagsfürbitte zur Bekehrung der Juden wurde nicht nur von Juden kritisiert.

Errungenschaften des Konzils

Päpste kommen und gehen, doch die Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) bleiben - das Vermächtnis der berühmten Bischofsversammlung, die die Weichen für die Modernisierung der katholischen Kirche stellt, ist auch die Nagelprobe für das Ratzinger-Pontifikat. Als er noch nicht Papst war, hat Joseph Ratzinger Positionen vertreten, die ganz im Sinne des Konzils waren - so seine Wendung gegen den Zölibat im Jahr 1970. An diese mutigen Positionen sollte man das Kirchenoberhaupt heute erinnern. Der junge Wissenschaftler dachte offenkundig anders als der alte Papst.

In der Ökumene mit den anderen christlichen Konfessionen gab es mehrfach Irritationen. Der 2007 veröffentlichte Text "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche" bekräftigte die Positionen, die sieben Jahre zuvor die römische Glaubenskongregation unter ihrem Präfekten Ratzinger in der Schrift "Dominus Iesus" formuliert hatte. In dem Dokument hieß es über die Kirchen der Reformation, dass sie nicht Kirchen im eigentlichen Sinne seien.

Kopfnuss für Anglikaner

Die anglikanische Kirche fühlt sich ihrerseits durch die Gründung von Kirchenstrukturen für übertrittswillige Anglikaner vor den Kopf gestoßen. Beobachter sind überzeugt, dass sich Benedikt den orthodoxen Kirchen in seiner Sorge vor der "Diktatur des Relativismus" enger verbunden fühlt als den reformatorischen Kirchen, die sich auf die "Freiheit eines Christenmenschen" berufen. Bei der Annäherung zur orthodoxen Kirche gab es zwar Fortschritte, aber keinen Durchbruch.

Doch in richtig schweres Wetter geriet der Papst vor allem nach den jüngsten Missbrauchsskandalen, die aus der katholischen Kirche in Deutschland und Irland bekannt wurden. Vorwürfe wegen mangelnder Aufarbeitung der Fälle in der Vergangenheit überschatten seit Wochen das Pontifikat Benedikts XVI., der angetreten war, um der katholischen Kirche zu Stabilität und klarem Profil zu verhelfen. Für fortschrittliche Katholiken bleibt die Hoffnung auf einen Papst Johannes XXIV., der das Erbe des Roncalli-Papstes Johannes XXIII. (1958-1963) antritt und die "Fenster der Kirche aufreißt".

epd/evangelisch.de