Irak: Wenn Wahlen zu viele Sieger haben

Irak: Wenn Wahlen zu viele Sieger haben
Das Ergebnis der Parlamentswahl im Irak steht zwar noch aus. Doch es ist absehbar, dass in Bagdad harte Koalitionsverhandlungen anstehen. Es gibt viele Sieger und wenig Kompromissbereitschaft. Sunniten, Schiiten und Kurden rivalisieren um die Macht im Staat.
08.03.2010
Von Anne-Beatrice Clasmann

Was die Verhandlungen zusätzlich erschwert, ist die Tatsache, dass es den meisten Parteien weniger um ein politisches Programm geht als darum, wie viele lukrative Posten sie ihrer Anhängerschaft in der nächsten Legislaturperiode zuschustern können. Die Beobachter im Irak sind in ihren Prognosen deshalb bislang nicht so positiv wie US-Präsident Barack Obama, der die Wahl als "Meilenstein" lobt.

"Man wird sehen, was passiert, wenn die offiziellen Resultate bekanntgegeben werden. Viele Menschen hier haben die Sorge, dass die Verlierer das Ergebnis nicht akzeptieren werden", sagt ein irakischer TV-Reporter am Tag nach der Wahl vom Sonntag. Mit ihm befürchten viele Iraker jetzt, dass unterlegene Parteien versuchen könnten, die Ergebnisse zu fälschen - oder eine Regierung, an der sie nicht beteiligt werden, mit Gewalt zu Fall zu bringen.

Ergebnis am Donnerstag

Das vorläufige offizielle Wahlergebnis werde frühestens am kommenden Donnerstag verkündet, sagte der Chef der Wahlkommission, Farradsch al-Haidari, am Montag in der Hauptstadt. Es gibt drei große arabische Fraktionen, die alle die Regierung bilden wollen: Die Rechtsstaat-Koalition von Ministerpräsident Nuri al-Maliki, die religiöse Schiitenallianz von Ammar al-Hakim und das reformorientierte nationalistische Bündnis Al-Irakija unter dem säkularen Schiiten Ijad Allawi, das gestärkt aus der Wahl hervorgeht.

Nach unbestätigten Berichten liegen die Allianz von Al-Maliki und die Allianz der Religiösen, zu der auch der im Iran residierende radikale Schiitenprediger Muktada al-Sadr gehört, in Bagdad und den vorwiegend von Schiiten bewohnten Landesteilen des Südens etwa gleichauf. In einigen Städten, in denen vorwiegend Sunniten leben, konnte die Al-Irakija-Liste nach eigenen Angaben die Mehrheit erringen. Schlecht schnitten die traditionellen religiösen Parteien der Sunniten ab.

Schiiten im Süden vorne

Die schiitische Nachrichtenagentur Burathanews meldete, die Schiitenallianz habe in Bagdad und in den Südprovinzen Dhi Kar, Amara, Diwanija und Missan den ersten Platz belegt. In der Hafenstadt Basra und in der Provinz Nadschaf habe die Koalition von Al-Maliki gesiegt. In der Provinz Wasit hätten die beiden Bündnisse etwa gleich viele Stimmen erhalten. Den ersten Platz in Bagdad reklamierte allerdings auch das Bündnis von Al-Maliki für sich. Faruk Abdullah, der für Al-Malikis Koalition kandidiert hatte, prognostizierte: "Es wird auf eine Regierung hinauslaufen, an der alle Interessengruppen beteiligt werden."

Selbst den Vertretern der Parteien, die am Sonntag gut abgeschnitten haben, bleibt angesichts der zu erwartenden Schwierigkeiten bei den Koalitionsverhandlungen der Jubel im Hals stecken. Es werde wohl nicht einfach sein, unter den anderen Wahlsiegern Verbündete zu finden, "denn wir wollen ja schließlich einen modernen Staat schaffen", sagt der sunnitische Abgeordnete Mustafa al-Hiti von der Al-Irakija-Allianz.

Tschador und Turban

Seine Partei hatte sich den Irakern im Wahlkampf als Alternative zu den religiösen Schiitenparteien angedient, die in den vergangenen Jahren viele fromme Schiiten in den Ministerien untergebracht hatten. "Es ist schon unglaublich, dass Frauen mit Tschador und Männer mit Turban heute leitende Beamte sind", sagt ein Al-Irakija-Wähler voller Entsetzen.

Auch die kurdische Liste Goran ("Wandel"), die neben Al-Irakija der zweite Newcomer im Parlament ist, weiß nicht so recht, mit wem sie eventuell Gemeinsamkeiten finden könnte. "Bis jetzt haben wir uns noch für keine Koalition mit einer anderen Partei entschieden, wir warten jetzt erst einmal ab", erklärt ihr Sprecher Mohammed Tawaffuk Rahim. Goran konnte in den kurdischen Nordprovinzen etwa ein Viertel der kurdischen Stimmen auf sich vereinigen. Dadurch wird sie zu einem ernsthaften Konkurrenten für die etablierten Kurdenparteien KDP und PUK.

Eine Regierung ganz ohne die Kurden wäre zwar rein rechnerisch möglich. Doch die arabischen Parteien wissen, dass dies die Abspaltung der ohnehin schon weitgehend autonomen Kurdenprovinzen im Norden vorantreiben würde. Und in einem Punkt sind sich alle arabischen Parteien einig: Die Verantwortung für ein Auseinanderbrechen des Staates, den Diktator Saddam Hussein einst mit eiserner Faust zusammengehalten hatte, wollen sie nicht übernehmen.

Gute Wahlbeteiligung

Das Land ist noch immer ein Pulverfass, wie sich auch am Sonntag zeigte. Extremisten hatten in Bagdad und mehreren Provinzen des Zentralirak Anschläge verübt, um die Wahl zu stören. Die Beteiligung lag dennoch nach ersten Angaben der Wahlkommission landesweit bei rund 60 Prozent. Berichte über Wahlfälschungen werden geprüft. Die Wahlkommission berichtete, Kandidaten und Parteien hätten "Dutzende von Beschwerden" eingereichet.

Unterdessen sieht die Bundesregierung nach der Wahl in Irak die Voraussetzungen für eine demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung in dem Land verbessert. Nun werde es darauf ankommen, eine stabile Regierung zu bilden und die demokratischen Institutionen weiter aufzubauen, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin. Obama machte deutlich, am Zeitplan für den Abzug der US-Truppen festhalten zu wollen. Bis zum Ende kommenden Jahres sollen wie vorgesehen alle amerikanischen Soldaten das Land verlassen haben.

dpa