Ende des Papierkrieges in Sicht

Pflegedokumentation in einem Krankenhaus in Hannover.
Ende des Papierkrieges in Sicht
Pflegekräfte ärgern sich seit Jahren über die ausufernde Schreibarbeit im Arbeitsalltag. Die Pflegedokumentation müsse beschränkt werden, so drängen sie: Weniger Bürokratie, mehr Zeit für die Pflege. Nach jahrelangen Debatten kommt jetzt Bewegung in die Branche. Modellversuche belegen längst: Eine vereinfachte Pflegedokumentation ist möglich.
22.03.2014
epd
Dirk Baas

Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigen Zahlen des Bundesverbandes der Anbieter privater Pflege. Der Aufwand für die Pflegedokumentation schlägt pro Jahr mit rund 2,7 Milliarden Euro zu Buche und macht rund 14 Prozent aller Ausgaben der Pflegekasse aus. Die Praxis zeigt: Von acht Stunden Arbeitszeit im Heim oder beim Pflegedienst geht eine Stunde für die Verwaltungsarbeit drauf.

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Die Wende im jahrelangen Streit über das Für und Wider der Pflegedokumentation hat eine resolute Frau herbeigeführt: Elisabeth Beikirch, seit 2011 Ombudsfrau zur Entbürokratisierung der Pflege - im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums. Sie ließ die Verschlankung der Dokumentation in der Praxis ausführlich testen. Bundesweit 31 ambulante und 26 stationäre Pflegeeinrichtungen haben ein neues Verfahren von Oktober 2013 bis Januar 2014 erprobt.

Offiziell vorgestellt wird der Abschlussbericht am 26. März in Hannover. Bei der ersten Präsentation der Ergebnisse in Berlin herrschte regelrechte Begeisterung: Kostenträger, Berufsverbände, Verbraucherschützer und Aufsichtsbehörden waren voll des Lobes. "Was hier erreicht wurde, ist ein echter Meilenstein", urteilte Werner Hesse, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

An der aufwendigen Pflegedokumentation wird auch kritisiert, dass sie in hohem Maße aus Angst geschieht. Die Pflegefachkräfte wollen vor den prüfenden Kontrollinstanzen bestehen. Sie stehen dabei unter erheblichem Druck, denn was nicht in den zahllosen Berichtsbögen festgehalten ist, gilt als nicht gemacht.

Voraussetzung: in Pflegekompetenz vertrauen

"Beim Versuch, das Dokumentationsproblem zu bewältigen, muss man zuerst einmal Pflegekräften und deren Kompetenzen vertrauen. Erst wenn diese Basis steht, lässt sich alles andere auch einer Lösung zuführen", sagt Peter Frings, Justiziar und Abteilungsleiter im Münsteraner Caritasverband. Auch Beikirchs Praxistest hatte zum Ziel, der fachlichen Einschätzung der Pflegekräfte wieder mehr Gewicht zu geben.

Kern der geplanten Reform ist der Verzicht auf das schematische Abhaken von Maßnahmen der Grundpflege, die zur täglichen Routine gehören. Wegfallen sollen dann die Formblätter zur Anamnese, der Biografiebogen, die Risikoeinschätzung und der einsatzbezogene Pflegebericht.

Im Gegenzug werden nur noch Ereignisse aufgeschrieben, die von der individuellen Pflegeplanung abweichen - im stationären Bereich kann in der Grundpflege daher grundsätzlich auf Einzelleistungsnachweise verzichtet werden. Im ambulanten Bereich gilt das nicht: Hier sind die Nachweise Grundlage zur Abrechnung mit den Kostenträgern. Aber auch hier gilt: Kurz und bündig ist haftungsrechtlich unbedenklich.

Routinemaßnahmen nicht dokumentieren

Dieser Paradigmenwechsel scheint juristisch unangreifbar zu sein. In einer "Kasseler Erklärung" vom Januar dieses Jahres kommen Anwälte und Pflegeexperten zu dem Ergebnis: "Die Dokumentationspflicht erstreckt sich nur auf die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie auf die wesentlichen Verlaufsdaten." Nicht dokumentiert werden müssen den Fachleuten zufolge Routinemaßnahmen und standardisierte Zwischenschritte.

Jetzt ist die Bundesregierung gefordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verändern. Karl-Josef Laumann, Pflegebeauftragter der Bundesregierung (CDU), sagte in Berlin bereits seine Unterstützung zu.

Jochen Fallenberg, Geschäftsführer eines Caritas-Pflegedienstes in Coesfeld, hat an Beikirchs Praxistest teilgenommen. Ihn hat der neue Ansatz auch betriebswirtschaftlich überzeugt: Er habe 40 Prozent weniger Dokumentationszeit für die Pflegeplanung registriert. Monika Ohle vom Casa Reha Seniorenzentrum in München: "Mir wird jetzt erst bewusst, wie verrückt die derzeitigen Dokumentationspflichten sind."