Leben voller Hingabe

Foto: epd-bild/Rolf K. Wegst
Schwester Marianne Schmidt vom Diakonissen-Mutterhaus Hebron in Marburg im Raum der Stille des Haus Sonneck.
Leben voller Hingabe
Die Frauen sitzen still in den Reihen, in blau-schwarz getupfter Tracht, die grauen Haare unter die weiße Haube geschoben, mit Silberspangen befestigt. Auf ihren Knien liegen blaue Gesangbücher. "Nimm mein Leben", singen sie mit hellen Stimmen. Im Diakonissen-Mutterhaus Hebron in Marburg leben 176 Schwestern in traditioneller Gemeinschaft, um "Gott und den Menschen zu dienen", wie es die Oberin formuliert, Schwester Renate Lippe.
18.05.2014
epd
Stefanie Walter
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Der Tag beginnt früh: In einem langen Gang stapeln sich Kisten mit Bananen, Äpfeln und Mandarinen. In der Küche beginnen schon um acht Uhr die Vorbereitungen für den Mittag, 120 Essen müssen gekocht werden. Schwester Elisabeth, 79 Jahre alt, wirbelt durch die Großküche. "Es hält fit, wenn man eine Aufgabe hat", sagt die Oberin. Der Altersschnitt der Frauen im Diakonissen-Mutterhaus liegt bei 78 Jahren.

Diakonissen, die das Rentenalter erreicht haben, dürfen sich nach ihren Kräften und Interessen in die Gemeinschaft einbringen. Die Jüngeren arbeiten als Pflegerinnen in Krankenhäusern und Altenheimen, mit Jugendlichen, als Köchin oder Buchhändlerin. Weil viele Schwestern zu alt oder pflegebedürftig sind, helfen 70 externe Mitarbeiter im Haus.

Hoffen auf ein "Nachfolgemodell Diakonisse"

Mittagsgebet. "Wir gehören nicht der Arbeit, nicht den Menschen und nicht uns selbst. Wir gehören dir. Unsere Zeit steht in deinen Händen." Diesen Satz, erzählt Schwester Renate, nehmen sich auch oft diejenigen Frauen mit nach Hause, die für eine Woche im Mutterhaus leben. Die Schwesternschaft ermöglicht ein solches "Mitleben". Häufig kommen junge Frauen, viele Akademikerinnen, manche in Krisen oder in Umbruchphasen, auf der Suche nach dem Glauben. Manche überlegen, Diakonisse zu werden.

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In den vergangenen Jahren ist niemand mehr hinzugekommen. Der Altersdurchschnitt der Schwestern beträgt 78 Jahre. "Wir haben lange gebetet, dass Gott Frauen in die Schwesternschaft sendet", sagt die Oberin. Doch sie weiß: Diakonissen wird es in dieser traditionellen Lebensform wohl irgendwann nicht mehr geben.

Aber sie ist überzeugt, dass ein "Nachfolgemodell Diakonisse" entstehen werde, mit Frauen, die eine neue Gemeinschaft gründen. Vielleicht entwickelt sich eine unverbindlichere Form, wie es andere Schwesternschaften in Deutschland schon vormachen.

Die Lebensweise der Schwestern übt offenbar immer noch eine Faszination aus: 18 Frauen nahmen im vergangenen Jahr das "Mitleben"-Angebot in Marburg wahr. Das erste Diakonissenhaus entstand 1836 in Kaiserswerth bei Düsseldorf für Frauen, die als Krankenschwestern arbeiteten und eine Heimat, einen geistlichen Rückhalt brauchten. Einen Beruf ergreifen und ohne Familie leben - das war damals für Frauen undenkbar. "Die Lebensform Diakonisse stammt aus einer Zeit, in der Frauen viele Wege nicht offen standen", erklärt die Oberin.

Überall gründeten sich in der Folge Diakonissenhäuser, 1908 auch in Marburg. In der Hochzeit gehörten 850 Diakonissen zum Mutterhaus Hebron, die an 180 Einsatzorten tätig waren. Seit Anfang der 60er Jahre sinken die Zahlen. 

Das Marburger Mutterhaus finanziert sich über die Einkünfte der Schwestern, Spenden und Vermietungen von Gebäuden. Die Schwestern leben in einer Gütergemeinschaft: Was sie verdienen, kommt in eine gemeinsame Kasse. Jede erhält nur ein Taschengeld. Es gehört zum Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband, einem Verbund diakonisch-missionarischer Einrichtungen mit fünf weiteren Mutterhäusern. Daneben gibt es den Kaiserswerther Verband mit etwa 70 Diakonissenhäusern in Deutschland.

Mittagsandacht im Diakonissen-Mutterhaus Hebron in Marburg. 176 Diakonissen gehören zu der Gemeinschaft im Diakonissen-Mutterhaus.

Schwester Marianne leitet das moderne Tagungshaus. Hier treffen sich Leute zu Seminaren, es übernachten Gemeindegruppen, Familien, Radfahrer und Touristen. Einmal kam eine Männer-Volleyball-Gruppe, erinnert sich die Diakonisse und lacht: Sie seien vollkommen überrascht gewesen, als Schwestern in Tracht die Tür öffneten.

"Der Dienst für Jesus ist nicht an die Tracht gebunden"

Es sei schon ihr Hauptanliegen, die christliche Botschaft weiterzugeben. "Aber wir versuchen heute, den Glauben zu übersetzen." Die Gäste spürten ihn auch über das gute Essen, die rosa Blümchen auf dem Tisch, die warmherzigen Mitarbeiter und Angebote wie Oasentage, Wanderreiten, Pilgern oder Musikmachen. 

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Schwester Marianne traf schon als Jugendliche die Entscheidung, ihr Leben Gott zu widmen. Diakonissen sind ehe- und kinderlos. Sie habe nie wirklich daran gezweifelt, sich aber in bestimmten Lebensabschnitten gefragt, ob die Entscheidung richtig war. Das war sie, sagt die 62-Jährige klar. Aber sie rate ihren Nichten heute, in eine gute Ausbildung zu investieren und "den Auftrag anders zu nehmen", wie sie es ausdrückt: "Der Dienst für Jesus ist nicht an die Tracht gebunden."

Die Sonne strahlt im Innenhof des Mutterhauses, der Brunnen plätschert. Schwester Christina, mit 41 Jahren die jüngste Diakonisse, wartet mit den Therapiepferden Kira und Idar. Ihre Tracht hängt am Haken, sie trägt Reithosen. Für ihre Bachelorarbeit an der Uni hat sie ein Konzept mit Senioren und Pferden entwickelt. Nach und nach kommen immer mehr Schwestern aus den Zimmern. Mit zittrigen Fingern ertastet die sehr betagte Schwester Maria den Pferdekopf, nimmt den Strick in die Hand und führt das Tier, obwohl sie kaum noch laufen kann. Schwester Reintraut, 81 Jahre alt, klettert über eine Treppe auf Idars Rücken: Sie stamme aus Ostpreußen, erzählt sie glücklich, Trakehner gehörten damals zum Hof. Getragen zu werden ist ein tolles Gefühl.