Deutsche werden zu Natur-Analphabeten

Deutsche werden zu Natur-Analphabeten
Die Deutschen entwickeln sich nach Meinung von Umweltschützern zu einem Volk der Natur-Analphabeten. Insbesondere Kinder haben wenig Gelegenheit, die Natur zu erkunden.

Klingeltöne und Automarken seien vor allem bei Kindern stärker im Gedächtnis verankert als Vogelstimmen oder Wildblumen, erläutert der Bundesweite Arbeitskreis der staatlich getragenen Umweltbildungsstätten (BANU). Die Deutsche Presse-Agentur dpa sprach mit Prof. Marcus Hammann, Direktor des Zentrums für Didaktik der Biologie an der Universität Münster, über das Umweltbewusstsein deutscher Kinder sowie Ursachen und Folgen.

Evangelisch.de: Die Deutschen verlieren angeblich ihren Sinn für die Natur. Ist das wahr?

Hammann: "Ja, es gibt verschiedene Untersuchungen, welche das belegen. Ein Beispiel sind die Studien zum Thema Artenkenntnis. Die Artenkenntnis bei Kindern nimmt deutlich ab. Diese stellt jedoch eine Grundlage für die Vermittlung biologischen Wissens dar. Das wiederum steht im Zusammenhang mit der Bereitschaft, sich generell für die Umwelt zu engagieren."

Evangelisch.de: Wie können Sie sich die Entwicklung erklären?

Hammann: "Wissenschaftlich ist es eindeutig, dass das Interesse für Biologie bei Kindern ab der sechsten Klasse rückläufig ist. Pflanzen schneiden hier noch schlechter ab als Tiere. Natürlich gibt es für Kinder in dem Alter auch andere Identifikationsmöglichkeiten, aber zum Teil können sie überhaupt nicht mehr von Naturerlebnissen berichten. Das liegt auch daran, dass Natur heutzutage verstärkt medial vermittelt wird. Das heißt, anstatt in die Natur zu gehen, schauen wir lieber einen Natur-Film."

Evangelisch.de: Welche Auswirkungen hat das?

Hammann: "Es kommt unter anderem zu dem sogenannten Bambi-Syndrom, einer Verniedlichung der Natur. Die Kinder kennen quasi nur noch die Disney-Tiere. Ein Problem, was damit einhergeht, ist, dass die Natur fälschlicherweise als hilflos wahrgenommen wird. Wenn man aber mal an das Erdbeben in Haiti denkt, da hat sich die Natur keineswegs hilflos gezeigt."

Evangelisch.de: Was kann man dagegen tun?

Hammann: "Hier sind ganz klar die Schulen gefragt, die das Interesse der Kinder nicht abflachen lassen dürfen. Im Biologie-Unterricht müssen Verbindungen zum Alltag und zu aktuellen Themen gezogen werden. Die Vogelgrippe interessiert die Kinder. Die einfache Tierliebe von Kindern muss dabei systematisch weiterentwickelt werden. Was in der Hinsicht leider häufig vergessen wird, ist, dass Lernen nicht ausschließlich etwas mit intellektuellen Fähigkeiten, sondern auch mit Motivation und Interesse zu tun hat."

Evangelisch.de: Liegt ein zentrales Problem in den starren Lehrplänen in Deutschland?

Hammann: "Nein, denn inzwischen sind die Lehrpläne nicht mehr so starr wie früher. Heute gibt es viel mehr Kernlehrpläne, die sich an Kompetenzen ausrichten, anstatt wie ein Lexikon aufzulisten, was man alles durchgenommen haben muss. In den USA und Europa verbreitet sich beispielsweise nach und nach ein "mit allen Sinnen erleben"- Unterrichts-Konzept. Lehrer gehen mit Kindern wieder in die Natur, um etwa die Rinde eines Baumes zu ertasten."

Kristina Logemann, dpa