"Big Brother" mit philosophischem Anstrich

Foto: dpa/Robin Utrecht
Teilnehmer der niederländischen Fernsehshow "Utopia" haben ein Jahr lang Zeit, um eine neue Gesellschaftsordnung zu entwickeln.
"Big Brother" mit philosophischem Anstrich
Die niederländische Fernsehshow "Utopia" ging mit einem ambitionierten Ziel an den Start: Die Teilnehmer sollten nicht weniger als eine neue Gesellschaftsordnung aufstellen. Bisher beschränken sich die Gespräche allerdings auf Zank und Tratsch.
01.02.2014
epd
Benjamin Dürr

Gibt es Utopia, die ideale Gesellschaft? Wie verhält sich eine Gruppe Menschen isoliert von der Außenwelt? Entstehen Regeln, gibt es Anführer? Ausgerechnet SBS6, das niederländische RTL II, macht sich auf die Suche nach Antworten. Was ein interessantes sozial-philosophisches Experiment hätte werden können, entwickelt sich allerdings gut drei Wochen nach dem Start zu einer verkappten Version von "Big Brother".

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In der Fernsehshow "Utopia" werden 15 Niederländer für ein Jahr isoliert und rund um die Uhr von Kameras beobachtet. Am Anfang hatten sie nichts außer einem Strom- und Wasseranschluss, ein paar Tieren, einem Telefon und einem Geldbetrag. Das Gelände liegt abgeschirmt östlich von Amsterdam, nur eine Baracke steht darauf. Auf diesem Grundstück sollen die Einwohner eine neue Gemeinschaft aufbauen.

Bereits Philosophen wie Plato und Thomas Morus versuchten, eine ideale Gesellschaftsform zu entwickeln. Basierend auf Morus' Roman "Utopia" aus dem Jahr 1516 und dem "Big Brother"-Konzept hat der niederländische Medienunternehmer John de Mol nun das neue Fernsehformat entwickelt.

Am ersten Abend sahen 1,5 Millionen Menschen zu, die "Utopia"-App, mit der man online 24 Stunden täglich zuschauen kann, wurde in den ersten Tagen nach Angaben des Senders 110.000 Mal heruntergeladen. Seit der ersten Folge am 6. Januar schalten jeden Abend mehr als eine Million Zuschauer ein. Das entspricht einem Marktanteil von rund 20 Prozent.

Gemeinschaft ohne Alkohol und Anführer nicht realistisch

Die Reaktionen sind positiv, Kritiker und Rezensenten halten sich häufig an Kleinigkeiten auf - etwa, dass die Folgen erst Tage später ausgestrahlt würden, obwohl durch die Live-Funktion im Internet das Wesentliche schon bekannt sei. Dass sich auch nach drei Wochen "Utopia" noch kein Ansatz einer anderen Gesellschaftsordnung oder eine Debatte darüber entwickelt, scheint kaum jemanden zu stören.

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Einer der wenigen, die den Gedanken überhaupt zu haben scheinen, ist Teilnehmer Rienk, 29. Seit vier Jahren ist er barfuß als Landstreicher unterwegs, steht in seinem Internet-Profil. Er wolle etwas Neues, etwas Großes. Rienk findet zum Beispiel, in "Utopia" solle es keine Anführer geben und keinen Alkohol.

Für ein Alkoholverbot fehlt ihm die Unterstützung der anderen und eine Hierarchie entwickelt sich von selbst. Es gibt Paul, der als Handwerker einen Ofen aufbaute und eine Toilette installierte. Aide, außerhalb "Utopias" Management-Beraterin, organisiert und koordiniert den Alltag. Beide sind zu Leitfiguren geworden.

Wer zahlt, bekommt mehr Einblicke in Utopia

Worauf die "Utopia"-Einwohner aber ihre Gemeinschaft basieren und wovon sie ein Jahr lang leben, ist weiterhin offen. Die Ideen reichen bisher bis zur Eröffnung eines Biomarkts und eines Tattoo-Studios um Geld zu verdienen. Statt gesellschaftlicher Utopien gibt es Intrigen, Gerüchte und Getratsche; einen vierfachen Familienvater, der vor den Kameras mit einer Mitbewohnerin rummacht - Szenen, die schon "Big Brother" erfolgreich gemacht haben.

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Auch in "Utopia" wechseln die Bewohner. Die Teilnehmer stimmen alle vier Wochen darüber ab, wer den Platz räumen muss. Zuschauer, die Mitglied geworden sind und damit einen "Pass" für Utopia haben, wählen den Nachfolger. Der Zugang kostet 2,50 Euro im Monat und bietet neben vier Live-Streams auch die Möglichkeit, selbst zwei 360 Grad-Kameras zu steuern und mit den Bewohnern zu chatten.

Für ein Jahr ist "Utopia" angelegt, danach kehren die Einwohner in ihren Alltag zurück. Dass am Ende eine andere Gesellschaftsordnung steht, ist nach knapp einem Monat unwahrscheinlich. Möglicherweise ist das aber auch nicht das vorrangige Ziel von SBS6. Die Kandidaten jedenfalls scheinen nicht aufgrund ihrer Ideen ausgewählt worden zu sein. Als Rienk, der Landstreicher, die anderen fragt, wer Thomas Morus' Buch "Utopia" gelesen habe, auf das die Idee zurückgeht, herrscht Schweigen.