Kairo ist laut und staubig, aber nicht schwarz-weiß

Foto: ddp images/AP/Victoria Hazou
Kairo ist laut und staubig, aber nicht schwarz-weiß
Ägyptens neugewählter Präsident Mohammed Mursi war zu Besuch in Berlin - nur kurz, aber trotzdem musste er sich auch der Kritik stellen. Ein wenig wollte er auch das Bild Ägyptens zurechtrücken, das die Deutschen von außen wahrnehmen. Ein klareres Bild von der Lage in Ägypten zu bekommen, war auch das Ziel einer deutschen Delegation von sechs Muslimen und sechs Christen. Sie waren sieben Tage im Zweistromland. Ihr Eindruck: das Leben der Menschen wird vor allem vom Alltag bestimmt, nicht von der Politik.

Nulf Schade-James meinte zu wissen, was ihn Kairo erwarten würde. Zuletzt war er 2008 dort gewesen, und zwischen 1987 und 1989  hatte er in Kairo gelebt und gearbeitet - als Pastor der deutschen evangelischen Gemeinde und Lehrer für deutsche Kinder. "Kairo ist laut und staubig", mit dieser Vorstellung flog der evangelische Pfarrer aus Frankfurt in die Stadt am Nil.

Diesmal reiste Schade-James aber nicht als Tourist, sondern als Teilnehmer eines Fachkräfteaustausches, den Jürgen Mattis vom Evangelischen Regionalverband Frankfurt und Tharwed Kades von der evangelisch-reformierten Kirche in Ägypten ins Leben gerufen haben.

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Sechs Muslime und sechs Christen, die sich in Frankfurt hauptberuflich oder ehrenamtlich im interreligiösen Dialog engagieren, nahmen an der Reise teil. Sieben Tage lang wollten sich nicht nur ein eigenes Bild über das Verhältnis von Christen und Muslimen machen, sondern sich auch über die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Ägypten informieren.

Die meisten Frankfurter flogen - anders als Schade-James - zum ersten Mal nach Kairo und stellten fest, dass sich die Situation vor Ort doch sehr von dem Bild unterscheidet, das sie sich daheim mittels deutscher Medien gemacht hatten. Gerade Schade-James, der Kairo noch von früher kennt, war erschrocken über das Bild, das die ägyptische Hauptstadt bietet.

Die Armut ist überall präsent

Kairo ist nicht nur laut und staubig, sondern eine Stadt, die dem Verfall ausgeliefert zu sein scheint. Müll, wohin man schaut; kaum eine Straße, an der nicht ein Autowrack steht;  die Fassaden der Häuser bröckeln, die heruntergekommene Häuser erwecken den Eindruck, als hätte lange Jahre Krieg geherrscht in Kairo.  Der Verfall ist nicht auf die politische Entwicklung der vergangenen zwei Jahre zurückzuführen. Das architektonische Erbe aus der Zeit der Osmanen und der Kolonialisierung ist über Jahrzehnte hinweg vernachlässigt worden. Es ist kaum etwas übrig geblieben von der einstigen Pracht.

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Die Armut ist fast überall präsent. Bettelnde Menschen  und Straßenverkäufer, die sich nachts zwischen parkenden Autos ihr Bettenlager errichten, Händler auf den Märkten, die vergeblich auf Touristen warten. Nach der Revolution vor zwei Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation noch weiter verschlechtert. Eine wichtige Einnahmequelle war der Tourismus,  doch Reisende aus dem Ausland sind in der Stadt heute kaum anzutreffen.

Fast die Hälfte der Ägypter lebt unterhalb der Armutsgrenze und muss mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen: Das erfährt die  Reisegruppe aus Frankfurt bei ihrem Termin in der Deutschen Botschaft.  Informationen gibt es auch über die Parlamentswahlen,  bei dem Mohammed Mursi als Präsent hervorging. Mehr als 70 Prozent der Ägypter wählten den Muslimbruder zum Staatsoberhaupt.

