Windsbacher Knabenchor stellt sich Vergangenheit

Windsbacher Knabenchor stellt sich Vergangenheit
Auch beim Windsbacher Knabenchor gab es offenbar zahlreiche Fälle von Gewalt und Misshandlung. Das evangelische Spitzenensemble will seine Vergangenheit aufarbeiten.

Ohrfeige und Schläge haben in dem Chor in den Nachkriegsjahrzehnten zu den gängigen Erziehungsmethoden gehört. Der Vorwurf systematischer Misshandlung sei nach bisherigen Erkenntnissen jedoch übertrieben, heißt es in den am Freitag präsentierten Untersuchungsergebnissen des Chorinternats und einer unabhängigen Ombudsfrau.

Bei der Erlanger Psychologin Ulrike Winkler von Mohrenfels, die seit zehn Tagen als Ansprechpartnerin für ehemalige Sänger des evangelischen Spitzenensembles fungiert, haben sich den Angaben zufolge bisher 18 Zeitzeugen gemeldet. Von ihnen berichteten 15 über Brülltiraden oder körperliche Übergriffe durch den damaligen Chorleiter und Direktoren des Sängerinternates. Vier gaben an, selbst Opfer von Züchtigungen geworden zu sein. Die Vorfälle beziehen sich auf die von 1946 bis 1978 dauernde Ära des Chorgründers Hans Thamm.

Rohrstock und Peitsche

Besonders hervorgetan habe sich in den 1950er Jahren der damalige Internatsleiter Friedrich H., sagte der heutige Internatsdirektor Thomas Miederer. "Er hat immer wieder hinter verschlossener Tür zugeschlagen, auch mit Rohrstock und Peitsche." Auch dessen Nachfolger Wilhelm S. habe "Schüler häufig geohrfeigt". In einem Fall so hart, dass dem Schüler das Trommelfell platzte.

Von dem 2007 verstorbenen Chorgründer und Kirchenmusikdirektor Hans Thamm ist Miederer zufolge ebenfalls bekannt, dass er Ohrfeigen verteilt hat. "Thamm hat gebrüllt, er hat gedemütigt, er hat psychischen Druck ausgeübt", sagte er. Die behaupteten Handkantenschläge und der Tritt in den Unterleib eines Sängers ließen sich jedoch nicht belegen.

Seit Jahrzehnten Gesprächsthema

Obwohl die Übergriffe während der Ära Thamm seit Jahrzehnten Gesprächsthema in Windsbach seien, sei der Chorleiter selbst nach seiner Amtszeit nie mit den Vorwürfen konfrontiert worden. "Es wollte wohl niemand an dieses Denkmal ran", sagte Miederer. Im Vordergrund habe stets Thamms musikalische Leistung gestanden, aus dem Windsbacher Provinzchor ein Ensemble von Weltgeltung gemacht zu haben.

Nach den bisherigen Untersuchungen haben sich von den rund 2.000 Kindern und Jugendlichen, die Chor und Internat seit der Gründung 1946 durchlaufen haben, drei das Leben genommen, darunter zwei erst in späteren Lebensjahren. Ob Zusammenhänge mit Windsbacher Kindheitserlebnissen bestünden, sei nicht bekannt.

"Geehrt und gefürchtet"

Trotz der massiven Grenzüberschreitung in Einzelfällen sei der Knabenchor bei vielen Choristen als schönste Zeit ihres Lebens in Erinnerung, sagte Miederer. Selbst das Urteil über Thamm umfasse eine große Bandbreite: "Er war geehrt und gefürchtet." Heute habe die Windsbacher Pädagogik mit der Ära Thamm nichts mehr zu tun. Gegenüber Gewalt, auch unter Schüler, gebe es null Toleranz. Miederer: "Es ist furchtbar, dass solche Dinge passiert sind, ganz egal ob es in dieser Zeit üblich war oder nicht."

Ob der Windsbacher Knabenchor Forderungen nachkommt, den nach Thamm benannten Chorsaal umzubenennen und auf die Entziehung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Windsbach zu drängen, ließ Miederer offen.

epd