Frauenfußball für den Frieden

Foto: Anne Misselwitz
Fußballerinnen aus dem Nahen Osten und Nordafrika treffen sich mit dem gastgebenden Verein Discover Football in Berlin.
Frauenfußball für den Frieden
Im Flutlicht der Stadionscheinwerfer wird feuchter Nebel sichtbar. Der Fußballplatz in Berlin-Kreuzberg ist erfüllt von Gelächter und einem weiblichen Stimmengewirr aus Arabisch, Englisch und Deutsch. Hier findet ein Turnier statt zwischen arabischen Fußball-Expertinnen und Amateurinnen der Berliner Fußball-NGO Discover Football. Ein kleiner Beitrag zum Friedensprozess, passend zum "Internationalen Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk" an diesem Donnerstag.

"Und denkt dran Mädels, bringt dicke Socken mit, Berlin im November ist kalt", hieß es in der letzten Email von Discover Football e.V. an die 16 Teilnehmerinnen des ersten Fußball- Expertinnenforums in Berlin, mit dem Schwerpunkt Arabische Länder. Einer Initiative des Vereins, der sich schon seit 2009 für länderübergreifende Begegnung im Frauenfußball engagiert und sich auf diese Weise für Gleichberechtigung stark macht.

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Seit Samstag sind sie nun da. Die jungen Frauen aus der sogenannten MENA-Region, der Abkürzung für Middle East und North Africa (Nahost und Nordafrika). Trainerinnen, Kapitäninnen und Funktionärinnen – eben Expertinnen für den Fußballsport aus dem Irak, dem Libanon, aus Tunesien, Saudi-Arabien und Palästina.

Seit vier Tagen tauschen sich die jungen Frauen auf gemeinsamen Seminaren zum Stand des Frauenfußballs in der Region aus. Es wird besprochen, was man schon erreicht hat und wie man noch besser werden kann, wie man Voraussetzungen dafür schaffen kann, dass mehr Mädchen Fußball spielen. Und zwischendrin gibt es immer wieder Fußball life. Ob als Zuschauerinnen beim Spiel der Hertha BSC gegen den 1. FC Köln oder bei einem Treffen mit der Frauenmannschaft des 1. FC Union Berlin.

Anpfiff. Bei gefühlten Minusgraden geht es los. "Let's play" ruft Johanna Kösters von Discover Football und schießt den Ball in die Gruppe. Schnell wird klar, die Gäste sind im Vorteil. Flinke Beinarbeit, schnelle Pässe. Aber sie haben auch die Kapitänin des palästinensischen Frauen-Nationalteams in ihren Reihen. Jacqueline Jazrawi, 26 Jahre alt und eine Rakete auf dem Feld. Einige der Expertinnen stehen am Rand, als Zuschauerinnen oder auf ihren Einsatz wartend. Sie feuern den Profi aus Bethlehem an. Fangesänge – die gibt es auch auf arabisch. "Kein Problem, passiert nichts, wir sind wie Feuer."

Findet eine Frau, die Fußball spielt, einen Ehemann?

Jazrawi hat als kleines Mädchen angefangen mit den Jungs aus der Nachbarschaft zu kicken. Bis zum 6. Schuljahr hat sie das gemacht. Dann kam der Knick. Viele Mädchen hören in dem Alter auf. Ob in Palästina, im Libanon oder anderswo. Zwischen 6 und 14 Jahren ist es sehr einfach für die Mädchen Fußball zu spielen, doch wenn sie älter werden, dann wird es oft ein Problem für die Familien. Denn Fußball ist dort immer noch eine Männerdomäne. Findet eine Frau, die Fußball spielt, einen Ehemann? Eine Frage, die für die Familien in diesen kulturell etwas konservativeren Ländern wichtig sei, erklärt Rabab Ramadan aus Jordanien.

Szene aus einem Spiel am MIttwoch in Berlin. Foto: Anne Misselwitz

Sie arbeitet für die Cross Cultures Project Association in Beirut und ist Mitglied im Football Committee for Girls. "Es war bis vor ein paar Jahren noch sehr schwierig, aber mittlerweile sind es 19 Prozent Frauenanteil im Fußball. Unser Ziel sind allerdings 30 Prozent und mehr", erklärt die 48-jährige selbstbewusst. Und die Zeichen dafür stehen gut, denn junge Frauen wie Jazrawi können sich bisweilen durchsetzen: "Fußball ist gerade so populär in Palästina!"

Am Spielfeldrand haben sich mittlerweile drei junge Männer eingefunden. "Ich bin Berliner, aber meine Eltern sind Palästinenser aus Jordanien", erklärt einer von ihnen. "Wir haben die Woche Catering für die Mädchen gemacht und dann wollten wir mal schauen, ob die auch wirklich Fußball spielen können." Während sie zunächst noch ein wenig skeptisch grinsend dem Spiel folgen und immer mal wieder verwundert die johlenden Expertinnen rechts von ihnen beäugen, schießt das arabische Team sein viertes Tor. "Hey, hey International, hey, hey jetzt kommt das Fünfte" skandieren die Frauen lauthals und feuern ihre Mädels an. Bisweilen hört man auch ein 'Los Johanna!'.

