Rhythmus der Natur: Frühjahrsputz für die Seele

Rhythmus der Natur: Frühjahrsputz für die Seele
Der Abschied vom Winterblues ist in greifbarer Nähe: Nach dem harten Winter wecken mehr Sonnenlicht, steigende Temperaturen und bunte Blumen die Lebensgeister. Die ersten Frühlingstage nahen.
04.03.2010
Von Dieter Sell und Jan Fragel

Wer jetzt durch die Gewächshäuser von Ralph Arkenau spaziert, dem geht das Herz auf. Kurz nach dem meteorologischen Frühlingsanfang am 1. März strahlen unter seinen Glasdächern gelbe Primeln mit Osterglocken und Tulpen um die Wette. "Ab zehn Grad Celsius werden die Leute kribbelig", sagt der Gärtnermeister und Florist aus Delmenhorst bei Bremen. "Nach dem harten Winter in diesem Jahr ist die Lust auf Farbe und Blumen besonders groß."

Abschied vom Winterblues

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Die Meteorologen sprechen zwar nicht unbedingt von einem Rekordwinter. Doch besonders im Norden und im Nordosten türmten sich in den zurückliegenden Wochen ungewöhnlich hohe Schneemassen. Berlin etwa lag vom 30. Dezember bis zum 26. Februar unter einer geschlossenen Schneedecke. Nun ist der Abschied vom Winterblues in greifbarer Nähe. "Wir merken jedes Grad mehr abends in der Kasse", sagt der 46-jährige Gärtner Arkenau, der seinen Betrieb in der vierten Generation führt. Dieses Jahr zieht er etwa 200.000 Frühblüher wie Primeln und Stiefmütterchen heran.

Mehr Licht und Wärme - das sind die Wurzeln für die Frühlingsgefühle, die bei vielen Menschen in diesen Tagen wach werden. "Viele vergessen dieses evolutionäre System, dem wir uns als Kinder der Natur gar nicht entziehen können", erläutert der Berliner Biopsychologe Peter Walschburger. "Durch mehr Sonnenlicht wird in unserem Körper auch mehr Serotonin produziert. Das Glückshormon weckt unsere Lebensgeister und wirkt wie ein Frühjahrsputz für die Seele. Deshalb sind wir nach diesem Winter auch besonders scharf auf den ersten richtigen Frühlingstag."

Der inneren Uhr folgen

Und mit dem Frühling steigt auch das Kribbeln im Bauch, die Lust auf Bewegung, auf Erotik und Sex. "Sensible Menschen spüren diese intime Wechselbeziehung zwischen Gefühl und Körper besonders stark", sagt der 63-jährige Wissenschaftler. Zum Beweis zitiert er Gedichte und Romane von Friedrich Hölderlin, Theodor Fontane, Rainer Maria Rilke - und natürlich den Klassiker von Eduard Mörike (1804-1875): "Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte". Wem die dunkle Winterzeit allzu tief in den Knochen steckt, der sollte sich diesen Gefühlen besonders öffnen, rät Walschburger.

Doch der Mensch ist eben nicht nur ein Naturwesen, sondern auch ein Kulturgeschöpf. "Oft entfernen wir uns weit von der Natur, machen die Nacht zum Tag, halten uns mehr in geschlossenen Räumen auf, arbeiten im Schichtdienst, schlucken Hormone", sagt der Biopsychologe. Viele Menschen verkrafteten das erstaunlich gut. "Insgesamt gilt aber: Je weiter wir uns vom Rhythmus der Natur entfernen, um so höher ist der Preis, den wir dafür bezahlen." Schlafprobleme könnten die Folge sein, aber auch Depressionen genauso wie Herz- und Kreislaufstörungen.

Also raus ins Licht zum Spaziergang, bewegen, der inneren Uhr folgen, gesund ernähren. "Das gibt mir eine Riesenkraft", sagt der begeisterte Sportler Walschburger, der Ski fährt und Tennis spielt.

Mix aus Licht, Luft und Wärme kitzelt die Sinne

Andere haben jetzt das Bedürfnis, nicht nur die Seele, sondern auch ihre Umgebung in neuem Licht erstrahlen zu lassen. Die Wohnung wird entrümpelt und geputzt, an den Autowaschanlagen bilden sich lange Schlangen. "Die Leute rennen uns die Bude ein", bestätigt Stefan Berg, Mitarbeiter einer Waschanlage an der Autobahnausfahrt im niedersächsischen Göttingen.

Bis zu 100 Autos werden bei ihm pro Stunde über ein Laufband an rotierenden Bürsten und Düsen vorbei gezogen, bis sie nach etwa 25 Metern von Winterdreck und Salzrändern befreit glänzen. "Ein sauberes Auto gehört für mich zum Frühling dazu", sagt Mareen Messing aus Göttingen, während sie nach dem Waschen die Polster ihres Kleinwagens absaugt. Die Steinchen aus dem Fußraum, Überbleibsel vom Winterdienst auf vereisten Straßen, verabschieden sich dabei laut rasselnd auf ihrem Weg durch den Schlauch.

Vorösterliche Aktionen und Messen wie die Bremer "Frühlingsbörse", das Kasseler "Frühlingserwachen" oder die "Haus-und-Garten"-Ausstellung in Essen sollen das Serotonin-gesteuerte Geschäft mit dem Frühling zusätzlich ankurbeln. Denn es sind besonders die hellen und frischen Farben in den Blumengeschäften, die mit einem Mix aus Licht, Luft und Wärme die Sinne kitzeln. "Noch ist der Boden gefroren", räumt Gärtnermeister Arkenau ein. "Aber wenn es draußen 15 Grad sind, müssen wir uns auf einen enormen Ansturm gefasst machen."

epd