Bundestag lehnt Nachzahlungen von Ghetto-Renten ab

Bundestag lehnt Nachzahlungen von Ghetto-Renten ab
Der Bundestag hat Nachzahlungen von sogenannten Ghetto-Renten abgelehnt. Das Parlament beschloss am Donnerstagabend in Berlin gegen die Stimmen der Opposition, die gegenwärtige Rechtslage beizubehalten.

Die Opposition warf Union und FDP vor, Überlebende des Holocaust um ihnen zustehende Renten zu bringen. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, kritisierte die Haltung der Regierungskoalition als "hartherzig und beschämend".
Politiker der Union wiesen die Kritik zurück. Max Straubinger (CSU) sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), es werde niemandem etwas vorenthalten. Vielmehr würden Veränderungen neue Ungerechtigkeiten mit sich bringen. Die Union sehe daher keine Notwendigkeit, ins Rentenrecht einzugreifen.

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SPD, Grüne und Linksfraktion wollen die Renten für Holocaust-Überlebende, die in Ghettos der Nationalsozialisten gearbeitet haben, angleichen. Einem Teil der Betroffenen werden Renten von 1997 an rückwirkend gezahlt, einem größeren Teil aber erst von 2005 an. Es leben noch rund 20.000 Juden, die davon betroffen sind. Sie sollten nach dem Willen der Opposition entweder eine einmalige Nachzahlung oder eine rückwirkende Auszahlung ihrer Rente von Juli 1997 an erhalten.

Schnelligkeit "wichtiger als bürokratische Pedanterie"

Diese Menschen, die in den Ghettos der Nationalsozialisten unter unmenschlichen Bedingungen hätten arbeiten müssen, seien jahrelang hingehalten worden, sagte Graumann der Wochenzeitung "Jüdische Allgemeine". Nun seien sie sehr alt. Die Renten könnten ihnen helfen, ihren Lebensabend in Würde zu verbringen. Er werde sich weiter dafür einsetzen, dass die früheren Ghetto-Arbeiter noch zu ihrem Recht kämen. Schnelligkeit sei in diesem Fall "wichtiger als bürokratische Pedanterie", sagte Graumann.

Straubinger verwies hingegen darauf, dass bereits eine Angleichung erfolge. Auf Ghetto-Renten, die ab 2005 gezahlt werden, werde ein Aufschlag von mindestens 45 Prozent des monatlichen Rentenbetrags gezahlt. In vielen Fällen liege dieser Aufschlag darüber. Dadurch werde die unterschiedliche Bezugsdauer der Rente ausgeglichen. Zwar führe dies nicht in jedem einzelnen Fall zu Gerechtigkeit, sagte Straubinger, doch sei man zu keiner besseren Lösung gekommen.

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Demgegenüber erklärte die Opposition, jedem einzelnen der betroffenen Rentner würden mehrere tausend Euro vorenthalten. Der Renten-Experte der grünen Fraktion, Wolfgang Strengmann-Kuhn, sagte dem epd, die Behauptung der Union, es bestehe kein Handlungsbedarf sei "zynisch". Je älter die Betroffenen seien, umso höher sei der Betrag, der ihnen entgehe.

70. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto

Die Aufschläge glichen die kürzere Rentenlaufzeit nicht aus, so Strengmann-Kuhn. Menschen, die heute 90 Jahre alt sind, müssten noch acht bis zehn Jahre leben, um auf die Rente zu kommen, die sie erzielt hätten, wenn sie das Geld ab 1997 bekommen hätten. Er hoffe, so der Grünen-Politiker, dass es für sie doch noch eine gerechte Lösung geben werde.

Die Sozialexperten der SPD-Fraktion, Anette Kramme und Anton Schaaf kritisierten, die Koalition ignoriere mit ihrem Vorgehen auch einen früheren Bundestagbeschluss von 2002, alle Ghetto-Renten rückwirkend bis 1997 zu gewähren. Damit hätten Union und FDP die Chance vertan, zum 70. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto am 19. April den Interessen der Überlebenden gerecht zu werden.