"Einfacher, nach Berlin zu reisen als nach Israel"

Johanna Kösters hat eine halbe Stelle im Verein Discover Football. "Wir wollen Frauen aus unterschiedlichen Ländern zusammenbringen, die sonst nicht die Möglichkeit haben sich zu treffen, und sie unterstützen bei der Gründung eines Netzwerks. Und das alles über den Fußball." Für den Verein liegt im Fußball ein unschätzbares Potential, denn er kann Grenzen überwinden. Seit drei Jahren organisiert Discover Football nun Turniere. Die Frauenteams, die seitdem in die Hauptstadt kamen, haben sich alle ihren Ländern sozial engagiert: Da waren Teams, die sich für HIV Aufklärung einsetzen oder welche, die mit Obdachlosen arbeiten. "Es ging einfach immer um ein bisschen mehr als Fußball", erklärt Kösters.

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Dass ein paar der jungen Frauen überhaupt anreisen konnten, war Glück angesichts der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina. Und auch das ist Thema unter den Frauen. Denn sie alle sind mittelbar oder unmittelbar von diesem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt betroffen. Jacqueline Jazrawi kommt aus Bethlehem: "Mit Sicherheit ist es für mich einfacher, nach Berlin zu reisen als nach Israel." Die Checkpoints sind für viele Palästinenser unüberwindbare Grenzen. Da hilft selbst die versöhnende Kraft des Sports nicht. "Wenn Israelinnen in mein Land kommen würden, es als mein Land akzeptieren würden, dann würden wir auch gegen israelische Frauen spielen. Aber sie kommen nicht, sie denken, wir sind alle Terroristen. Aber das sind wir nicht. Das sieht man doch, wir spielen hier ein Spiel des Friedens und haben eine friedliche message."

Sport als Teil eines Friedensprozesses? Für Rabab Ramadan aus dem Libanon kann das funktionieren: "Es gibt viele Religionen im Libanon und wir sorgen dafür, dass alle zusammen spielen. Insofern kann Sport für einen kleinen Frieden sorgen, weil es um Fairness geht." Anne Dihdih hingegen ist skeptisch. Die 32-Jährige Palästinenserin aus Jericho in der Westbank arbeitet für die Fußball-NGO Right to Play in Ramallah. "Sport ist wichtig für eine Gesellschaft, ich sehe es als meine Aufgabe an, Sport in alle Schichten zu bringen, für die Gleichstellung und Gerechtigkeit zu kämpfen. Aber für Frieden muss mehr getan werden als Mädchen, die Fußball spielen."

Nach jeder Intifada wieder von vorn...

Die größte Herausforderung sieht Dihdih darin, dass es in Gaza nach wie vor keinen Fußball für Mädchen gibt und vor allem in der Gewährleistung von Sicherheit und Kontinuität. "Jedes Mal müssen wir wieder ganz von vorn anfangen! Eine kriegerische Auseinandersetzung, eine Intifada, führt dazu, dass der Sport auf einmal keine Rolle mehr spielt. Wenn Bomben fallen, schicken Mütter ihre Kinder nicht mehr auf den Fußballplatz. Und ganz besonders nicht die Mädchen." Auch Anne Dihdih hat lange Fußball gespielt. An ihr letztes Spiel erinnert sie sich noch: Es war der 7. September 2000. Ein Freundschaftsspiel gegen eine italienische Frauenmannschaft. Sie schoss das erste Tor für Palästina. Zwei Wochen später begann die zweite Intifada.

Anne Dihdih aus Jericho in der Westbank. Foto: Karola Kallweit

"Ich weiß nicht, ob die Welt friedlicher wäre, wenn Frauen in mehr Entscheiderpositionen wären, aber auf jeden Fall geht es den Frauen, die hier sind, darum, dass Mädchen überhaupt erst einmal Sport machen dürfen. Für die Jungs ist das in manchen Ländern überhaupt kein denkbares Konzept." Johanna Kösters von Discover Football ist wie ihre deutschen Mitstreiterinnen beeindruckt von den selbstbewussten Besucherinnen und begeistert von ihrer Vision. Am Anfang des Forums hätten sie über Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland erzählt und viele der Frauen seien erstaunt gewesen, dass das in Deutschland erst seit 1970 erlaubt ist und dass sie sich nach wie vor blöde Sprüche anhören müssten. "Sie waren überrascht, aber es war gleichzeitig ist eine Gemeinsamkeit und so konnten wir von Anfang an auf Augenhöhe reden."

Die drei Herren vom Catering sind mittlerweile nicht mehr zu bremsen. Sie feuern an, auf arabisch und auf deutsch, ihren beiden Muttersprachen. Am Ende steht es 5:2 für die Gäste. Man hatte mit Schlimmerem gerechnet, heißt es aus den Reihen von Discover Football. Die Teilnehmerin aus dem Irak, die am Lautesten angefeuert hat, meint lachend, aber nur halb ernst: "German machines, deutsche Technik." Aber am Ende geht es ja auch um etwas anderes. Um die Erkenntnis, dass es wenige kulturelle Unterschiede gibt, dafür viele gemeinsame Ziele. Kick it like the girls!