Die Bibel - geschenkt (7): Das Wort Gottes getwittert

Die Bibel - geschenkt (7): Das Wort Gottes getwittert
Über die Informationsflut, der moderne Menschen ausgesetzt sind, wurde schon viel geschrieben. Auch über die abnehmende Fähigkeit, sich über längere Zeiten zu konzentrieren. Was die Lektüre eines Mammutwerkes wie der Bibel angeht, sind das schlechte Voraussetzungen. Doch eine Abhilfe gibt es in unseren Tagen natürlich auch - durch die Twitter-Bibel.
07.04.2010
Von Ingo Schütz

Eine Chiffre für die kurze Aufmerksamkeitsspanne moderner Menschen ist die Kurznachricht. Alles muss verknappt werden, Briefe auf 140 Zeichen zusammengekürzt. Mehr passt nicht in eine SMS, die von Handy zu Handy geschickt wird. Der Online-Dienst Twitter ist nichts anderes: Was man vor sich hin zwitschert (dt. für to twitter) muss in 140 Zeichen passen. Lesen kann es, anders als bei der SMS, jeder.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Wer es versteht, im Stil der Kurznachrichten zu kommunizieren (und es dürfte heute keine Jugendlichen mehr geben, die diese Kunst nicht erlernt haben), der kann das Wesentliche prägnant formulieren. Nicht mehr "Ich würde mich freuen, wenn wir beide heute Abend einen Film im Kino anschauen könnten ...", sondern "20 Uhr Kino. Lust?"

Wie viel Worte braucht Gott?

Übertragen auf die Bibel ergibt sich sofort ein großer Reiz. Denn, offen gesagt, manche Passagen im Buch der Bücher sind einfach gähnend langweilig. Da würde es gut tun, wenn sich endlich mal einer auf das Wesentliche konzentrieren und eine Zusammenfassung geben könnte. Genau das ist mit der Twitter-Bibel in der edition chrismon geschehen.

[linkbox:nid=15248,15449,15429,15439,15446,15447;title=Unsere Bibelserie]

Federführend bei dem Projekt war das Portal evangelisch.de unter ihrer Leiterin Melanie Huber. Im Vorwort zur gedruckten Twitter-Bibel zitiert sie den Evangelisten Matthäus mit den Worten: "Was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern." Für sie bedeutet das: "Jesus würde vermutlich twittern. Wir verstehen seine Botschaft so: Er würde jedes Kommunikationsmittel nutzen, das tauglich ist, die Menschen zu erreichen. Natürlich würde er trotzdem weiter predigen ...". Aber: "Auch mit wenigen Worten lässt sich das Wort Gottes verkünden."

Diese Grundüberlegungen haben die Initiatoren in einem gewaltigen Projekt umsetzen müssen. Rund um den Kirchentag 2009 in Bremen wurde die gesamte Lutherbibel in 3906 Abschnitte aufgeteilt. Jeder Texteinheit wurde ein eindeutiger Code zugewiesen. Registrierte User konnten nach dem Startschuss loslegen und "ihre" Stelle lesen, durchdenken, zusammenfassen, auf 140 Zeichen bringen. Viele Stellen wurden von mehreren Teilnehmern bearbeitet, andere waren lange verwaist. Am Ende aber war der Versuch geglückt, über 6000 Einsendungen via Twitter waren eingegangen, die komplette Bibel ist innerhalb weniger Stunden durch das Internet gerauscht.

Verdammt gut getroffen

Beeindruckend ist, dass manche Passagen auch theologisch gesehen tolle Verknappungen erfahren haben. So wurde zum Beispiel das gesamte 20. Kapitel des Buches Exodus – das Kapitel, in dem die 10 Gebote überliefert sind – so zusammengefasst: "Gott gab Mose auf dem Berg zehn Gebote, von denen das erste lautete: Ich bin der Herr, Dein Gott, keine anderen Götter sollen neben mir sein."

"Tue nichts, was dir oder deinem Nächsten schadet. Ehre die Menschen, nimm dir Zeit für sie und für dich selbst. Gott zu Mose: Sag den Israeliten, dass sie keine anderen Götter neben mir haben sollen!" Klar, dass die Feinheiten hier keinen Platz haben. Aber die Kernbotschaft der Zehn Gebote ist mit "Tue nichts, was dir oder deinem Nächsten schadet" einfach verdammt gut getroffen. Auch die große Lust der Twitter-Gemeinde am neuen, frischen Formulieren alter biblischer Texte lässt sich nicht übersehen. So heißt es zum Beispiel von der Schöpfung: "Am siebten Tag war Gott fertig mit seinem Kreativ-Projekt, fand das Ergebnis genial und beschloss ab jetzt zu chillen!"

