Wie sollen wir 2050 die Welt ernähren?

Wie sollen wir 2050 die Welt ernähren?
Schon jetzt hat jeder sechste Mensch nicht genug zu essen - die Weltbevölkerung aber wächst und wächst. Trotzdem könnte es andere Auswege als Chemie und Gentechnik geben.
16.10.2009
Von Petra Thorbrietz

Der Hunger in der Welt hat zugenommen, lauteten die Schlagzeilen schon in den Tagen vor dem Welternährungstag: Jeder sechste Mensch auf diesem Planeten hat nicht genügend zu essen, so der jährliche Bericht der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO). Jeder Sechste – das ist eine dramatische Zahl und gemessen am Anteil der Weltbevölkerung die schlimmste seit 40 Jahren. Noch im Jahr 2000 hatten die UN in ihren Millenniums-Zielen angestrebt, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Doch dazu, so FAO-Generaldirektor Jacques Diouf, fehle in den reichen Industrieländern der politische Wille. Obwohl, wie er betonte, die technischen und ökonomischen Voraussetzungen durchaus gegeben seien.

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Sind sie wirklich? Wenn schon jetzt der Hunger groß ist, wie soll dann erst in den kommenden 40 Jahren die Versorgung geregelt werden? In der ersten Hälfte des neuen Jahrhunderts wird die Weltbevölkerung auf neun Milliarden Menschen anwachsen, der Bedarf an Nahrung und Tierfutter wird sich verdoppeln. "Wie sollen wir 2050 die Welt ernähren?" ist deshalb die dringende Frage - diese Woche bei einem Expertentreffen der Welternährungsorganisation FAO und dann Mitte November bei einem großen "Welternährungsgipfel" in Rom.

Die Ausgangslage: düster

Schon heute konkurriert die industrielle Nachfrage nach pflanzlichen Rohstoffen und Bioenergie mit dem Anbau von Nahrungsmitteln. Die Meere drohen leergefischt zu werden. Die Landwirtschaft steht mit den expandierenden urbanen Zentren im Wettbewerb um Boden und Wasser. Der Klimawandel wird zu neuen Knappheiten führen und viele Menschen zur Migration zwingen. Wie viel Land wird 2050 überhaupt noch übrig sein, um Nahrung zu produzieren?

83 Milliarden Dollar, so eine neue Studie der FAO, müssten jährlich in die jetzigen Entwicklungsländer investiert werden, um allein die notwendige Infrastruktur für die Versorgung der Bevölkerung zu schaffen: um Produktionsprozesse durch den Ausbau der Mechanisierung und durch bessere Bewässerung zu verbessern, Lagerkapazitäten zu erweitern, Straßen und Häfen für Transport und Verteilung der Lebensmittel auszubauen und Zentren der Verarbeitung zu errichten. Notwendig dafür sind neben Energie und sauberem Wasser auch vermehrte Forschung, Ausbildung und Erziehung, Verbraucheraufklärung und Lebensmittelkontrolle.

Die Tendenz: sich verschärfende Probleme

Die Realität sieht jedoch ganz anders aus: An der Wende zu diesem Jahrtausend, im Jahr 2000, wurden weltweit nur 23 Milliarden Dollar an öffentlichen Mitteln für die Entwicklung der Landwirtschaft aufgebracht - weniger als nach Meinung der FAO allein in den bevölkerungsreichsten Ländern Indien und China investiert werden müsste. Und die Tendenz ist auch hier negativ: Die Staaten der Welt wenden einen immer kleinern Teil ihrer Gesamtausgaben für diesen Bereich auf.

