Richard Wagners Nacht im Pfarrhaus

Foto: Bernd Buchner
Links oder rechts? In welcher der beiden Haushälften Richard Wagner die Nacht vom 12. auf den 13. August 1860 verbrachte, ist unsicher. Im gelben Haus links ist heute ein Friseurladen, während in der rechten Haushälfte Pfarrer Andreas Heidrich mit seiner Familie wohnt.
Richard Wagners Nacht im Pfarrhaus
In Bad Soden erinnern gleich zwei Gedenktafeln an den berühmten Komponisten
Ein Haus, zwei Gedenktafeln: Als der Musikrevolutionär Richard Wagner 1860 wieder nach Deutschland reisen durfte, verbrachte er die erste Nacht im hessischen Bad Soden. Wo genau, ist bis heute unklar. Die eine Hälfte des Gebäudes wird heute als evangelisches Pfarrhaus genutzt.

Richard Wagner (1813-1883) war nicht nur ein begnadeter Komponist, sondern auch ein politischer Wirrkopf. Allein durch einen Umsturz glaubte er seine "Zukunftsmusik" durchsetzen zu können. 1849 wurde Wagner nach der Dresdener Mairevolution aus Deutschland verbannt - es dauerte elf Jahre, bis er zumindest eine Teilamnestie erreichte. Im August 1860 kehrte der Künstler erstmals wieder in sein Heimatland zurück. Die erste Nacht verbrachte er im beschaulichen hessischen Taunusstädtchen Bad Soden, wo seine Frau Minna zur Kur weilte.

Der Komponist Richard Wagner, fotografiert im Jahr 1877
Minna, die ihrem Mann ins Schweizer Exil und später nach Paris gefolgt war, litt nicht nur unter Heimweh, sondern auch unter chronischen Herzbeschwerden. Im Juli 1860 reiste sie auf Rat ihres alten Dresdner Hausarztes Anton Pusinelli nach Bad Soden - die dortigen Salzquellen waren seit Jahrhunderten bekannt, im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Taunusstädtchen zu einem internationalen Kurort. Mit ihrer Freundin Mathilde Schiffner fand Minna Quartier im Haus des Lehrers Carl Jung, "vortreffliche gute Leute mit vier Töchtern", wie sie berichtete.

Haus wurde um 1845 gebaut

Jung war einer der vielen Sodener, die Zimmer an Kurgäste vermieteten. Das Haus "Saxonia" hatte er um 1845 neben der evangelischen Kirche bauen lassen. Es grenzt an den Quellenpark, den zweiten Kurpark der Stadt. "Die Quellen fließen mir bei der Nase vorbei", schrieb Minna Wagner. Ihr Mann traf am 12. August 1860, einem Sonntag, in Bad Soden ein und blieb rund 24 Stunden. Die herbeigerufene Kurkapelle unter Leitung von Ferdinand Pöpperl spielte ein Ständchen. Der berühmte Tonsetzer, der sein markantes dunkelgrünes Samtbarett auf dem Kopf trug, dankte mit einer Ansprache.

###mehr-artikel###Bei der Zimmersuche für Wagner gab es allerdings Probleme. Minnas Quartier war laut zeitgenössischen Berichten voll belegt, so dass man den Komponisten im Nachbargebäude untergebracht habe. Dieser Umstand nun führte zu einem bis in die Gegenwart andauernden Streit - das Haus "Saxonia" bestand wohl von Anfang an aus zwei getrennten Teilen, die jeweils für sich in Anspruch nahmen, Wagner beherbergt zu haben. So gibt es heute zwei Gedenktafeln, die im Abstand von nur wenigen Metern an den Besuch vom August 1860 erinnern - die eine wurde 1902 angebracht, die andere in den 1970er Jahren.

Pfarrer Andreas Heidrich vor der Wagner-Gedenktafel am evangelischen Pfarrhaus in Bad Soden.
Während in der linken Haushälfte heute ein Friseur seinen Salon betreibt, ist die rechte, unter Denkmalschutz stehende Hälfte seit einigen Jahren Pfarrhaus der evangelischen Kirchengemeinde. Pfarrer Andreas Heidrich wohnt dort mit seiner Familie. Er sieht die Konkurrenz der Gedenktafeln mit Ironie: "Der Mythos ist angekratzt." Zu Wagner hat der Pfarrer ein distanziertes Verhältnis. Doch dem gelegentlich geäußerten Wunsch, die Marmortafel für den antisemitischen Komponisten zu entfernen, begegnet er mit dem Hinweis: "Dann müssten wir auch jedes Lutherdenkmal abreißen."

Zweck von Wagners einwöchigem Deutschlandaufenthalt 1860 war übrigens ein Treffen mit Augusta, der Frau des späteren Kaisers Wilhelm I. - sie hatte sich für die Amnestierung des Künstlers eingesetzt. Über Frankfurt reiste Wagner mit seiner Frau weiter nach Baden-Baden, wo er die Kronprinzessin traf. Danach fuhr er über Köln wieder nach Paris. Nationalgefühle hatte der einstige Revolutionär bei seiner Rückkehr in die Heimat kaum empfunden. Von Ergriffenheit habe er "nicht das mindeste verspürt", schrieb er. Seinen Freund Franz Liszt ließ er wissen: "Glaub' mir, wir haben kein Vaterland!"

###mehr-info###Doch schon ein Jahr später kam Wagner erneut nach Bad Soden, wo Minna zum zweiten Mal zur Kur abgestiegen war. "Ich verweilte hier höchst beschwerliche zwei Tage", schrieb er über den Aufenthalt Anfang August 1861. Grund war die dauernde Ehekrise der Wagners. Vermutlich übernachtete der Komponist wieder im Haus "Saxonia" - in welcher Hälfte, muss offenbleiben. Besondere Eindrücke nahm er nicht mit. "Im Ganzen hasse ich den Aufenthalt in Bädern", schrieb er an Minna. Diese wiederum behielt die harten Betten in Erinnerung: "Ich fühle meine Rippen noch immer, wenn ich nur daran denke."