Für und Wider von Neuro-Enhancement-Präparaten

Für und Wider von Neuro-Enhancement-Präparaten
Was würde passieren, wenn in Zukunft wirklich eine nebenwirkungsfreie "Glückspille" zur Verfügung stünde? Welche Probleme und neue Möglichkeiten - für den Einzelnen und für die Gesellschaft - resultierten daraus? Sieben Mediziner, Philosophen und Juristen plädieren in dem Memorandum "Das optimierte Gehirn" für einen nüchternen Umgang mit dem Thema. Zentrale Thesen und Argumente zu sogenannten Neuro-Enhancement-Präparaten (NEPs) sind hier zusammengefasst.

Welche prinzipiellen ethischen Einwände gibt es?

NEPs gelten Kritikern als "künstliche" und "widernatürliche" Eingriffe - andererseits wirken Medikamente auf ebensolche Weise, halten die Autoren dagegen. NEPs wirken auf neurobiologischer Ebene und müssen von daher sehr vorsichtig erprobt werden. Allerdings, so die Forscher, spreche heute einiges dafür, dass auch Gespräche oder Diskussionen durchaus neurobiologische Spuren im Gehirn hinterlassen.

Werden Persönlichkeit und Authentizität gefährdet?

Es gibt viele Möglichkeiten, seine Persönlichkeit zu entwickeln, negativ oder positiv zu verändern - auch durch Meditation, Coaching oder Kaffeekonsum, sagen die Forscher. Nicht die "naturbelassene" Persönlichkeit, sondern die sich "stimmig erlebende" ist nach ihrer Auffassung für den Einzelnen erstrebenswert. Umgekehrt warnen die Forscher aber auch vor Selbstentfremdung - zuvor als "gegeben" akzeptierte Merkmale werden plötzlich als Defizite betrachtet.

Was ist mit Abhängigkeit und Suchtgefahr?

Mittel, die eine körperliche Abhängigkeit erzeugen, wie etwa Amphetamine oder Ecstasy, werden im Memorandum klar abgelehnt. Schwieriger zu definieren ist die Gefahr für eine psychische Abhängigkeit, die vom Individuum abhängt. Ein liberaler Verfassungsstaat dürfe jedoch nur in sehr engen Grenzen den Einzelnen von potenziell süchtig machenden Tätigkeiten oder Substanzen generell abhalten, heißt es - siehe Rauchen oder Online-Nutzung. Hier müssten jedoch Hilfsangebote für die geschaffen werden, die problematische Gebrauchsmuster entwickeln.

Auf dem Weg zur Ellenbogengesellschaft?

Möglicherweise führt die Chance, sich durch NEPs wach und fit zu halten, zu einer weiteren Verschärfung des Leistungsdrucks. "Pillen allein zu dem Zweck, Managern das Arbeiten rund um die Uhr zu ermöglichen, sind moralisch ohne Wert", schreiben die Autoren. Notwendige gesellschaftliche Veränderungen, weg vom strikten Leistungsdenken, dürften nicht vernachlässigt werden. Möglicherweise könnten NEPs künftig aber auch Lebensfreude und Empathie steigern, was gesellschaftlich kaum zu beklagen sei.

Sozialer Druck und Verteilungsgerechtigkeit?

Problematisch wird von den Autoren bewertet, dass sich der soziale Druck auf den Einzelnen erhöhen könnte, zu den Pillen zu greifen, ohne es eigentlich zu wollen. Dasselbe gelte für die Verteilungsgerechtigkeit: Sollte sich zeigen, dass künftig teures und wirksames Neuro-Enhancement vor allem Reichen zugänglich sei und damit soziale Ungerechtigkeiten verschärft würden, müssten Politik und Gesetzgebung korrigieren.

Welche Rolle spielt die Pharmaindustrie?

Vieles, was früher noch als "normal" galt, wird heute als Auffälligkeit oder gar Krankheit bezeichnet und therapiert. Aus Sicht der Autoren ist es erforderlich, die Forschungen zu NEPs aus diesem therapeutischen Graubereich herauszuholen, um diesen Trend nicht weiter zu verschärfen. Angesichts der bereits heute bestehenden großen Nachfrage an entsprechenden Substanzen - die teilweise illegal beschafft werden - sei ein liberaler und kritischer, vor allem aber offener Umgang mit pharmazeutischen Neuro-Enhancement dringend nötig.

dpa