Brasilianischer Autor beklagt mangelnde Aufarbeitung der Diktatur

Brasilianischer Autor beklagt mangelnde Aufarbeitung der Diktatur
In Brasilien gibt es nach Ansicht des Autors Bernardo Kucinski wenig Bereitschaft, die Verbrechen der Militärdiktatur (1964-1985) aufzuarbeiten.
09.10.2013
epd
Elvira Treffinger

Die von der Regierung eingesetzte Wahrheitskommission tage hinter verschlossenen Türen und müsse die Armee regelrecht um Dokumente von damals bitten, sagte der brasilianische Schriftsteller mit polnisch-jüdischen Wurzeln dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rande der Frankfurter Buchmesse. "Die Familien der Opfer fühlen sich in der Kommission nicht gut vertreten", fügte er hinzu.

Kucinskis Schwester Ana Rosa gehört zu den etwa 475 Ermordeten der Diktatur. Ihr Schicksal ist bis heute unklar, seitdem sie im April 1974 im Alter von 32 Jahren von der politischen Polizei verschleppt wurde. Ihre Geschichte bildete die Grundlage für Kucinskis Romandebüt "K. oder die verschwundene Tochter". Brasilien ist in diesem Jahr Ehrengast der Buchmesse.

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Obwohl die meisten Verantwortlichen für die Diktatur-Verbrechen bereits gestorben seien, habe die Wahrheitskommission nicht nur keine Befugnis, Strafverfahren anzustoßen, sondern könne auch keine Transparenz schaffen, kritisierte Kucinski. Dabei wäre die Auseinandersetzung mit der Geschichte wichtig "für das nationale Gedächtnis" und die künftige Verankerung der Bürgerrechte. Bis heute erschieße die Polizei in Brasilien Verdächtige und lasse ihre Leichen verschwinden: "Da gibt es eine Kontinuität."

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, obwohl selbst während der Diktatur gefoltert, habe bei der Bildung der Kommission aus Gründen der Staatsräson dem Militär Zugeständnisse gemacht, erklärte Kucinski. "Die Generäle haben bis heute kein Schuldbekenntnis abgelegt." Sie könnten die Aufklärung weiter behindern. Über die Diktatur herrsche in Brasilien vielfach Unkenntnis und Gleichgültigkeit, ganz anders als in Argentinien, wo durch die Ermordung von bis zu 30.000 Menschen unter der Junta (1976-1983) ein "nationales Trauma" entstanden sei.

In Brasilien gab es laut Kucinski dagegen relativ wenig Widerstand gegen die Militärs. Dieser war nach seinen Worten relativ isoliert und wurde ausgelöscht, ohne dass die große Mehrheit dies merkte. Etwa weitere 50.000 Menschen hätten eine "gewisse Unterdrückung" gespürt und etwa ihre Jobs verloren.

Bernardo Kucinski: K. oder die verschwundene Tochter, Roman, aus dem brasilianischen Portugiesisch von Sarita Brandt, 144 Seiten, Transit Verlag Berlin, 16,80 Euro.