Pro & Contra: 30-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich

30 Stundenwoche
Foto: Photocase/view7
Die Lebensuhr tickt weiter: Während Arbeitslose zu viel Zeit haben, sagen Vollzeibeschäftigte, sie hätten zu wenig von ihr.
Pro & Contra: 30-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich
Weniger Arbeiten für das das gleiche Geld? Mehr als hundert Wissenschaftler, Politiker und Gewerkschafter fordern im Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit und Billigjobs die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Ein Diskurs unter Ökonomen.
06.03.2013
Heinz-J. Bontrup (Pro), Hilmar Schneider (Contra)

Pro: "Wir brauchen eine 'kurze Vollzeit für Alle' bei vollem Lohnausgleich"

Von Heinz-J. Bontrup

Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup

"Nur mit Wachstum, von einer wachstumsschädigenden Umwelt ganz zu schweigen, ist in Deutschland eine Vollbeschäftigung nicht mehr erreichbar. Dies gilt selbst in Anbetracht eines demografischen Rückgangs des Arbeitsangebotes. Das seit langem im Trend rückläufige reale Wirtschaftswachstum reicht schlicht nicht aus, die selbst nachlassenden Produktivitätsraten zum Ausgleich zu bringen. Obwohl wir in Wirklichkeit in Deutschland die Arbeitszeit in den letzten Jahren auf eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von nur noch 30 Stunden gesenkt haben, blieb uns die Massenarbeitslosigkeit erhalten.

Warum? Weil die Arbeitszeit völlig ungleich verteilt ist. 7,7 Millionen abhängig Beschäftigte haben 2012 nur knapp 15 Stunden in der Woche Arbeit gehabt, von der man nicht leben und nicht sterben kann. Will man auch nur die Hälfte von ihnen 30 Stunden in der Woche beschäftigen, und außerdem die rund 3 Millionen Arbeitslose, die auf eine Arbeitszeit von Null gesetzt sind, in Arbeit bringen, so geht dies nicht ohne eine Arbeitszeitverkürzung bei den Vollzeitbeschäftigten mit heute 40 und mehr Wochenstunden.

Mit der Produktivität steigen auch die Gewinne

Deshalb brauchen wir eine Umverteilung der Arbeit auf eine kollektive 30-Stunden-Woche. Also eine "kurze Vollzeit für alle". Und zwar bei vollem Lohnausgleich. Die Finanzierungsmasse ist dabei die Produktivität. Wenn diese in einer Volkswirtschaft um zwei Prozent zulegt, dann kann der Lohnsatz der Beschäftigten auch um diese zwei Prozent steigen und gleichzeitig die Arbeitszeit um zwei Prozent gesenkt werden. Dies bedeutet Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

Um dann Arbeitslose und Unterbeschäftigte in Arbeit zu bringen, muss das durch die Produktivität freigesetzte Arbeitsvolumen in Form eines Personalausgleichs eingesetzt werden. Übrigens für die neu Beschäftigten zu gleichen Arbeits- und Lohnbedingungen wie das der bereits Beschäftigten. Im Ergebnis ist dies lohnstückkostenneutral. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist nicht bedroht. Und das Vorteilhafte aus Sicht der Unternehmer ist, dass auch noch verteilungsneutral ihre Gewinne unter diesen Bedingungen um zwei Prozent in Höhe der Produktivitätsrate steigen.

Fünf Jahre sind nötig, um die 30-Stunden-Woche einzuführen

Eins gelingt auf Grund der Versäumnisse in Sachen Arbeitszeitverkürzung in der Vergangenheit aber nicht: Die 30-Stunden-Woche lässt sich nicht innerhalb eines Jahres umsetzen. Es sind mindestens fünf Jahre mit einer Verkürzung der Arbeitszeit um fünf Prozent pro Jahr notwendig. Dies würde zur Finanzierung eine Produktivitätsrate von ebenfalls fünf Prozent pro Jahr bedeuten, die aber nicht realistisch ist. Allenfalls eine von um die zwei Prozent. Das heißt etwa drei Prozentpunkte müssen durch eine Umverteilung aus den Gewinnen, Zinsen sowie Mieten und Pachten aufgebracht werden.

