Eine Auszeichnung für Versprechungen

Eine Auszeichnung für Versprechungen
Amerika ist überrascht: Kaum jemand in den USA hatte damit gerechnet, dass US-Präsident Barack Obama der Friedensnobelpreis zugesprochen würde. Denn neun Monate nach seinem Amtsantritt befindet sich der Demokrat mit seiner neuen "Politik der ausgestreckten Hand" in Turbulenzen:

Die Ratlosigkeit in Washington über den weiteren Kurs im Afghanistankrieg wächst, das Gefangenenlager Guantánamo wird nicht, wie von Obama versprochen, im Januar 2010 geschlossen. Der Nobelpreis ist die "Anerkennung für seine Versprechen", kommentierte CNN-Starreporterin Christiane Amanpour und traf damit den Ton fast aller ersten US-Reaktionen. "Eine Überraschung, aber ein großer Tag für Amerika" meinte der Publizist John Avlon. Die konservative Zeitung "The Wall Street Journal" reagierte dagegen äußerst kritisch auf die Vergabe. "Barack Obama gewinnt den Nobelpreis: Wofür?", kommentiert das Blatt am Freitag in seiner Online-Ausgabe. Das sei "grotesk", hieß es. "Nun kann ein politischer Führer einen Friedenspreis gewinnen, weil er sagt, er wolle irgendwann in der Zukunft Frieden bringen."

Knapp ein Jahr nachdem er am Abend des 4. November 2008 mit Ehefrau Michelle und seinen beiden Töchtern in Chicago vor aufgewühlten 200.000 Menschen seinen historischen Wahlsieg feierte, darf Obama wieder triumphieren. Der Friedenspreis ist die internationale Anerkennung für die Neuorientierung der US-Politik in der Welt.

Denn der erste schwarze Präsident der US-Geschichte übte vor der Weltöffentlichkeit Selbstkritik für die Politik seines Landes, schwor dem Unilateralismus, einer "arroganten Politik" und der Verletzung der Menschenrechte in amerikanischem Namen öffentlich ab. Er versprach bei einem spektakulären Auftritt in Kairo der islamischen Welt einen Neuanfang in den Beziehungen und er warb in Prag für seine Vision einer atomwaffenfreien Welt. Nach acht Jahren der Regierung von George W. Bush, in denen das Ansehen der USA weltweit schwer angeschlagen wurde, konnte Obama mit seinem Versprechen auf "Hoffnung" und "Wandel" weltweit beeindrucken.

Obama will "eine neue Ära des Friedens und des Wohlstands" für die Welt, will vor allem mit Diplomatie und Kompromissbereitschaft die Konflikte auf dem Globus lösen. Der US-Präsident verkündete zur Freude Moskaus und der meisten Westeuropäer den Verzicht auf das noch von Bush geplante Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien. Auch die amerikanisch-russischen Verhandlungen für einen Nachfolgevertrag des Abrüstungsabkommens Start haben begonnen

Wird Afghanistan ein zweites Vietnam?

Allerdings wachsen in den USA auch Zweifel an der neuen Friedenspolitik Obamas: Skeptisch fragen konservative Politiker und Kommentatoren, was die USA für ihre Gesprächsbereitschaft und ihre Selbstkritik politisch bekommen. Die Gespräche im Atomkonflikt mit dem Iran und mit Nordkorea stehen noch am Anfang, die europäischen Verbündeten engagieren sich in Afghanistan nicht so stark wie Washington das möchte. Pessimisten in Washington fürchten, dass der "Krieg Obamas" am Hindukusch, den er offensiv und mit massiven Truppenaufstockungen geführt hat, ein "zweites Vietnam" werden könnte - zumal in den vergangenen Monaten der Blutzoll ständig gestiegen ist. Auch Obamas Ankündigung, den Irakkrieg möglichst bald zu beenden, soll frühestens 2011 umgesetzt werden.

Menschenrechtsorganisationen in den USA sind zunehmend über den charismatischen Demokraten im Weißen Haus enttäuscht: Kritisiert werden vor allem die langsame Abwicklung des Gefangenenlagers Guantánamo und die Weigerung Obamas, Menschenrechtsverletzungen der Bush-Zeit juristisch aufzuarbeiten.

US-Präsidenten, die den Friedensnobelpreis gewinnen, sind in den USA keineswegs unumstritten. Jimmy Carter, der für seine Nahostfriedensbemühungen den Preis zugesprochen bekam, musste nach bloß einer Amtszeit gehen. Auch er versprach eine Zeit des Friedens - und wusste weder dem russischen Einmarsch in Afghanistan noch der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran politisch etwas wirkungsvolles entgegenzusetzen. Carter gilt den Amerikanern laut Umfragen als einer der am wenigsten erfolgreichsten Präsidenten der jüngeren Geschichte.

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dpa