Es fehlt an Bildung und wirtschaftlichem Aufschwung

In hiesigen Medien wird diese Entwicklung als Abdriften Ägyptens in einen islamistischen Staat gedeutet. Wolfgang Freiherr von Erffa von der deutschen Botschaft in Kairo sieht diese Gefahr nicht. Aber das Land brauche mehr Investitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln, meint er, denn erst eine stabile Ökonomie sei die Grundlage für einen  Rechtstaat. 

Straßenszene unweit der Ibn-Tulun-Moschee, einer der ältesten Kairos.

Dass Menschen, die ums nackte Überleben kämpfen, ganz andere Sorgen haben als sich mit Politik und  demokratischem Regierungssystem  zu befassen, wird auch der deutschen Reisegruppe sehr deutlich. Bei den Treffen mit Oppositionellen lernen sie auch, dass diese Gegner der Regierung vor allem die privilegierten Ägypter sind - gut ausgebildete Bürger. Über 50 Prozent der ägyptischen Bevölkerung können aber nicht Lesen und Schreiben.

Auch die Christen Ägyptens sind unzufrieden mit dem Ausgang der Parlamentswahlen. Vertreter christlicher Gemeinden berichten immer wieder, dass sie sich der Gesellschaft gegenüber geöffnet hätten. Zu hören ist aber auch von ihrer Angst, die neue Verfassung könne zur Islamisierung des Landes führen -  und damit zu weiteren Einschränkungen für ihr Leben. 

Nichts ist schwarz oder weiß

Die Angst der ägyptischen Christen kennt Schade-James auch aus seiner Zeit als Pfarrer in Kairo. Er hat den Eindruck, dass sie damals wie heute über ihre Situation klagen.

Aber ob sich die Lage für die Christen durch die Revolution tatsächlich weiter verschlechtert, ist schwer zu beurteilen – vor allem von außen.  Ein Beispiel dafür ist das Personenstandsgesetz, geregelt in Artikel 3 der neuen Verfassung. Damit haben Christen laut Präsident Mursi zum ersten Mal die Chance, nach ihren eigenen Statuten zu entscheiden, das heißt über Dinge wie Ehe und Scheidung zu befinden. Aus westlicher Sicht widerspricht das dem demokratischen Grundsatz  von der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz des Staates. In Ägypten wird diese Neuregelung jedoch als Fortschritt betrachtet, den auch die koptischen Christen begrüßen.

Es ist nichts schwarz oder weiß in diesem Land im Umbruch. Die Wahrheit liegt meistens irgendwo dazwischen. Das erfährt die christlich-muslimische Gruppe, als sie zum Freitagsgebet eine Moschee besucht. Der Imam und die Gottesdienstbesucher begrüßen die Gäste sehr herzlich. Über Lautsprecher wird die Ansprache des Imams ins Wohnviertel übertragen. Als auch Ilona Klemens, Pfarrerin für den interreligiösen Dialog in Frankfurt, ans Mikrofon tritt, empört sich ein als Salafist zu erkennender Mann. Er schreit und protestiert dagegen, dass eine Christin in einer Moschee spricht.

Viel Wohlwollen für die deutsche Delegation

Aber es gibt auch andere Erfahrungen. Als Pfarrer Schade-James mit dem Taxi unterwegs ist und sich mit dem Fahrer auf Englisch über die Lage der Christen in Ägypten unterhält, schlägt ihm viel Wohlwollen entgegen. Am Ende der Fahrt will der Taxifahrer auf das Geld verzichten. "Für mich sind alle gleich, egal welche Religion sie haben", sagt er.

Pfarrer Nulf Schade-James auf dem Basar von Kairo.

Und noch eine Begebenheit macht Mut: In Alt-Kairo, wo die meisten Christen leben, hängt (immer noch) ein Transparent mit dem Schriftzug "Die Partei der Moslembrüder wünscht allen Christen ein gesegnetes Weihnachtsfest."

Ägypten ist ein gespaltenes Land. Das ist die Erkenntnis, mit der die Frankfurter zurück nach Hause fliegen. Sowohl die christlichen als auch die muslimischen Bürger sind sich nicht einig über die Situation nach der Revolution und über die Regierung von Mohammed Mursi. Wie es weitergeht, ist nicht absehbar. Aber die Menschen vor Ort versuchen vor allem eines: über die Runden zu kommen.