Zu wenige Unfälle: Hessens Verkehrsminister handelt

Zu wenige Unfälle: Hessens Verkehrsminister handelt
Freie Fahrt für freie Bürger? Wer sich bei den Autofahrern beliebt machen will, lässt die Deutschen rasen - nach diesem Prinzip handelt die hessische Landesregierung. Opferzahlen sind ihr dabei offenbar egal.
29.03.2010
Von Thomas Östreicher

Hessens Wirtschafts- und Verkehrsminister Dieter Posch (FDP) ist auch Vorsitzender einer Expertenkommission zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Aber für manches braucht Posch keinen Rat einer Kommission. Das nimmt er, zack, zack, einfach selbst in die Hand.

So soll es ja auch sein. Wissenschaftler definieren Politik als die Einflussnahme, Gestaltung und Durchsetzung von Forderungen und Zielen. Mit anderen Worten: Etwas ist falsch, wir machen es anders.

Was sind die "tatsächlichen Erfordernisse"?

Entsprechend steht zum Beispiel in der hessischen Straßenverkehrsordnung: Umfang und Höhe der Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Autobahnen sollen den tatsächlichen Erfordernissen angepasst sein. Vor Jahren sah man in Hessen diese tatsächlichen Erfordernisse glasklar – statistisch belegt gab es auf etlichen Autobahnabschnitten zu viele Raser, zu viele Unfälle, zu viele Verletzte, zu viele Tote.

Daraufhin wurden Tempolimits eingeführt. Nicht etwa flächendeckend, das wäre dann doch zu weit gegangen, aber an den neuralgischen Punkten. Die Folge: weniger Raser, Unfälle, Opfer.

Wegen Erfolgs abgeschafft

Der Minister zieht daraus freilich seine eigenen Schlüsse und bemüht eine Logik, die immerhin ihm selbst einleuchtet. Da die Tempolimits erfolgreich waren, schafft er sie diese Woche an 22 Stellen nämlich wieder ab; auf weiteren vier Streckenabschnitten werden Geschwindigkeitsbegrenzungen gelockert.

Poschs geniale Begründung: Schließlich seien sie ja nicht mehr erforderlich, wo es doch jetzt weniger Unfälle gibt. Im Politikerdeutsch hört sich das so an: "Maßgebliches Kriterium für die Aufhebung von Geschwindigkeitsbeschränkungen ist die Entwicklung des Unfallgeschehens und der Straßenzustand."

Ein Hobbykabarettist am Werk

Der 65-jährige Posch liebt die Geschwindigkeit. Als Hobbys gibt er – neben Kabarettspielen – Ski-, Rennrad- und Mountainbikefahren an, und wer wie er im beschaulichen Schwalm-Eder-Kreis wohnt, wünscht sich womöglich mitunter, so schnell wie es geht von dort weg und dahin zu kommen, wo man zügig handelt.

Menschlich ist das natürlich verständlich. Trotzdem der dringende Wunsch an den Minister: Vor dem Tun vielleicht doch erst nachdenken. Kann auch gern etwas dauern.


Thomas Östreicher ist freier Journalist in Hamburg und Frankfurt.