Wunder gibt es immer wieder: Ein Seminar zum Gebet um Heilung

Wunder gibt es immer wieder: Ein Seminar zum Gebet um Heilung
Heilung - Sehnsucht vieler kranker Menschen und seit neutestamentlichen Zeiten ein großes Thema für die Kirche. Aber wie kann Gebet für Kranke aussehen? Unser Autor hat ein Seminar beim Christlichen Gesundheitskongress besucht.
22.01.2010
Von Stefan Becker

Gesundbeten – geht das? Ganz gewiss, das legt zumindest das Programm des 2. Christlichen Gesundheitskongresses in Kassel nahe. Wird dort doch den interessierten Gläubigen ein Leitfaden für erste Versuche mit auf den Weg gegeben: "Praktische Fragen des Gebets um Heilung" heißt das Seminar, das Pastor Dr. Heinrich Christian Rust und Pfarrer Dieter Keucher im "Aschrottsaal Nord" veranstalten. Mit etwas Verspätung, denn immer mehr Gäste begehren Einlass und als kein weiterer Stuhl im Raum mehr Platz hat, beginnen die beiden auch in der "Geistlichen Gemeinde-Erneuerung" engagierten Referenten mit ihrer kleinen Lektion zum großen Thema des Heilens.

Das Heilen steht im Mittelpunkt des Kongresses: Rund 75 Prozent der 1.200 Teilnehmer kommen aus pflegerisch-medizinischen Berufen, viele arbeiten in christlichen Krankenhäusern, in der Diakonie oder fühlen sich als Freiberufler den Werten der Kirche verpflichtet. Primär denen der protestantischen. Doch als Martin Luther einst die Bibel nach bestem Wissen und Gewissen übersetzte, musste er auf ein paar sprachliche Feinheiten des Griechischen verzichten und kam in den Evangelien zu dem Kompromiss, das Jesus die Menschen von "Krankheit und Gebrechen" heilte.

Äußere Krankheiten und innere Aufweichung

Rust übernimmt den theologischen Part und demonstriert auf Basis der verschiedenen Begriffe, wie differenziert die Medizin bereits vor 2.000 Jahren die Patienten betrachtete: "Nosos oder Nosema ist die Krankheit, die von außen auf den Körper wirkt, wie der Virus oder die Beule. Malakia dagegen bedeutet 'Aufweichung' und steht für die klassischen Altergebrechen, die Zähne wackeln, wir tragen Brillen und Männer freuen sich über ihre neue Frisuren. Oder ich bin heute kakopatheia gelaunt – als Ausdruck eines allgemeinen Unwohlseins".

Neben den unterschiedlichen Diagnosen hätten die Heiler antiker Schule bereits über einen großen Wortschatz für die verschiedenen Stadien des Genesens verfügt und so zum Beispiel die zeitgenössische Idee des präventiv-medizinischen Ansatzes als Prozess namens "hygiaino" tituliert, doziert Rust weiter. Auch der Duden besinnt sich auf die griechischen Wurzeln des "Gesundbetens" und leitet den Begriff her von der Sympathie, dem Mitgefühl und Mitleiden: "sympathetische Kur – Wunderkur (meist suggestive Heilung durch geheimnisvolle Mittel, Gesundbeten u. a.)".

Rust bleibt bei der Bibel und betrachtet die Evangelien streng statistisch. Demnach kommt Jesus auf 41 Heilungen, unterteilt in 27 Einzelheilungen und 14 summarische Erwähnungen. Ein paar Dämonen habe er zwar auch verjagt, das sei aber sekundär, sagt der Theologe. In seiner freikirchlichen Gemeinde werden regelmäßig Heilungsgottesdienste angeboten, wo offensichtlich besonders begabte Beter die Hilfesuchenden im Gespräch mit Gott begleiten. An solchen Tagen kämen manchmal bis zu 500 Menschen in die Kirche, sagt Rust und verweist dabei auf die ursprüngliche Aufgabe der institutionellen Kirche, eben ein Ort der Heilung zu sein.

