Als der "Fladenherrgott" die Oblaten brachte

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"Wenn die Menschen damals nicht so fromm gewesen wären, hätte auch keiner dem Theologen Luther zugehört", sagt der Mühlhäuser Museumsleiter Thomas T. Müller.
Als der "Fladenherrgott" die Oblaten brachte
Das Jahrhundert der Reformation war keine Krisenzeit, sondern eine Epoche tiefer und lebendiger Frömmigkeit. Während Fachleuten die These längst bekannt ist, soll sie dem breiten Publikum nunmehr erstmals in drei Ausstellungen vorgestellt werden.
01.09.2013
epd
Thomas Bickelhaupt

Christusfiguren mit beweglichen Armen und Beinen für den Himmelfahrtsgottesdienst, das Modell einer hanseatischen Kogge zum Zeichen des Danks für Rettung auf hoher See, Pilgerzeichen als Beleg für monatelange religiöse Reisen: Die Frömmigkeit der Menschen um das Jahr 1500 hat eine Vielzahl von bis heute sichtbaren Zeichen hervorgebracht. Eine Ausstellung ab Ende September in Mühlhausen bringt vieles davon erstmals nach Jahrhunderten aus dem Verborgenen ans Licht.

Unter dem Motto "Umsonst ist der Tod" sollen vor allem selten oder nie gezeigte Stücke präsentiert werden, die bisher wissenschaftlich kaum behandelt worden sind, sagt der Mühlhäuser Museumsleiter und Mitinitiator Thomas T. Müller. Nach der ersten Station bis April in Nordthüringen wandert die Ausstellung anschließend nach Leipzig, bevor sie dann ab November 2014 in Magdeburg zu sehen sein wird.

Religöse Vielfalt

"Wir zeigen nicht so sehr Gold und Edelsteine", dämpft Müller die Erwartungen von Besuchern, die prunkvolle Kirchenschätze sehen wollen. Die ausgewählten Stücke aus Kirchen und kleinen Museen im mitteldeutschen "Mutterland der Reformation" seien vielmehr Belege dafür, dass die Menschen im damaligen Deutschland ihre Zeit keineswegs als Krisenzeit wahrgenommen haben, sondern den Glauben in breiter Vielfalt lebten.

###mehr-artikel###Diese These sei nicht neu, erläutert Müller. Schon 1965 habe der Göttinger Kirchengeschichtler Bernd Moeller in einem Aufsatz zur Frömmigkeit in Deutschland um 1500 dargestellt, dass die Reformation keineswegs das Ergebnis einer kirchlichen oder religiösen Krise war. Während die Wissenschaft dieser Auffassung seither weitgehend gefolgt sei, dominiere in der breiten Öffentlichkeit weiterhin das düstere Krisenszenario.

Auch das auf den ersten Blick etwas irritierende Motto "Umsonst ist der Tod" sei ein Hinweis auf religiöse Vielfalt, sagt der Thüringer Wissenschaftler. In der Vorstellungswelt des späten Mittelalters habe das Sterben "nur das irdische Leben" gekostet. Dagegen sei im Alltag für nahezu alles andere etwas zu entrichten gewesen. "Auch für das erhoffte Seelenheil im Himmel konnte man zuvor auf Erden vorsorgen - mit guten Taten, aber auch mit Spenden oder einem Ablassbrief, mit einem gottesfürchtigen Leben also."

Christi Himmelfahrt durch das Kirchendach

Erhaltene Zeugnisse dieser Alltagsfrömmigkeit sind etwa Votivgaben als symbolischer Dank für erfahrene Hilfe,  sogenannte Leibzeichen als Zeichen für eine ungesühnte Mordtat oder die Figur eines "Auffahrtschristus", mit der einst Christi Himmelfahrt nachgestaltet wurde: Nachdem die am Seil nach oben gezogene Christusfigur durch das Himmelsloch über dem Deckengewölbe entschwunden war, fielen von dort Oblaten für das Abendmahl herab. Bald war die Bezeichnung "Fladenherrgott" gefunden.

Die Ausstellungsstücke hat der Berliner Kirchenhistoriker und Kurator Hartmut Kühne in mühevoller Kleinarbeit in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen zusammengetragen. Damit sind erstmals die drei Bundesländer an einem solchen Projekt beteiligt, das der Leipziger Historiker Enno Bünz wissenschaftlich begleitet. An jedem der drei Standorte soll die Auswahl jeweils um spezifische Stücke aus der Region erweitert werden.

Die Menschen hörten Luther zu - weil sie fromm waren

Themen ihrer Präsentation sind die Kirchen als Ort des Heilsangebots von der Wiege bis zur Bahre oder die Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Weitere Kapitel gelten der Welt magischer Gegenstände und des Wunderglaubens sowie Wallfahrten, geistlichen Schauspielen, Andachtsbildern und Jesus-Figuren. Als eine besondere Form der Alltagsfrömmigkeit wird schließlich der Ablasshandel dargestellt, an dem sich Martin Luthers Protest entzündete.

Für Thomas T. Müller führt der Ausblick auf die Reformation zugleich zurück zum Ausgangspunkt des Gesamtprojekts: "Wenn die Menschen damals nicht so fromm gewesen wären, hätte auch keiner dem Theologen Luther zugehört", ist der Historiker überzeugt.