111 Gründe, warum Spießer sein gut und richtig ist

111 Gründe, warum Spießer sein gut und richtig ist
Warum Spießigsein toll ist? Schon die These ist streitbar. Autor Magnus Steinbach ergreift in einem neuen Buch Partei für die Lust am Spießertum - und das gleich mit 111 Gründen. Ob jedes Argument greift, muss der Leser entscheiden. Fakt ist: Spießer zu sein, taugt nicht mehr ausschließlich als Beleidigung.
04.11.2009
Von Gregor Tholl

Wer das Wort "spießig" im Mund führt, will meistens behaupten, dass er es selbst nicht ist. Jetzt aber hat der Autor Magnus Steinbach eine Selbstbezichtigung geschrieben: "111 Gründe, ein Spießer zu sein". Das Buch behauptet, "unverschämtes Bekenntnis zu Vernunft, Moral und Behaglichkeit" zu sein.

Außen hip, im Kopf der Jägerzaun

Mit der Spießigkeit haben in jüngster Zeit viele Leute Spaß gehabt. Seit bereits 15 Jahren heißt zum Beispiel eine Dresdner Jugendzeitschrift "Spießer". Und vor ein paar Jahren sorgte der TV- Werbespot einer Bausparkasse für Gesprächsstoff: Das Kind eines Bauwagen-Aussteigers zeigte darin Rebellion unter ungewöhnlichen Vorzeichen. Es schwärmte davon, wie schön andere Kinder wohnen. Und als der Vater die Leute als "Spießer" abzuqualifizieren versuchte, sagte das Kind den Satz "Papa, wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden". Da verschluckte sich der Vater.

So ähnlich ging es in den vergangenen Jahren auch den Leuten, die das Feuilleton oder Satiriker als "Neo-Spießer" ausmachten - Motto: außen hip, aber im Kopf der Jägerzaun.

Der Schauspieler Christian Ulmen etwa sagte dem Magazin "U_mag": "Ich denke, dass viele, die sich vom Spießer-Sein abgekehrt haben, das mit denselben Mitteln tun wie ein Spießer. Das ist dann der neue Spießer oder Neo-Spießer, der in der Abkehr oder der Angst davor, zu spießig zu sein, im Unspießig-Sein genauso intolerant ist wie der Spießer." Wer im Berliner "In"-Stadtteil Prenzlauer Berg mit seinem Latte Macchiato sitze und sage, er wolle sein Leben total unspießig gestalten, der mache dasselbe wie sein Spießer-Feind - nämlich: sich in die Abgrenzung zurückziehen, findet Ulmen.

100 Gründe für das Spießigsein

Dann doch lieber gleich die große Gegen-Offensive? Der Autor Magnus Steinbach hat mehr als 100 Gründe zusammengetragen, warum es toll sei, Spießer zu sein - also eine ganze Menge (Magnus Steinbach: "111 Gründe, ein Spießer zu sein. Ein unverschämtes Bekenntnis zu Vernunft, Moral und Behaglichkeit", Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf). Da wird sich fast jeder mindestens in einem Grund wiederfinden und wahrscheinlich vorsichtiger werden, was die "Beleidigung" "Spießer" angeht. Nicht alle Doppelseiten mit jeweils einem Grund sind allerdings überzeugend.

Folgende Gründe gibt es angeblich, "Spießer" gut zu finden: "Weil sie so schön über die Intimrasur streiten können", "Weil Fußball für sie kein Showbusiness, sondern Sport ist", "Weil sie den Werbetextern kein Wort glauben", "Weil sie für einen korrekten Genitiv über Leichen gehen", "Weil sie nur in Ländern Urlaub machen, deren Zeitungen sie lesen können", "Weil sie den Döner-Gestank in Bussen und Bahnen verabscheuen", "Weil sie zum Griechen wegen des erstklassigen Ouzo gehen", "Weil sie keine Rezepte aus Promi-Kochbüchern nachkochen", "Weil sie in der Bahn die Füße nicht auf den Sitz legen", "Weil sie das "Recht des Stärkeren" für eine Schwäche halten" oder "Weil sie als Haustier keinen Rottweiler haben".

dpa