Ägypten übt Demokratie

Foto: dpa/Andre Pain
Ägyptische Frauen feiern die Intervention des Militärs, das die Amtszeit von Präsidenten Mohamed Mursi am 3. Juli 2013 für beendet erklärte.
Ägypten übt Demokratie
Seit der Herrschaft der Muslim-Bruder sei vieles im Land schlechter geworden, sagt Barbara Bishay. Die Deutsch-Ägypterin engagiert sich im Verein Mayadin al-Tahrir, der den Menschen in Ägypten dabei helfen will, Demokratie zu leben. Mursis Absetzung durch das Militär auf Wunsch des Volkes sei Ausdruck davon, dass das Volk die Demokratie wolle. Dabei gehe es nicht nur um freie Wahlen.
11.07.2013
evangelisch.de

War die Absetzung Mursis durch das Militär ein Putsch oder Revolution?

Barbara Bishay: Für mich ist es kein Putsch, weil Putsch bedeutet, dass das Militär an die Macht kommt. 2011 hat es einen Putsch gegeben: das Militär war nach Mubarak an der Macht. Und heute hätte das Militär Mursi nicht gebeten, seinen Posten aufzugeben, wenn die Menschen es nicht gefordert hätten. Es wird davon ausgegangen, dass 30 Millionen von rund 80 Millionen Ägyptern auf die Straße gegangen sind, um gegen die Herrschaft der Muslimbrüder zu demonstrieren. Etwa 22 Millionen sollen mit ihrer Unterschrift in einer Petition seinen Rücktritt gefordert haben. Das ist für mich ein demokratischer Akt und somit Ausdruck der Revolution.

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Eine junge Demokratie mit Hilfe des Militärs zu etablieren – ist das nicht ein falsches Signal?

Bishay: Die Wahlen vor einem Jahr waren zwar frei. Doch dann hat sich unter den Muslim-Brüdern eine neue Diktatur etabliert. Lediglich die Muslim-Brüder haben für die aktuelle Verfassung gestimmt. Sie festigt deren Macht. Die Muslim-Brüder haben die Demokratie nur benutzt, ihrem Wunsch nach einem Gottesstaat zu verwirklichen. So etwas wie ein Volksentscheid, zum Beispiel, ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Obwohl Mursi vor den Wahlen gesagt hat: "Wir wollen nie mehr eine Diktatur. Ich möchte, dass die Menschen demonstrieren, wenn sie nicht zufrieden mit mir sind." Er hat es anscheinend nicht so gemeint, aber die Ägypter haben sich seine Worte gemerkt und sind auf die Straße gegangen. Und dass das Militär dem Volk geholfen hat, war nach verschiedenen Gesprächsversuchen und letztlich einem 48-stündigem Ultimatum, um Mursis Rücktritt zu erwirken, notwendig. Für mich sah es so aus, dass ein Bürgerkriegs-Szenario nicht mehr weit weg war. Und das Militär sieht seine Aufgabe darin, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Die Muslim-Brüder haben alle Verhandlungen boykottiert.

"Die Muslim-Brüder haben sich alles unter den Nagel gerissen"

Was für eine Vorstellung von Demokratie haben die Ägypter?

Bishay: Das ägyptische Volk hat über 50 Jahre unter einer Diktatur gelebt. Durch die zweite Revolution hat man gesehen, dass die Ägypter schon verstehen, dass es nicht nur um freie Wahlen geht. Es geht um mehr. Es ist deshalb in Ägypten nicht viel anders als in Deutschland: Die Existenzsicherung ist ganz wichtig. Die Muslim-Brüder haben sich alles unter den Nagel gerissen. Sie waren überall vertreten, haben eine Alleinherrschaft aufbauen wollen. Ich bin Christin und meine Familie hatte auch schon vor Mursis Amstantritt Angst. Ich war hingegen immer jemand der gesagt hat: "Vielleicht machen die Muslim-Brüder ja doch etwas Gutes." Doch unter ihnen wurde alles viel, viel schlimmer. Die Angst ist da.

Als Frau merkt man es eher: Es ist jetzt schon so, dass eine nicht verschleierte Frau mit Sicherheit Christin ist. Auch wenn man ins Schwimmbad geht, dann trauen sich die Frauen nicht mehr, zu baden. Alle Frauen sind vollverschleiert. Früher haben unverschleierte Frauen nur Blicke auf sich gezogen. Heute müssen Frauen Verbalattacken erleiden und werden auf der Straße von fremden Männern angefasst. Ich würde heute nicht mehr, wie früher, alleine herumlaufen und auch nicht in kurzen Sachen. Dass Frauen Kopftücher tragen, hat es natürlich auch schon vorher gegeben. Ägypten ist ein muslimisches Land. Aber nicht in dieser Massivität.

Welche Gruppen wollen welche Art von Gesellschaft?

Bishay: Die Salafisten und Muslim-Brüder wollen nur einen Gottesstaat. Liberale Christen und Muslime wollen eine Demokratie. Auch vollverschleierte Frauen haben gegen Mursi demonstriert, weil sie gesagt haben, die Muslim-Brüder ziehen den Islam in den Dreck. Das Problem ist im Moment auch die Wirtschaft und die Infrastruktur. Es gibt kein Benzin mehr. 30 Prozent der Ägypter verdienen ihr Geld mit Taxifahren. Lebensmittel sind teurer geworden, alles ist teurer geworden.

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Was hoffen Sie für die nächsten Monate?

Bishay: Ich hoffe, dass die Übergangsregierung eine Chance bekommt von den Ägyptern. Und dass es bald Parlamentswahlen gibt. Das Problem bei den vergangenen Wahlen war, dass es zwei Wahldurchgänge gab. Im ersten haben sich die drei liberalen Kandidaten gegenseitig ausgebootet. Übrig blieben Mursi und ein Mubarak-Anhänger. Da haben viele, auch die Christen, natürlich Mursi gewählt, denn einen Mubarak-Nachfolger wollte kaum jemand. Ich hoffe, dass die Liberalen daraus gelernt haben. Meine Familie sieht das jedoch sehr negativ. Sie haben sich Visa für die USA besorgt. Wenn es nicht ruhiger wird, dann müssen wir hier weg, sagen sie. Ich bin aber positiver eingestellt. Es war klar, dass die Muslim-Brüder nicht einfach so Ruhe geben würden. Und die Ägypter haben gezeigt, dass wir es nicht zulassen, wenn wieder jemand kommt, der eine Diktatur will. Ich hoffe, dass es eine neue, stabile Regierung gibt, dass es viele Parteien ins Parlament schaffen und dass sich auch die Muslim-Brüder in einer ägyptischen Demokratie beteiligen.