Vor dem Hintergrund der gigantischen Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen seit 2000 in Höhe von über eine Billion Euro ist dies aber kein Problem. Im Gegenteil, ein Großteil der funktionslosen Besitzeinkommen wird dann für eine gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Arbeitszeitverkürzung zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit eingesetzt und gleichzeitig den Finanzmärkten kontraproduktives Spekulationsgeld entzogen."  

Dr. Heinz-J. Bontrup ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen im Fachbereich Wirtschaftsrecht und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Er ist Mitinitiator des offenen Briefes, der im Februar verschickt wurde.

 


 

Contra: "Weil die Arbeitskräfte knapper werden, braucht Deutschland keine verordnete Arbeitszeitverkürzung, sondern das Gegenteil"

Von Hilmar Schneider

Dr. Hilmar Schneider/IZA Bonn

"Deutschland steht die gewaltigste Arbeitskräfteverknappung seit Menschengedenken bevor. Ohne Zuwanderung verliert das Land aus demographischen Gründen in den kommenden Jahrzehnten jedes Jahr eine halbe Million potenzieller Arbeitskräfte. Bis zum Jahr 2060 könnte die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von heute 54 auf dann 31 Millionen sinken. Selbst mit einer als halbwegs realistisch anzunehmenden Nettozuwanderung von 200.000 Personen pro Jahr lässt sich dieser Rückgang lediglich auf 39 Millionen beschränken.

Hinzu kommt: Der in Köpfen gemessene Bevölkerungsrückgang wird durch Altersstruktureffekte noch einmal erheblich verstärkt werden. Vor zehn Jahren war nur gut jeder Vierte im erwerbsfähigen Alter älter als 50 Jahre. In zehn Jahren werden es fast 40 Prozent sein. Teils gesundheitsbedingt, teils aus freien Stücken arbeiten Ältere aber weniger als Jüngere. Das bedeutet faktisch, dass der Rückgang an Personen durch einen Rückgang an Arbeitszeit in praktisch gleicher Größenordnung verschärft wird.

Es gibt nicht genug Fachkräfte

Angesichts solcher Zahlen wirkt es schon mehr als befremdlich, wenn jetzt in einem Memorandum von einer Gruppe von Gewerkschaftern und Linken eine pauschale Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich gefordert wird. Das ist etwa so, als ob der ADAC seinen Mitgliedern empfehlen würde, vor einem Verkehrshindernis noch einmal richtig aufs Gas zu treten.

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich bedeutet erstens, dass die absehbare Verknappung von Arbeitskraft noch einmal erheblich zunimmt. Wo Unternehmen heute schon Schwierigkeiten haben, geeignete Fachkräfte zu gewinnen, werden die Probleme sicher nicht kleiner, wenn aus drei Stellen vier gemacht werden sollen. Sie bedeutet zweitens, dass sich die Kosten der Arbeit erheblich erhöhen. Wenn der gleiche Monatslohn schon bei 30 statt bei 40 Wochenstunden fällig ist, entspricht dies einer Erhöhung der Stundenlöhne um ein Drittel. Steigende Arbeitskosten reduzieren aber die nachgefragte Menge nach Arbeit in prozentual etwa gleicher Größenordnung.

Deutschland braucht Arbeitskräfte, die länger arbeiten

Angesichts des einsetzenden Bevölkerungsrückgangs braucht Deutschland keine gesetzlich verordnete Arbeitszeitverkürzung, sondern genau das Gegenteil. Um die zur Aufrechterhaltung des Pro-Kopf-Wohlstands erforderliche Zahl von Jobs in Deutschland sichern zu können, bedarf es rein rechnerisch einer schrittweisen Ausweitung der Pro-Kopf-Arbeitszeit von heute etwa 1.400 Stunden pro Jahr auf etwa 1.700 Stunden bis zum Jahr 2050. Selbstverständlich bei entsprechend höherem Verdienst!

Eine durchschnittliche Jahresarbeitszeit von 1.700 Stunden mag für deutsche Verhältnisse anspruchsvoll erscheinen, liegt aber immer noch rund 100 Stunden unter der heutigen durchschnittlichen Arbeitszeit von Japanern oder Amerikanern.

Damit das gelingen kann, müssen nicht in erster Linie die Vollzeittätigen noch mehr arbeiten als sie es ohnehin schon tun. Vielmehr bedarf es einer radikalen Beseitigung der anachronistischen Teilzeitanreize wie Minijobs und Ehegattensplitting."

Dr. Hilmar Schneider ist Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn.