Zweifel an Spenden? Neun Gründe für Großzügigkeit

Zweifel an Spenden? Neun Gründe für Großzügigkeit
Gerade in der Weihnachtszeit würden viele Menschen gern spenden, sind sich aber unsicher, was mit ihrem Geld passiert. Und finden daher oftmals Ausreden. Unsere Autorin Christine Holch hat sich neun Zweifel vorgenommen, und jedes Mal eine Antwort gefunden, die die Zweifel ausräumt.
09.12.2009
Von Christine Holch

Wenn Sie nicht spenden wollen. Und wie Sie jetzt doch noch großzügig werden können. Neun Zweifel, neun Antworten.

Ich bezweifle, dass jeder Euro ankommt

Jeder Euro soll bei den Hilfsbedürftigen ankommen, nicht beim "Wasserkopf" der Organisation! Eigentlich eine verständliche Erwartung der Spender. Doch das ist eine realitätsferne Reinheitsfantasie, sagt knallhart Thomas Kreuzer, Leiter der Fundraising Akademie in Frankfurt am Main. Denn das Werben um Spenden
kostet, das Verbuchen, der Wirtschaftsprüfer, die Rechtsberatung... Dazu kommen Projektnebenkosten: Planung, Kontrolle, Evaluierung.

"Es muss in angemessenem Maße Verwaltungskosten geben", sagt Burkhard Wilke, verantwortlich für die Vergabe des DZI Spendensiegels, "denn wenn man auf Buchhaltung und Kontrollreise verzichtet, stellt man fünf Jahre später oft fest, dass das Geld nicht effizient verwendet wurde,weil man einen Blindflug gemacht hat." Besonders beim "gehobenen Bürgertum" beobachtet Wilke eine überhebliche Sicht auf das Können von Hilfsorganisationen. "Lieber machen diese Leute einen eigenen Verein auf – aber spätestens, wenn sie an der Grenze zur Ukraine mit dem Lkw nicht mehr weiterkommen, merken sie, dass man doch Verwaltung und Wissen braucht."

Sparsamkeit ja, aber nicht um jeden Preis. Vertrauen kann man den Organisationen, die das Spendensiegel haben. Im öffentlichen Auftrag überprüft das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen
(DZI), ob die Gelder nachprüfbar und sparsam verwendet wurden. Werden weniger als zehn Prozent der Spenden für Werbung und Verwaltung ausgegeben, gilt das als niedrig, zehn bis 20 Prozent gelten als angemessen, 20 bis 35 Prozent als vertretbar. Unterschiedlich hohe Kosten haben manchmal einsichtige
Gründe: So ist es schwieriger, für Behinderte oder Entwicklungshilfe Spenden zu bekommen als für Katastrophenhilfe, wo oft die Medien die Werbung übernehmen. Die Katastrophenhilfe der Diakonie zum Beispiel hat Verwaltungskosten unter zehn Prozent.

Kinderpatenschaften verursachen erhöhten Aufwand – zumal, wenn die Spender Kontakt zum Kind wünschen. Plan International etwa liegt bei 20 bis 35 Prozent. Da die Überprüfung durch das DZI Geld kostet, verzichtet manche durchaus seriöse Organisation auf das Siegel. Es gilt also die Regel: Die mit Spendensiegel sind seriöse Unternehmen, aber die anderen nicht automatisch unseriös. Und: Lokale Initiativen – wie das Frauenhaus oder die "Tafel" vor Ort – können das Siegel gar nicht beantragen, da sie nicht überregional sammeln.

Die Bettelbriefe nerven

Die sollen nicht so viel Geld für Werbung ausgeben! Und dann noch dieses Winseln . . . Stimmt, sagt Lothar Schulz, Initiator der Fundraising Akademie und ein renommierter Berater von Organisationen und Projekten: Der Tonfall vieler Briefe nervt. "Man darf nicht betteln als Spendenorganisation. Man muss eine Vision haben und nicht nur Geldnot. Fundraiser müssen die Menschen mit ihren Träumen wahrnehmen und sie begeistern. Das tun noch viel zu wenige."

Doch ohne Werbung keine Spenden, so ist es nun einmal. Von denen, die schon mal gespendet haben,  geben bis zu 25 Prozent wieder etwas, wenn sie erneut angeschrieben werden. Selbst bei Aktionen mit "gemieteten" Adresslisten spenden bis zu drei Prozent der Angeschriebenen. Durch die Bittbriefe kommen allein 31 Prozent des gesamten Spendenvolumens zusammen, wie die Gesellschaft für Konsumforschung herausfand (zum Vergleich: 14 Prozent durch Aufrufe in der Kirche, je sieben Prozent durch Fernsehbeiträge und Hinweise von Freunden).

Natürlich gibt es fragwürdige Werbung: "Wenn Sie nicht innerhalb von zwei Wochen spenden, verhungern die Kinder dieses Dorfes." Wer potenzielle Spender so unter Druck setzt, wirbt unseriös. Ärgerlich auch,wenn eine Organisation sechs bis acht Mal im Jahr einen Brief schickt. Das sollte sollte man dem Hilfswerk zurückmelden und dem DZI mitteilen.

Die können so viel Geld gar nicht ausgeben

Mehr Menschen als in anderen Jahren haben nach der Tsunami-Katastrophe gespendet. Doch nur sehr vereinzelt erhielten Organisationen mehr Geld, als sie ausgeben konnten. "Ärzte ohne Grenzen" zum Beispiel. Der Friedensnobelpreisträger baut keine Dörfer auf, sondern leistet vor allem medizinische Soforthilfe – die rein medizinische Not war relativ bald gelindert.

Deshalb wurden die Spender gefragt, ob man das Geld auch für andere Länder ausgeben dürfe – oder ob die Spender es zurückhaben wollten. Eigentlich, so der Spendenexperte Wilke,wäre es sowieso besser,
die Überweisung ganz ohne Zweckbindung auszufüllen (also ohne das Stichwort "Tsunami" oder "Erdbeben in Pakistan"). Dann können die Hilfswerke das Geld flexibel einsetzen für besonders dringliche Projekte. "Denn die größte Not ist nicht unbedingt da, wo sich schnell eine Emotion erzeugen lässt – nicht immer bei Kindern, sondern bei Erwachsenen oder bei Alten."

Mein bisschen Geld kann eh nichts bewirken

Gut, 25, 100 oder 300 Euro ändern nicht die Welt, aber ein einzelnes Leben: 25 Euro sind nötig, um ein tschetschenisches Kind vielleicht von seiner lebensgefährlichen Lungenentzündung zu heilen. Mit 30 Euro macht die Christoffel-Blindenmission einen blinden Menschen in der Dritten Welt wieder sehend durch eine Operation des Grauen Stars – etwa die Hälfte aller Blinden weltweit ist durch den  Grauen Star erblindet. Für 90 Euro kann man einer afrikanischen  Familie einen Esel samt Wassersäcken kaufen, so dass die Töchter nicht stundenlang mit Kanistern marschieren müssen, um  Wasser zu holen, sondern in die Schule gehen können. 

Jeweils 100 Euro kosten ein Brunnenlehrgang inklusive Verpflegung  und Unterkunft für einen armen bolivianischen Bauern. Oder vier Tage Büromiete in Berlin für die anwaltliche Rechtsberatung  von Armen, eine Arm- oder Beinprothese für ein  Minenopfer in Somaliland, ein Monat Schulbesuch für zehn  urundische Kinder inklusive Lehrergehalt oder zwei bis drei Monate Altersrente für einen ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen. Und für 300 Euro kann eine Äthiopierin operiert werden, die  viel zu früh heiraten und Kinder gebären musste und dabei so verletzt  wurde, dass sie ständig Urin und Kot verliert und vom Dorf ausgestoßen wurde.

Wir Deutschen sind schon Spendenweltmeister

Sind wir nicht. 32 Prozent der Deutschen über 14 Jahre spenden mindestens einmal im Jahr. Damit liegt Deutschland europaweit  im Mittelfeld, sagt Eckhard Priller vom Wissenschaftszentrum  Berlin für Sozialforschung – hinter den Niederlanden und Schweden, vor Italien und gleichauf mit Slowenien und Irland. Die durchschnittliche Jahresspende der Bürger beträgt seit Jahren etwas über 100 Euro. Doch immer mehr gemeinnützige Vereine, Institutionen und Organisationen sind auf Spenden angewiesen, seit
sich der Staat aus der Finanzierung zum Beispiel von Beratungsstellen oder Kulturinstitutionen zurückzieht.
Mit dem Alter übrigens steigt die Spendenhöhe. Und Frauen sind spendenbereiter als Männer – das zeigt vor allem der Vergleich von alleinstehenden Berufstätigen. 82 Prozent der Geldspenden gehen an humanitäre Hilfsorganisationen, der Rest an Kultur- und  Denkmalpflege, Umwelt, Tierschutz und sonstige Projekte.

Es soll nicht wehtun, das Spenden!

Man könnte damit beginnen, wenn man sich gerade "reich2 fühlt  und beschenkt – durch gute Wünsche, Hilfe, eine Liebeserklärung, nach Weihnachten, einem Geburtstag . . .  Und dann einen Dauerauftrag einrichten oder eine Einzugsermächtigung erteilen, für jeden Monat oder immer zu Weihnachten. Denn wer die Spende betrachtet wie Strom, Versicherung und andere Fixkosten, muss sich nicht jedes Mal von Neuem dazu  entschließen. "Was weg ist, ist weg und steht einfach nicht  mehr für meine Wünsche zur Verfügung", sagt Spenderin Mareike Jessen, 49, aus Hamburg, die im Jahr 1000 Euro an Medico  International überweist. Oder man plant am Jahresanfang einen bestimmten Spendenetat ein und kann dann aus der Fülle heraus sagen: Jetzt spende ich mal hier und zwei Monate später dort.

Nur: wie viel? Vielleicht kommen der Durchschnittsverdienerin 3000 Euro zu viel vor, aber 200 Euro im Jahr fühlen sich peinlich  an. "Sie sollten das Kleinliche in sich überwinden, aber nicht in unangemessene Großzügigkeit verfallen, also das letzte Hemd  verschenken", sagt Udo Schnieders vom Fundraisingbüro des Bistums Hildesheim. Für einen Durchschnittsverdiener sollten schon 500 Euro jährlich drin sein, meint Spendenexperte Burkhard Wilke  vom DZI.

"Aber eigentlich hat Geben nichts mit Zahlen zu tun, sondern  damit, was ich gerne möchte", sagt Lothar Schulz, der erfahrene  Spenderüberzeuger. Die eine träumt davon, dass die Natur erhalten bleibt, der Nächste davon, dass alle Kinder etwas lernen dürfen.  Und wenn man sich sagen kann: "Das ist es mir wert, meinem Traum näher zu kommen" – dann ist das die richtige Summe.

Ich hab nichts über

Menschen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1500 Euro monatlich geben als Gesamtgruppe einen höheren Teil ihrer Einkünfte als die Mittelschichtler und die Reichen. Selbsterlebte  Not macht offenbar manchen großzügig. Ob man wohlhabend  ist oder nicht, scheint Ansichtssache zu sein. "Auf den  Mangel zu schauen, macht arm", sagt Fundraiser Schnieders, geübt  in personenzentrierter Beratung. "Wohlhabend macht es, auf  das zu schauen,was ich alles habe." Gesunde Kinder, eine gute Ausbildung, einen lieben Partner, einen Job... So ähnlich denken auch Großspender, wenn sie der Gesellschaft "etwas zurückgeben" wollen. Das nennt man dann: Repaying.

Ich weiß einfach nicht, wem ich was geben soll

Es hat keinen Sinn, den "wertvollsten" Spendenzweck finden zu  wollen. Freude macht das Spenden nur, wenn es irgendetwas mit  einem selbst zu tun hat. Aber wie finde ich den für mich richtigen  Spendenzweck unter all den unterstützenswerten Projekten von  A wie Alzheimer und Asyl bis W wie Wälder und Waisen?  Man kann sich fragen: Was ist mir wichtig? Wie möchte ich die  Welt gestaltet haben? Oft hilft es weiter, sich an prägende Erlebnisse  zu erinnern (ein naher Freund ist an Aids gestorben).

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Wofür ist man dankbar,wo hat man selbst oder eine Angehörige mal  Hilfe erfahren (man bekam ein Stipendium, die Mutter wurde auf einer Palliativstation von ihren Krebsschmerzen befreit)? Wo  war man in Not und möchte diese Erfahrung anderen ersparen?  Welche bittere Erfahrung ist knapp an einem vorübergegangen?  Eine Mutter spendete viel Geld, weil ihre Tochter kurz vor dem  Tsunami in Thailand war, ein anderer unterstützt eine Arbeitslosenberatungsstelle.