Salböl im Sakko

Wobei vor dem konzentrierten Beten schon zu klären sei, welchen Kummer der Kranke mit sich herum trage. Nicht wegen der Wahl einer richtigen Methodik, denn die existiere aus theologischer Sicht gar nicht, sagt Rust. Sondern um zu erfahren, ob ein Glaube existiert und wie stark dem Menschen seelisch geholfen werden kann. "Oft gibt es starke innere Blockaden, die Menschen wollen Dinge einfach nicht vergeben", sagt sein Co-Referent Dieter Keucher.

Der landeskirchliche Pfarrer zählt zu den routinierten Praktikern und trägt immer ein Fläschchen Salböl im Sakko mit sich herum. Die katholische Kirche behält das Salben als sakralen Akt geweihten Priestern vor - bei den Protestanten, Stichwort Priestertum aller Gläubigen, bestehen hier keine Restriktionen. Jeder darf salben und segnen wo Bedarf besteht.

Allerdings bekommen die christlichen Heilsambitionen immer stärkere Konkurrenz durch Wunderheiler aller Art und auf jedem Kontinent. Die Globalisierung lässt grüßen. Was aber macht den Unterschied auf dem Markt der Möglichkeiten, zwischen exotischem Tamtam unter Palmen und einem ordentlich eingerichteten evangelischen Heilungsraum? Rust definiert die Differenzen: "Der Geistheiler kann sagen, komm schnell her, jetzt sind meine Hände noch heiß – wir aber haben es nicht in der Hand. Die Heilung ist ein Gottesgeschenk und wir können nur dafür beten".

Charismen und Management-Tools

Was bei 10 bis 15 Prozent der Einsätze auch von Erfolg gekrönt sei, sagt er. Spontanheilungen sind medizinisch belegt und entsprechend dokumentiert. Rust hat es persönlich erfahren, Keucher in der Familie. Echte Wunder. Trotzdem sei das aber eher eine bescheidene Quote, gibt ein Arzt aus dem Publikum zu bedenken. Würde er seine Patienten damit konfrontieren, wären die ziemlich enttäuscht, was wiederum einherginge mit dem Verlust von Selbstvertrauen. Rust stimmt der Sicht zu, verweist aber auf den generell positiven Effekt des charismatischen Handelns: "Fast alle sagen, dass das Gebet geholfen hätte, die Last des Leids zu tragen".

Willkommen zurück auf den Peleponnes, denn es waren die Griechen, die von den Göttern verliehene Gaben als Charisma bezeichneten. Seien diese für den Einzelnen nun Fluch oder Segen. Wer nun über welche himmlischen Talente verfügt, das lässt sich heute sogar mit diversen Checklisten prüfen.

Auf der Suche nach befähigten Betern im Pool der engagierten Gemeindemitglieder prüft Pfarrer Dieter Keucher den Nachwuchs mit bis zu 180 Fragen. Danach weiß jeder mehr über sich und kann auch bei bestehendem Helfersyndrom gemäß seiner Stärken in die Arbeit der Gemeinde integriert werden. Ein simples Management-Tool im Dienst des Glaubens. Denn einen starken Glauben müssen die Gesundbeter mitbringen. Als Schutz vor Frust, wenn Gott doch andere Pläne hat. Und als Stütze für den Kranken, denn der muss gar keinen Glauben mitbringen, darf aber später durchaus einen eigenen entwickeln. Was in dieser Welt ja auch ein kleines Wunder ist.


 

Stichwort "Christlicher Gesundheitskongress":

Unter dem Motto "Beauftragt zu heilen - in Beruf, Gemeinde, Gesellschaft" treffen sich in Kassel derzeit 1.200 Beschäftigte des Gesundheitswesens sowie Vertreter aus Kirche, Diakonie und Caritas. Es handelt sich um den zweiten Kongress dieser Art. Zu den Veranstaltern gehören das Diakonische Werk, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner, die Geistliche Gemeinde-Erneuerung in der Evangelischen Kirche und das Deutsche Institut für Ärztliche Mission. Unter den Referenten finden sich so prominente Menschen wie die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, der Dominikaner-Pater Anselm Grün oder der Psychiater und Besteller-Autor Manfred Lütz. Weitere Infos: www.christlicher-gesundheitskongress.com

Stefan Becker ist freier Journalist und lebt in Innsbruck.