Anders sieht es bei längeren zusammenhängenden Geschichten aus. Der Reiz, der darin besteht, viele Menschen mitmachen zu lassen, bedeutet auch eine Grenze, die nur durch redaktionelle Eingriffe hätte überwunden werden können. Die Geschichte von König David und seinem Propheten Nathan ist wie folgt zusammengefasst: "Gott schickt Nathan zu David: Geschichte vom Reichen, der dem armen Nachbarn sein einziges Schaf klaut. David zornig, fordert Todesstrafe. / Nathan zu König David: Nur um seine Frau zu haben, ließest du Uria sterben. Gott vergibt dir und lässt dir dein Leben – aber dein Kind stirbt." Dass Nathan die Geschichte vom Schafklau als Gleichnis auf die Sünde Davids erzählt und ihn mit dem berühmten "Du bist der Mann!" überführt, kommt hier leider nicht mehr zur Geltung.

Anachronistischer Buchdruck?

Das Ergebnis des Twitter-Projektes liegt nun also in Buchform vor. Ist das nicht rückschrittig, anachronistisch, witzlos? Das Medium Internet will sich ja gerade vom gedruckten Wort emanzipieren, und hier wird der Schritt von Twitter wieder zurück in den Printbereich getan?

Nein, es bedeutet keinen Rückschritt. Die Kurznachrichten-Bibel macht auch in gedruckter Form Sinn. Das liegt zum einen an der Haptik von Büchern ganz generell. Was einer in den Händen hält, das kann ihm nicht so schnell weggenommen werden. Vielleicht ist dieses Gefühl für einen Bibelleser besonders wichtig, will er doch darauf vertrauen, dass das Wort Gottes gilt und nicht morgen – wie bei Internet-Content durchaus möglich – morgen verschwunden ist.

[linkbox:nid=13289,10586,10208,8247,6440,5981;title=Mehr zur Bibel]

Zum anderen erhält man so ein inspirierendes Blätter- und Nachschlagewerk. Es macht einfach Spaß, bekannte Stellen zu suchen und zu sehen, wie sie komprimiert worden sind. Oder mal einen unbekannten Teil der Bibel aufzuschlagen und zu schauen, was da kommt, ohne sich gleich mit einem komplizierten und komplexen Text auseinandersetzen zu müssen.

"Die Bibel kann und darf Spaß machen"

Dass dieses Twitter-Projekt keinen vollwertigen Ersatz zur Bibel darstellt, versteht sich von selbst. Auch für die Initiatoren: "Wir wollen Ihnen keine neue Bibel präsentieren, wir wollen die Heilige Schrift nicht ersetzen. Im Gegenteil. Sie bildet den Mittelpunkt. Deutungen und Verdichtungen sind evangelische Tugenden."

"Ich bin mir sicher", so Melanie Huber, "dass wir es – vielleicht auf etwas unorthodoxe Weise – geschafft haben, den ein oder anderen dazu zu bewegen, zum unnachahmbaren Original zu greifen. Wir haben einen neuen Weg gezeigt, auch mal spielerisch mit den Worten der Bibel umzugehen. Die Bibel kann und darf Spaß machen, auch Leuten, die heute Gedrucktes schon gar nicht mehr in die Hand nehmen.“

Leseprobe

"Liebe überwiegt Boshaftigkeit bei Weitem
(6) 1-5 Jesus: Bete aus freiem Willen und stell dein Gebet nicht zur Show. 6-15 Wenn ihr beten wollt, redet nicht zu viel, Gott weiß schon, was ihr wollt. Betet einfach das Vater Unser. 16-18 Fasten muss man im Verborgenen, ohne dass jemand davon weiß oder erfährt. Denn Gott allein sieht es dann, das muss genügen! 19-25 Habt keine Angst und sorgt euch nicht. Ihr braucht weder Reichtum noch Schätze. Das höchste Gut habt ihr geschenkt bekommen: euer Leben. 26-34 Sorgt euch nicht immer erst um die materiellen Dinge wie Essen und Kleidung, sorgt euch erst darum, dass ihr Gottes Gnade erlangt.
"


Bewertung

 

Originalität 10/10

Lesbarkeit 9/10

Cool-Faktor 10/10

Handgepäcktauglichkeit 8/10

Grafik 8/10

Inhalt 7/10

 

Bestellinformationen

"Und Gott chillte. Die Bibel in Kurznachrichten"

Verlag: edition chrismon

ISBN: 978-3-86921-012-4

332 Seiten

Preis: 9,90 Euro

 


Ingo Schütz ist Diplom-Theologe und angehender Pfarrer.