Hoffnung für Flüchtlinge oder vertane Chance?

Hoffnung für Flüchtlinge oder vertane Chance?
Als die Menschenrechtler das Flüchtlingsgefängnis der ukrainischen Kleinstadt Tschop betraten, waren sie einen Moment lang sprachlos. In einer einzigen Zelle drängten sich auf 25 Quadratmetern 33 Menschen. Sie hatten 16 Betten zur Verfügung und eine Toilette, aber kein Bad. "Viele Insassen waren unterernährt", berichtet der Migrationsforscher Franck Düvell aus dem britischen Oxford.
09.12.2009
Von Isabel Guzmán

Viele Flüchtlinge in der Ukraine - vor allem Afrikaner und Asiaten - hatten schon einmal den vermeintlich sicheren Boden der Europäischen Union erreicht. Doch Länder wie Ungarn und die Slowakei schoben sie wieder ab - häufig ohne ihren Anspruch auf Schutz ernsthaft zu prüfen. "Das ist eine schwere Verletzung des internationalen Rechts", sagt Düvell. "Die Ukraine ist kein sicheres Land für Asylsuchende und andere bedrohte Menschen."

Stockholm-Programm: Leitlinien für fünf Jahre

Am Donnerstag und Freitag wollen die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel das sogenannte Stockholm-Programm beraten und verabschieden. Das Grundlagen-Dokument schreibt die Leitlinien für die europäische Innen- und Justizpolitik der nächsten fünf Jahre fest. Das Thema Migration ist einer der wichtigsten Aspekte darin. Denn betroffen sind nicht nur Osteuropäer, sondern auch der Mittelmeerraum und wegen der offenen Binnengrenzen auch alle übrigen Staaten.

Was das Stockholm-Programm will, ist auf dem Papier klar: Verfolgte und bedrohte Menschen besser schützen, während illegale Einwanderer konsequenter abgehalten werden sollen. Neben mehr Schutz-Initiativen ist unter anderem ein Ausbau der legalen Arbeitsmigration vorgesehen. Auf der anderen Seite stehen Abwehrmaßnahmen: So soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex aufgewertet werden und enger mit Behörden der Herkunftsländer zusammenarbeiten.

Verstärktes Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz

Das Programm beinhalte "etliche Schlüsselelemente", sagt Gilles Van Moortel, Brüsseler Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. "Ausgangspunkt der Diskussionen war in meinen Augen ein verstärktes Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz." Der Experte begrüßt unter anderem die Weiterentwicklung des gemeinsamen Asylsystems und die Errichtung eines Asyl-Unterstützungsbüros. Erfreulich sei auch, dass Initiativen zur Ansiedlung besonders gefährdeter Flüchtlinge aus Krisenregionen geplant seien.

Allerdings bleibe die praktische Umsetzung des Programms abzuwarten, betont Van Moortel. "Ein Asylsystem ist bedeutungslos, wenn Schutz suchende Menschen die EU nicht erreichen können." Nötig seien sensible Grenzkontrollen, die den verfolgten Menschen wirklich gerecht würden. Die Schwierigkeit bestehe darin, zwei Ziele miteinander zu vereinbaren: Das individuelle Recht auf Schutz und das Recht von Staaten, ihre Grenzen zu kontrollieren.

Die Grenzkontrollen greift der Europaabgeordnete Manfred Weber (CSU) auf. "Die EU hätte noch ambitionierter an die Herausforderungen herangehen sollen", bemängelt der innenpolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion. "Wir brauchen eine massive Stärkung von Frontex." Die Behörde müsse die Grenzen nicht nur überprüfen, sondern "Kommandogewalt über die nationalen Außenbehörden" bekommen.

Nur rhetorische Fortschritte?

Die grüne Europaabgeordnete Ska Keller kritisiert dagegen die Frontex-Aufwertung und spricht von einer "Überwachungstendenz". Beim Thema Asyl und Menschenrechte bleibe das Stockholm-Programm allgemein. "Wenn es aber um illegale Migration geht, wird es konkret." So seien gemeinsame Charterflüge für die Abschiebung vorgesehen. Ob Stockholm Fortschritte bringe, sei fraglich: "Rhetorisch ja, aber in der Praxis gibt es viele Fragezeichen."

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht sogar von einer "vertanen Chance". Einigkeit herrscht bei den Flüchtlingsexperten indessen darüber, dass die EU noch einen weiten Weg zu gehen hat. Die Ukraine und ihre in der EU gelegenen Nachbarstaaten sind nur einer der vielen Problemherde. Erst vor wenigen Wochen hatte die griechischen Regierung nach internationalen Protesten das Internierungslager Pagani auf Lesbos geschlossen: Hunderte Männer, Frauen und Kinder waren dort unter unerträglichen Bedingungen eingepfercht.

epd