Und jeder hat einen vernachlässigten Bereich  in seinem Leben – mit der Spende könnte man etwas Eigenes ausleben, indem man zum Beispiel junge Künstler fördert. Wer die konkrete Anschauung braucht, kann im nahen Umfeld gucken: Gibt es eine Armenküche, ein lokales Naturschutzprojekt, bei dem sich Freunde engagieren, könnte die Schule im Problemstadtteil ihren musischen Schwerpunkt weiter ausbauen, wenn mit Ihrer Spende mehr Instrumente angeschafft werden würden?

Wem das alles zu umständlich ist, der könnte eine der klassischen Hilfsorganisationen bedenken, der er einfach vertraut – so, wie viele Menschen Mutter Teresa vertrauten. Oder Verwandte und Freunde fragen,wem sie ihr Geld geben. Oder, noch einfacher: eine Summe festlegen, die man bei der nächsten großen Katastrophe geben möchte – denn davon erfährt man auf jeden Fall.

Wenn man sich nicht entscheiden kann,weil so vieles sinnvoll ist, sollte man seine Spende allerdings nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilen – 20 Euro Unicef, 20 Euro für den Tierschutz et cetera. Denn eine Spende zu verbuchen, die Spendenbescheinigung zu verschicken, das kostet jedes Mal Geld. Dann lieber nach dem Motto Jahresprojekt vorgehen: dieses Jahr nur Bildung, im nächsten nur Hospiz.

Eine Strategie für Menschen, die das Besondere mögen, sich auch gern als Avantgarde fühlen: Spenden Sie für die Ausgegrenzten, die Vergessenen. Severin Anetzberger zum Beispiel, 47, aus Traunstein spendet 50 Euro monatlich an Pro Asyl – "weil sich beim Asyl unsere Gesellschaft als zutiefst inhuman erweist".
Noch herausfordernder wäre diese Variante: Gib da, wo es dir am schwersten fällt,weil wahrscheinlich auch die anderen nichts geben. An Straffällige zum Beispiel.

Schwer an Gelder kommen auch Projekte für geschlagene Frauen und Mädchen, für Aidskranke, Prostituierte, alte Menschen, psychisch Kranke, Obdachlose, Drogenabhängige, schwer erziehbare
Jugendliche... In einem deutschen Krankenhaus beispielsweise gibt es eine Kinderkrebsstation sowie eine psychiatrische Station für Kinder und Jugendliche. Die Krebsstation hat alles,was man sich nur vorstellen kann, in die psychiatrische Station fließt kein Euro. (Auf Ideen für Spendenzwecke bringen Sie auch
www.spendenportal.de und www.helpdirect.de)

Und was hab ich davon?

Die Menschen spenden, um ihr Gewissen zu beruhigen. Das wurde in den 70er-Jahren unterstellt. Doch die meisten haben noch ganz andere, für sie viel wichtigere Motive: Sie können etwas gestalten. "Ich gebe etwas, damit die Organisation meine eigene Vorstellung umsetzt", sagt ein erfahrener Spender. Das bedeutet auch Machtzuwachs. Gertrud Höhler, Politikberaterin und Publizistin, beschreibt das so: "Wir alle fühlen uns auf eine Weise ohnmächtig. Doch wenn wir spenden, beteiligen wir uns plötzlich an Projekten, die viel größer sind als wir." Vom Opfer werden wir zum (Wohl-)Täter.

Außerdem fühlt man sich durchs Spenden einer großen Gemeinschaft verbunden, vernetzt mit einer globalen Hilfsgemeinschaft, einer Wertegemeinschaft. Man gehört zur "Gemeinschaft der sich Einfühlenden", sagt der Publizist Christian Schüle. Nicht: Ich muss spenden. Sondern: Ich darf spenden,weil ich fühle. Dahinter steht die Erkenntnis, dass alle Menschen aufeinander angewiesen sind. Geben verbindet Menschen. Zwar gibt es beim Schenken keinen Anspruch auf Gegenleistung. Aber eine uralte Erfahrung heißt: "Gebt, so wird euch gegeben."

Unter www.dzi.de sind die Siegel-Organisationen aufgelistet. Schriftliche Anforderung (drei 55-Cent-Briefmarken beilegen): DZI, Bernadottestraße 94, 14195 Berlin. Außerdem kann man ausführliche
Einzelauskünfte zu maximal drei Spendenorganisationen aus den Bereichen Soziales, Umwelt und Naturschutz anfordern.

Die Autorin Christine Holch hat den Artikel für die Ausgabe 12/2006 von chrismon verfasst.