Chile: Erst kam das Beben und dann das Meer

Chile: Erst kam das Beben und dann das Meer
Nach dem großen Erdbeben in Chile wurden weite Küstenabschnitte im Süden des Landes auch noch durch Flutwellen getroffen. Über 300 Menschen sind den Katastrophen bisher zum Opfer gefallen.

Bei dem verheerenden Erdbeben in Chile der Stärke 8,8 sind nach neuen Angaben der Behörden mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen. Das ganze Ausmaß eines der schwersten jemals gemessenen Erdbeben wurde knapp 24 Stunden nach der Katastrophe langsam deutlich. Außer den erheblichen Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur in der Hauptstadt Santiago und anderen Großstädten weiter im Süden des Landes wurden weite Küstenstriche durch große Flutwellen verwüstet.

"Es bebte und dann kam das Meer in unser Haus, es reichte uns bis zum Hals. Ich habe meine Tochter umarmt und ihr gesagt: Durchhalten", erzählte Eloísa Fuenzalida, eine Einwohnerin des völlig zerstörten Ortes Iloca im Süden Chiles die dramatischen Szenen. "Als wir konnten, sind wir durch den Morast in Richtung Berge. Ich weiß nicht, wie viele gestorben sind", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Das Meer hat alles weggeschwemmt

Ein Mann namens Luis Bravo berichtete, sie hätten das Gebiet zu Fuß verlassen müssen, weil alle Autos und Lkws unbrauchbar gewesen seien. "Das Meer hat die Autos weggeschwemmt, die Häuser, alles, alles", sagte ein Hörer einem Radiosender in Curicó, einem Ort etwa 120 Kilometer von Iloca entfernt. Das gewaltige Erdbeben verwüstete auch diese südchilenische Stadt. "Diese Trümmer waren eine Kirche, die 'El Buen Pastor' (Der Gute Hirte) hieß. Wir hätten heute Messe gehabt", sagte Nelly Acevedo, Gemeindemitglied aus Curicó.

Der historische Stadtkern Curicós ist weitgehend dem Erdboden gleich gemacht. Die Lehmhäuser stürzten ein. In den Rinnsteinen sitzen Kinder über und über mit Staub bedeckt und halten ihre Kuscheltiere fest. Die Behörden vorsorglich eine Ausgangssperre verhängt, um Plünderungen zu verhindern. Kritisch war die Lage auch in der Stadt Chillán, wo 269 Häftlinge nach dem Erdbeben aus dem Gefängnis flohen. 28 von ihnen wurden gefasst, mindestens drei auf der Flucht erschossen. Die Polizei patrouilliert in den zerstörten Gebieten.

In der Stadt Talcahuano mit 165.000 Einwohnern wurde größere Schiffe bis ins Stadtzentrum geschwemmt. Im zerstörten Hafen lagen riesige Seecontainer wie Streichhölzer durcheinander. Zehntausende Menschen im Katastrophengebiet verbrachten die Nacht aus Angst vor weiteren Beben im Freien.

1,5 Millionen Wohnungen zerstört

Präsidentin Michelle Bachelet versuchte, ihren geplagten Landsleuten Mut zu machen: "Wie bei früheren Katastrophen werden wir auch diese Probe bestehen", sagte sie bei einer Fernsehansprache. Nach ihren Angaben waren zwei Millionen Menschen direkt von dem Beben betroffen und 1,5 Millionen Wohnungen teilweise oder ganz zerstört.

Für nahezu die gesamte Pazifik-Region war zunächst eine Warnung vor einem Tsunami ausgerufen. Während die Flutwelle in Hawaii relativ glimpflich verlief, wurde auf der chilenischen Pazifik-Insel Robinson Crusoe fast alle Gebäude des einzigen Ortes zerstört. Dort starben mindestens fünf Menschen in den Wassermassen und elf weitere wurden vermisst. Auch in dem kleinen Küstenort Boyecura richtete die Flutwelle enorme Schäden an. "Das Wasser hat alles, aber auch alles fortgerissen", sagte einer der Überlebenden.

Die befürchteten Riesenwellen blieben im Pazifik jedoch aus. Das Tsunami-Warnzentrum auf Hawaii hob alle Warnungen vor Riesenwellen für den Pazifischen Raum auf. Nur für die Küsten Japans und Russlands wurden sie aufrecht gehalten. Wie die nationale Meteorologische Behörde am Sonntag in Tokio mitteilte, könnte ein Tsunami von einer Höhe bis zu drei Metern die Küste des Landes erreichen.

USA und EU bieten Hilfe an

Als Vorsichtsmaßnahme forderten die Behörden in Japan Tausende Bewohner an der Pazifikküste auf, ihre Häuser zu verlassen. Allein in den nördlichen Provinzen Aomori und Miyagi wurden 12.000 beziehungsweise 13 500 Haushalte aufgerufen, sich in Sicherheit zu bringen, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo. Bahnbetreiber stoppten sicherheitshalber den Betrieb an den Küsten.

Die Europäische Union, die Vereinten Nationen, die USA und mehrere Nachbarländer boten dem südamerikanischen Land Hilfe an. Der gewählte Präsident Sebastián Piñera, der das Amt am 11. März übernehmen soll, rief die ganze Gesellschaft zur Solidarität mit den Opfern auf. "Das Erdbeben ist ein schwerer Schlag für die chilenische Gesellschaft", räumte der konservative Politiker ein. Über mögliche deutsche Opfer wurde zunächst nichts bekannt.

Die mächtigen Erdstöße am Samstag um 3.34 Uhr Ortszeit hatten die Menschen im Schlaf überrascht. Hunderttausende rannten in Panik aus ihren Häusern und kampierten aus Angst vor den zahlreichen Nachbeben im Freien. Das Epizentrum lag nach Angaben der US-Erdbebenwarte etwa 92 Kilometer nordwestlich der Stadt Concepción.

dpa