Migranten und die Hartz-IV-Falle

Migranten und die Hartz-IV-Falle
Mehr als jeder vierte Bezieher von Hatz IV weist einen Migrationshintergrund auf. Nicht anerkannte ausländische Abschlüsse und ungleiche Chancen bei Arbeitgebern erschweren die Jobsuche.
01.03.2010
Von Georg Ismarerlin

Astrid-Sabine Busse will erstmal gar nichts mehr sagen. Sie leitet in Berlin-Neukölln die Grundschule in der Köllnischen Heide, die mit die meisten Kinder aus Hartz-IV-Familien in Deutschland hat. 80 Prozent der Eltern der 660 Schüler sind arbeitslos, 80 Prozent sind Migranten, vorwiegend Türken und Araber. 468.000 Euro an Hartz-IV-Zahlungen gehen Monat für Monat an Eltern und Schüler. Frau Busse hatte zum Beispiel gesagt, dass ihre Küchenfrauen für sieben Euro brutto die Stunde arbeiten und weniger haben, als die, die nicht arbeiten. Sie möchte nun die schwierige Debatte nicht weiter befeuern.

Bei der anstehenden Hartz-IV-Reform wird es auch darauf ankommen, den Migranten-Anteil von 28 Prozent an den Hartz-IV-Empfängern zu senken. Aber wie? Auf der Suche nach Antworten kommen meist die gleichen Schlagwörter: Schulabschlüsse, Deutschkenntnisse, bessere Qualifikationen - aber auch mehr Druck.

Anerkennung ausländischer Abschlüsse

Das Grundproblem: Es gibt zu wenig ausreichend bezahlte Jobs, die nur geringe Qualifikationen verlangen. Und rund ein Drittel der arbeitslosen männlichen Migranten hat einen ausländischen Abschluss, der in Deutschland nicht anerkannt wird. "Für die vielen gut qualifizierten Akademiker und Fachkräfte mit ausländischen Abschlüssen müssen wir in diesem Jahr schnell eine gesetzliche Regelung treffen", sagt die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU) in einem Interview.

Beim Thema Migranten und Hartz IV sind vier Wahrheiten zu benennen. Erstens: Viele Migranten, die Arbeitslosengeld II beziehen, sprechen wenig bis gar kein Deutsch. Es gibt zudem große Unterschiede, Vietnamesen etwa kommen oft in gute Jobs. Laut einem Forschungsbericht für das Arbeitsministerium ist die Hilfsquote am höchsten unter Einwanderern aus Osteuropa, gefolgt von Türken.

Sozialstaat Deutschland nicht verlockend

Zweitens: Ein Herr Müller wird bei gleicher Qualifikation von Unternehmen oft einem Herrn Öztürk vorgezogen - für eine Studie im Auftrag des Instituts zur Zukunft der Arbeit wurden 1.000 Bewerbungen auf Praktikumsstellen für Wirtschaftsstudenten verschickt, Bewerber mit türkischen Namen erhielten 14 Prozent weniger positive Antworten als Deutsche.

Drittens: Der Sozialstaat in Deutschland ist nicht mehr so verlockend, dass es ein flächendeckendes Einrichten im sozialen Netz gibt. Wer heute nach Deutschland kommt, hat nicht nur staatliche Hilfe im Sinn: "Die Zeiten, dass unser Sozialsystem eine Einwanderung in die sozialen Netze auslöst, sind lange vorbei", sagt Maria Böhmer und fügt hinzu: "2008 betrug der Wanderungsüberschuss bei Ausländern knapp 11.000, im Jahr 2007 waren es noch etwa 99.000 Zuzüge."

Eltern sollten Vorbild sein

Viertens: Es gibt auch bei Migranten Missbrauch von Hartz IV. Im Rathaus in Berlin-Neukölln redet Arnold Mengelkoch ausführlich über solche Missstände - dem Migrationsbeauftragten des Bezirks ist etwa zu Ohren gekommen, dass eine libanesische Mutter mit ihrer Tochter die Wohnung an Verwandte gleichen Namens weitervermietet hat und von Hartz IV plus Miete im Libanon lebt. "Wie kann ein Staat so wenig kontrollieren", fragt er. "Kindergelderhöhungen, ein Betreuungsgeld und vielleicht höhere Hartz-IV-Sätze: Die lachen doch über uns."

Die Suche nach Lösungen ist schwer - besonders in einigen westdeutschen Großstädten, wo mehr als jeder zweite Hartz-IV-Empfänger Migrant ist. "Wenn alle im Haus von Hartz IV leben, ist es weniger peinlich, der Druck, da rauszuwollen ist dann geringer", sagt Mengelkoch. Es komme zunächst einmal darauf an, das Bewustsein der Eltern zu schärfen, damit sich nicht die Jugendlichen in Hartz IV einrichteten. "Aber wenn sie schon den Elternsprechtag meiden, sind das schlechte Voraussetzungen", sagt er.

"Klassisches Anreiz-Problem"

Mehr Ganztagsschulen und eine stärkere Durchmischung der Klassen erachtet er beim frühzeitigen Vorbeugen gegen Hartz-IV-Karrieren als sinnvoll. Zugleich müsse bei den Erwachsenen der Druck erhöht werden, etwa durch strengere Kürzungen bei Kindergeld oder Hartz IV, wenn sie nicht mit dem Staat kooperieren. Einen Ansatz sieht Mengelkoch auch in Mikrokrediten und einer Selbstständigkeitsinitiative, da Jobs für Geringqualifizierte rar sind.

Angesichts der oft schlechteren Bildung gebe es bei dieser Gruppe insgesamt weniger Chancen aus Hartz IV herauszukommen, betont Holger Seibert vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Abseits aller Debatten zu diesem Thema komme bei Migranten das "klassische Anreiz-Problem" besonders zum Tragen: "Gehe ich für 5 Euro pro Stunde zur Arbeit oder bleibe ich für 5 Euro zu Hause."

dpa