Die Ungleichheit der globalen Entwicklung verschärft die Problematik weiter: In Lateinamerika etwa dürfte sich bis 2050 dank industriellen Fortschritts der Anteil der Bevölkerung, der in der Landwirtschaft arbeitet, halbieren. In Gegenden wie der Subsahara wird er sich mangels Alternativen eher verdoppeln. Zudem werden die Regionen, in denen heute der größte Hunger herrscht, aller Voraussicht nach vom Klimawandel am stärksten getroffen: Die jetzigen Entwicklungsländer werden 10 bis 20 Prozent weniger Erträge verzeichnen und noch mehr als bisher von Hilfe oder zumindest von Lebensmittelimporten abhängig sein.

Dafür verantwortlich sind nicht nur steigende Temperaturen und Trockenheit, sondern auch die Ausbreitung pflanzlicher und tierischer Schädlinge, abrupte Wetterwechsel und Schäden durch Orkane oder Hochwasser. Die jüngsten Unwetter in Sumatra gaben bereits einen Vorgeschmack auf das, was der Welt noch bevorsteht. Am stärksten betroffen sein wird langfristig Afrika. Wegen seiner geografischen Lage wird erwartet, dass der Schwarze Kontinent bis zum Ende dieses Jahrhunderts an die 30 Prozent weniger landwirtschaftliche Erzeugnisse liefern wird. Jeder Dritte der Bevölkerung von rund 600 Millionen Menschen leidet Schätzungen zufolge bereits heute unter Hunger oder Unterernährung.

Die Perspektive: Wissenschaft und Technik?

Bei der Frage, wie man diesen Problemen begegnen kann, stehen sich die Experten in den verschiedenen Lagern unversöhnlich gegenüber: Die eine Seite glaubt an die Segnungen von Wissenschaft und Technik. So träumen manche davon, dank Technik noch viel mehr Land zu erschließen und zu bewirtschaften. 700 Millionen Hektar warten noch in der Subsahara, so eine Expertise der FAO, und die Savanne von Guinea, die in ihrer Größe der derzeitigen Fläche des weltweiten Weizenanbaus entspricht, ist bisher nur zu 10 Prozent bebaut.

Eine andere Gruppe setzt vor allem auf Intensivierung der Produktion: 90 Prozent der notwendigen Ertragssteigerungen könnten durch Verbesserung der Anbaumethoden erzielt werden, rechnen sie vor - nur der kleine Rest von 10 Prozent müsste dann aus erweiterten Anbauflächen bestritten werden. Selbst Entwicklungsländern, deren Anteil an Handarbeit weit höher sei, sollte ein Anteil von 20 Prozent Neuerschließung reichen, glaubt David Dawe, der leitenden Ökonom der FAO.

Ermöglichen soll diesen gewaltigen Produktivitätszuwachs die Gentechnik. Sie kann heute bereits Pflanzen gegen bestimmte Schädlinge resistent machen oder den Nährwert steigern - wie etwa beim "Goldenen Reis", der dank gentechnischer Veränderung auch Provitamin A in den Körnern bildet. Große Chancen räumt Dawe aber auch speziellen Züchtungen von Nutzpflanzen ein, die durch veränderte Photosynthese oder kürzere Wachstumszeiten mehr Ertrag bringen. Es müssten aber auch verbesserte "einfache Technologien" in der Landwirtschaft eingeführt werden, so Dawe. So könne auch den vielen Kleinbauern in der Dritten Welt geholfen werden, die im Wesentlichen für ihren eigenen Bedarf arbeiten (Subsistenzwirtschaft).

Biodiversität und Nachhaltigkeit als Alternative?

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die nachhaltige Nahrungsquellen fordern und deshalb in ihren Konzepten die Erhaltung der Biodiversität auf diesem Planeten in den Vordergrund stellen. So schlucken Mangrovenwälder, Marschen und Seegras am Rande des Meeres 1650 Millionen Tonnen Kohlendioxid – das ist in etwa die Hälfte der durch globale Transportwege erzeugten Abgase. Werden Sie durch Fischzucht oder Projekte zur Landgewinnung zerstört, geht dieses Potential unwiederbringlich verloren. Momentan aber, warnen Umweltschützer, verschwinden solche Habitate mit einer Rate von sieben Prozent jährlich – fünfzehnmal schneller als der Regenwald abgeholzt wird. Ein Drittel der genannten Feuchtgebiete ist bereits verloren.

