Nach 100 Tagen: Schwarz-Gelb sucht den roten Faden

Nach 100 Tagen: Schwarz-Gelb sucht den roten Faden
Ab jetzt wird's ernst: Die Schonfrist für die schwarz-gelbe Koalition läuft an diesem Donnerstag aus. In gut drei Monaten haben Union und FDP gemerkt, dass das Regieren in der "Wunsch-Koalition" schwerer ist als gedacht.
02.02.2010
Von Marc-Oliver von Riegen und Frank Rafalski

Kanzlerin Angela Merkel (CDU), FDP-Chef Guido Westerwelle und CSU-Vorsitzender Horst Seehofer hatten in den ersten 100 Tagen Probleme, sich und ihre Parteien aufeinander abzustimmen. Die Bundesbürger stellten der Regierung ein schlechtes Zeugnis aus, und eine Mehrheit von Union und FDP ist in Umfragen dahin.

Nach dem Fehlstart kam der Neustart. Nach wochenlangem Streit über Steuern, Vertriebene und Gesundheitsreform brachte ein Gipfel mit Abendessen in einem Berliner Restaurant erstmal etwas Ruhe. "Die Startschwierigkeiten dürfen sich nicht mehr wiederholen", warnte Seehofer.

Die "Klientelpartei" FPD

Dabei hat die Koalition ein Steuerpaket mit rund 8,5 Milliarden Euro zusätzlichen Entlastungen in Kraft gesetzt und die neue Afghanistan-Strategie abgesteckt. CDU-Chefin Merkel hat ein "neues Denken" gegen die Krise ausgerufen, Seehofer die "Dekade der Erneuerung" und Westerwelle die "geistig-politische Wende". Doch auch wenn sich Schwarz und Gelb wieder auf gemeinsame Ziele und Werte besinnen: Nach wie vor ist ein roter Faden kaum sichtbar.

Vor allem die FDP hatte sich den Einstieg in die Regierung nach elf Jahren Opposition ganz anders vorgestellt. Sie wollte mit raschen Steuerentlastungen punkten und der Regierung den Stempel "politischer Neuanfang" aufdrücken. Dann kam der Wirbel um die ermäßigte Mehrwertsteuer für Hotels. Wegen - korrekt verbuchter - Spenden aus der Hotelbranche wurde der FDP erneut das Etikett "Klientelpartei" angeheftet. "Toll ist das Bild nicht", wird in der Führungsetage der Liberalen eingeräumt.

Die CDU in der Selbstfindungsphase

Begründet werden die Schwierigkeiten vor allem mit der Ausgangslage: Die Union kam als Regierungspartei aus der großen Koalition, die sie nicht völlig verdammen konnte. Die FDP will die "geistig-politische Wende". Das Regieren muss sie neu erlernen. Der Preis für den Fehlstart sind sinkende Umfragewerte der Liberalen, die bei der Bundestagswahl einen Rekord von knapp 15 Prozent eingefahren hatten.

Die CDU ist in der Selbstfindungsphase. Merkel will sie zur "Volkspartei für jeden" machen. Auch die CSU hat mit sich zu kämpfen. Seehofer gilt vor allem wegen seiner Probleme in Bayern als nur schwer kalkulierbar.

Zudem gibt es strukturelle Probleme. Merkel moderiere das Bündnis wie zu Zeiten der schwarz-roten Koalition, wird ihr vorgeworfen. Intern redete sie beim Spitzentreffen der Parteichefs Klartext. Noch ist aber nicht absehbar, dass sie ihre bisherige Strategie bei der Lösung von Problemen ändert. Nach dem Harmonie-Treffen der Koalitionsspitzen geht das Gerangel weiter, wenn auch nicht mehr so lautstark.

Ungelöste Konflikte

FDP und CSU zoffen sich über die Strategie zur Kostensenkung im Gesundheitswesen. Der große Streit um die Gesundheitspauschale steht noch bevor. Ungelöst ist auch der Konflikt mit Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach. Seit Wochen versuchen CDU, CSU und FDP, das Hin-und-Her um die Rolle der Vertriebenen in der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" zu lösen. Nun peilen sie dafür erst Ende Februar an. Zündstoff birgt auch der geplante Sparkurs bei gleichzeitigen Steuerentlastungen, die Kernbotschaft von Schwarz-Gelb. Der Bund muss die Länder ins Boot holen, die vor neuen Belastungen warnen.

Jetzt ist in der Koalition erstmal Offensive angesagt. Merkel gibt sich selbstbewusst gegenüber der Opposition, die wegen eigener Probleme seit der Bundestagswahl nicht so richtig zum Angriff kommt. "Heute rede ich hier", herrschte die Kanzlerin im Januar im Bundestag ungewöhnlich scharf den früheren Koalitionspartner SPD an. Das nächste Ziel von Merkel und Westerwelle ist die "kleine Bundestagswahl" im Mai in Nordrhein-Westfalen. Verliert Schwarz-Gelb dort und damit auch im Bundesrat die Mehrheit, wäre Feuer unter dem Dach der Christlich-Liberalen - wie die Koalition am liebsten nur noch genannt werden möchte.

dpa