Indonesien: "Wir brauchen größere religiöse Toleranz"

Der Protestant Bondan Winarno und muslimische Wählerinnen schauen mit Zuversicht dem Wahltag entgegen.
Foto: Michael Lenz
Der evangelische Parlamentskandidat Bondan Winarno mit muslimischen Wählerinnen.
Indonesien: "Wir brauchen größere religiöse Toleranz"
Die Indonesier wählen am Mittwoch ein neues Parlament. Unter den Kandidaten der nicht-muslimischen Parteien sind einige Christen. Sie hoffen auf mehr Schutz und Toleranz für religiöse Minderheiten.

Zielstrebig geht Bondan Winarno auf die Menschen im Kampung Bekayon zu, spricht sie freundlich an, drückt ihnen bunte Broschüren und seine Visitenkarten in die Hand. An diesem Mittwoch wählt Indonesien ein neues Parlament und Bondan Winarno kandidiert auf der Liste der Partei der Bewegung Großes Indonesien (Gerindra) für einen Parlamentssitz.

Bekannt aus TV-Kochsendung

Vorzustellen braucht sich Bondan Winarno den Menschen in dem dörflichen Viertel in Südjakarta nicht. Jeder kennt ihn aus seiner populären TV-Kochsendung. In dem Kampung (Stadtviertel) der mittleren Unterklasse freut man sich über den prominenten Besucher, ohne aber vor Ehrfurcht zu vergehen. Das mag daran liegen, dass die Menschen einfach und natürlich sind. Aber auch an der unbefangenen und unprätentiösen Art von Bondan, der in seinen Kochbüchern ein Loblied auf die indonesische Hausmannskost der Warungs und Regionen singt.

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Weil Bondan ein volksnaher Promi ist, wissen die Menschen in dem zu einhundert Prozent muslimischen Kampung auch, dass der Kandidat Christ ist. Religion ist jedoch in Bondans Wahlkampf kein Thema. Das, was ihn bewegt und weshalb er ins Parlament will, ist das Thema Ernährung. Es ist seine Mission, den Indonesiern eine gesündere, nähstoffreiche Ernährung nahezubringen. Allerdigs sagt Bondan bei einer Pause im Haus eines Parteifreunds dann doch: "Gut zwanzig Prozent der Kandidaten von Gerindra sind Christen." Und: "Wir brauchen eine größere religiöse Toleranz in Indonesien."

Gerindra ist eine nationalistische Partei, die auch unter Akademikern und Intellektuellen populär ist. Es ist nicht die einzige Partei in Indonesien, dem Land mit dem größten muslimischen Bevölkerungsanteil der Welt, die christliche Parlamentskandidaten aufgestellt hat. Nur in den fünf islamischen Parteien sind keine Katholiken und Protestanten zu finden. Die meisten Christen aber kandidieren für die Demokratischen Partei des Kampfes Indonesiens (PDI-P), die als die pluralistischste Partei Indonesiens gilt.

Militante Muslime haben Kirchen im Visier

Die Parlamentswahl gilt als eine Art Vorwahl für die Präsidentschaftswahl im Juli. Nur Parteien mit mehr als 20 Prozent der Stimmen dürfen einen Präsidentschaftskandidaten stellen. Allen Umfragen zufolge wird die PDI-P dank ihres extrem populären (muslimischen) Präsidentschaftskandidaten Joko "Jokowi" Widodo als stärkste Partei aus der Parlemantswahl hervorgehen.

Präsidenten genießen ihn Indonesien ein höheres Ansehen als das Parlament. Vielleicht muss man sagen: noch. Denn der Amtsinhaber Susilo Bambang Yudhoyono, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr zu Wahl antreten darf, und seine Partei der Demokraten sind in massive Korruptionsskandale verwickelt. Reihenweise wurden hochrangige Politiker der islamischen Parteien in den vergangenen Jahren wegen Korruption verhaftet und angeklagt. Umfragen prophezeien den islamischen Parteien massive Stimmenverluste, was aber keineswegs unbedingt gute Folgen für verfolgte Minderheitsreligionen wie die Christen haben muss. Beobachter befürchten, dass die Islamisten ihre außerparlamentarischen Aktivitäten noch weiter verstärken könnten.

Symbol für die Macht der extremen islamischen Gruppen – allen voran die militante Islamische Verteidigungsfront – ist die protestantische Yasmin-Kirche in Bogor in der Provinz Westjava, der Hochburg der einflussreichen extremistischen Islamischen Verteidigungsfront. Auf Druck der islamistischen Gruppen und Parteien hatte die Stadtverwaltung von Bogor die Genehmigung zum Betrieb der Kirche der Yasmin Gemeinde widerrufen. Der Oberste Gerichtshof Indonesiens kassierte diese Entscheidung im Dezember 2010. Die Stadt Bogor weigert sich jedoch bis heute, den Urteilsspruch zu akzeptieren und umzusetzen. Yasmin ist eine der vielen christlichen Kirchen in Westjava, die im Visier der militanten Muslime sind. "Der Staat hat bei dem Schutz der Religionsfreiheit versagt", klagt Gomar Gultom, Generalsekretär des Verbands der evangelischen Kirchen Indonesiens (PGI).

"Geben die Hoffnung nicht auf"

Obwohl wichtige islamische Organisationen wie der Rat der Ulamas als höchstes theologisches Gremium des indonesischen Islam immer stärker in den Sog der Fundamentalisten geraten, ist die Mehrheit der muslimischen Indonesier noch moderat und tolerant. "Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass die Verfassung respektiert wird", sagte Sinta Nuriyah bei einer interreligiösen Veranstaltung des Wahid Institut gegenüber evangelisch.de.

Sinta Nuriyah ist die große alte Dame des friedlichen und pluralistischen Islam in Indonesien.

Die Dame im Rollstuhl ist Witwe des 2009 verstorbenen ehemaligen indonesischen Staatspräsidenten und islamischen Klerikers Abdurrahman "Gus Dur" Wahid, der Zeit seines Lebens für einen "friedlichen und pluralistischen Islam" gestritten hat.

Von Spannungen nichts zu spüren

Von Spannungen zwischen Muslimen und den Angehörigen von Minderheitsreligionen ist im Kampung Bekayon nichts zu spüren. Berührungsängste mit dem Protestanten Bondan gibt es keine. In Jakarta sind die Menschen toleranter als in der benachbarten Provinz Westjava. An diesem Vormittag sind fast nur Frauen im Kampung. Die Männer sind weg zur Arbeit.

Manche der Frauen tragen Kopftücher, andere nicht. Sie geben Bondan die Hand, sprechen mit ihm, drücken ihn mal fest an sich. Keine macht aus ihren politischen Ansichten einen Hehl. Eine Frau sagt offenherzig, sie sei noch unentschieden, wem sie am Mittwoch ihre Stimme geben wird. Eine Dame im schwarzweißen Kleid erklärt freundlich aber bestimmt: "Ich habe mein Leben lang Golkar (Anm.: die ehemalige Suhartopartei) gewählt." Rusbert, ein Arbeiter, sagt nach einer Plauderei mit Bondan: "Ich mag ihn. Er ist nicht so manipulativ wie andere Politiker."