Französische Wissenschaftler des Agrarforschungsinstituts INRA und des Forschungsinstituts für Entwicklungshilfe im Agrarbereich CIRAD haben ökologische Entwicklungsstrategien einer chemotechnischen Variante gegenübergestellt. In ihrer Studie "Agrimonde", vor wenigen Tagen in Paris vorgestellt, kommen sie zu dem Schluss, dass der Schutz der Biodiversität mindestens genauso gute Dienste leistet wie der industrielle Fortschritt, wenn es darum geht, Hunger zu stillen. Allerdings reichten dazu Bioanbau und integrierte Schädlingsbekämpfung allein nicht aus, so die Forscher weiter. Da ist zum Beispiel die Frage mit der Klimaschädlichkeit der Landwirtschaft. Ökologischer Landbau braucht noch mehr Flächen als konventioneller, gleichzeitig binden beide Anbauarten weit weniger Kohlendioxid als Brachland. Jede Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen, egal wie ökologisch sie bewirtschaftet werden, müsse deshalb durch neue Methoden der CO2-Bindung kompensiert werden.

Die politische Dimension

Im Zentrum der "Agrimonde"-Studie steht jedoch die Forderung nach einer Neuordnung der Handelsbeziehungen in der Welt. Nordafrika, der Mittlere Orient und Asien, so die Prognose, werden sich nicht alleine versorgen können. Das aber dürfe keine negativen Auswirkungen für die benachteiligten Regionen habe. Diese Forderung sei ein "Herzstück künftiger Herausforderungen".

Dass Hunger vor allem ein Verteilungsproblem und weniger ein landwirtschaftliches Problem ist, unterschreiben auch unabhängige Entwicklungs-, Bauern-, Umwelt- und Wissenschaftsorganisationen wie etwa der Evangelische Entwicklungsdienst, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Brot für die Welt und die Zukunftsstifung Landwirtschaft. Gemeinsam mit anderen unterzeichneten sie bereits im Juni dieses Jahres eine Erklärung. Darin prangern sie an, dass weiterhin Agrarexporte subventioniert werden - "Fit for Global Business" hatte sich das Landwirtschaftsministerium seinerzeit auf die Fahnen geschrieben. Diese Exportförderung zerstöre aber die Grundlage bäuerlicher Landwirtschaft in Entwicklungsländern. Dort würden wiederum Feuchtgebiete zerstört und Regenwälder gerodet, um für die Überflussgesellschaften Tierfutter anzubauen.

Auch der Weltagrarbericht IAASTD, an dem über 600 Wissenschaftler mitgearbeitet haben, hat Wege aus der Krise aufgezeigt. Er unterstützt das Recht auf Nahrung und setzt dabei darauf, dass dies vor allem durch nachhaltige Methoden für Kleinbauern in den Entwicklungsländern zu verwirklichen sei. Ganz ähnliche Schwerpunkte setzen nun zum Welternährungstag Kirchen und Vereinte Nationen in ihren Appellen.

Die deutsche Bundesregierung trägt den von 60 Ländern unterzeichneten IAASTD-Bericht bislang nicht mit. Dass sich dies unter Schwarz-Gelb ändert, ist eher unwahrscheinlich. Stattdessen wird darüber verhandelt, grüne Gentechnik in größerem Maße als bisher zuzulassen. Und ob dieser Weg nun die von Kritikern befürchteten gefährlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt hat oder nicht - mit Sicherheit steht er für eines: die weitere Konzentration und Monopolisierung der Lebensgrundlagen durch die industrielle Welt.

Die Dokumente der Vereinten Nationen zu diesem Thema sind hier im Internet zu finden.


Petra Thorbrietz arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin.