Ziemlich beste Kömodien: Die Franzosen und ihr Kino

Foto: dpa/Senator Filmverleih
Ziemlich beste Freunde war einer der Überraschungshits in deutschen Kinos - aber beileibe nicht der einzige französische Film, dem hierzulande Erfolg beschert war.
Ziemlich beste Kömodien: Die Franzosen und ihr Kino
Wie die Franzosen die deutschen Kinosäle erobern
Von den Supernasen wollte nie jemand ein Remake machen. Aber die Amerikaner frisieren gerne französische Komödien. Und bei uns steht das Publikum Schlange, um Hits wie die Sch’tis und Ziemlich beste Freunde zu sehen. Wie machen die Nachbarn das bloß?

Alle Kinosäle sind von den Amis besetzt. Alle Kinosäle? Nein! Die unbeugsamen Gallier machen nicht erst seit den Asterix-Comics dem Imperium die kulturelle Vorherrschaft streitig. Noch nie hat das Klischee von der exception culturelle Frankreichs seine Gültigkeit so schlagend bewiesen wie 2012. Nicht genug, dass Martin Scorsese mit Hugo Cabret eine Liebeserklärung an den französischen Stummfilmpionier Georges Méliès drehte. Während der Über-Regisseur fünf Oscar-Trostpreise in den Nebenkategorien verliehen bekam, heimste die Komödie The Artist, eine von unbekannten Frenchies gedrehte Liebeserklärung an das Stummfilmkino Hollywoods, fünf Oscars in den Hauptkategorien ein.

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Neben dem symbolischen erlebt das französische Kino zurzeit besonders kommerziell einen Höhenflug. Ziemlich beste Freunde, eine kaum beworbene Komödie, läuft bei uns im siebten Monat und führt mit mehr als acht Millionen Besuchern vollkommen konkurrenzlos die deutschen Jahrescharts an. Das ist eine Sensation, wird aber fast totgeschwiegen. Vielleicht sind diese Erfolgsmeldungen einfach zu deprimierend für die hiesige Filmbranche, zumal "ZBF" nur die höchste Schaumkrone einer seit Jahrzehnten anhaltenden Welle französischer Filme ist, die in regelmäßigen Abständen in unsere Kinos schwappt. Denn auch andere Komödien wie zum Beispiel Saint Jacques - Pilgern für Anfänger erwiesen sich als Sleeper, die auf jahrelangen Touren durch die Arthouse-Sektion von Multiplexen und Programmkinos Hunderttausende Besucher einsammeln – und nicht nur frankophile Studienräte. Wie kriegen die Franzosen das nur hin? Dazu eine Handvoll Thesen.

1. Die Tradition

Wir wollen hier nicht bis ins 17. Jahrhundert und zu Molière zurückgehen, dessen Komödien noch heute, und oft in deutsche Dialekte übersetzt, die Kassen von Schul- über Provinz- bis zu Staatstheatern füllen. Beginnen wir die Betrachtung mit der Epoche der Asterix-Comics, deren Witzeleien mehr Deutsche auswendig hersagen können als Goethe-Verse. Doch ob Lustspiel oder Farce, Wortspiel oder Slapstick, auf dem Papier oder auf der Bühne: die Kunst der Komik und ihre Techniken werden in Frankreich seit je hoch geschätzt. Das Lachen und der Spott über das Starre, Phlegmatische, Mechanische, Prätentiöse, Aufgeblasene, über Klasse, Rang, Politik, Religion oder das eigene Ego hat eine lange Tradition. Gerade seit den Sechzigern finden sich Kleinkunstregisseure und Darsteller in Kabaretts und café-théâtres, die unmittelbar auf ihr Publikum reagieren müssen, irgendwann auf der Leinwand wieder, so etwa Coluche, Gérard Depardieu, Josiane Balasko, Omar Sy und Dany Boon. Die Nachfrage bestimmt das Angebot: Das beste Beispiel für den Amüsierwillen der Franzosen sind die Club-Med-Shows. Wer je erlebt hat, mit welchem Drive die gentils animateurs der Ferienclubs ihr begeistert mitgehendes Familienpublikum allabendlich bespaßen, der wundert sich nicht über den Boom französischer Komödien. Der prominenteste Ex-Club-Med-Animateur ist Kad Merad.

2. Der gute Ruf

Amélie, den Sch’tis und Ziemlich beste Freunde eilte ihr Ruf voraus. Doch französische Filmkomödien sind in Deutschland seit der Nachkriegszeit eine eingeführte Marke. Sprach Jacques Tati in den Fünfzigern vorwiegend Cineasten an, so beömmelte sich doch ausnahmslos jeder über Louis de Funès und Pierre Richard, den Grossen Blonden mit dem schwarzen Schuh. Seither waren französische Komödien trotz Flauten nie wirklich weg vom Fenster, wie folgende Aufzählung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, zeigt. Von Her mit den kleinen Engländerinnen über Ein irrer Typ mit Jean-Paul Belmondo, Ein Elefant irrt sich gewaltig, Drei Männer und ein Baby, Ein Käfig voller Narren und Mein Vater der Held bis hin zu Meisterstückchen wie Dinner für Spinner, Ein Mann sieht rosa und Tanguy – Der Nesthocker: immer wieder kommen Filme über den Rhein, bei der die Wahrscheinlichkeit für "LOL" oder "ROFL"-Momente groß ist. Und die unterbelichteten Asterix-Familienfilme zehren immerhin noch von der Bekanntheit der Vorlage.

3. Mehr ist mehr

Die Erben der Brüder Lumière haben alle Genres im Repertoire und präsentieren stetig Nachschub an aufregenden Gesichtern. Die französische Filmbranche erscheint so breitgefächert und kreativ wie sonst nur die in den USA. Folgerichtig sind bei dem enormen Ausstoß auch Komödien dabei, zumal neben alten Hasen wie etwa Claude Zidi und Francis Véber sich auch Schauspielerinnen wie Julie Delpy auf den Regiestuhl trauen. Mit 2 Tage New York drehte sie jetzt zum zweiten Mal einen unprätentiösen kleinen Schwank, in dem sie den Culture-Clash zwischen Franzosen und Amerikanern auf die Schippe nimmt. Wunderkind François Ozon wechselt mühelos von Moll nach Dur und lässt in Acht Frauen und Das Schmuckstück die Grandes Dames Fanny Ardant und Catherine Deneuve ihre komischen Seiten zeigen. Eisblock Isabelle Huppert zickt zurzeit königlich durch Mein liebster Alptraum und ist anschließend mit ihrer Tochter in Copacabana zu sehen; Jean Reno knüpft mit Kochen ist Chefsache an Louis de Funès’ Gourmet-Leiden in Brust oder Keule an. Auch stilistisch ist die Palette groß und reicht von Die Kunst zu Lieben mit wortverliebten Feinsinnigkeiten in Marivaux’scher Tradition über Anarcho-Satire bei Ozon bis zum bewährten Fish-out-of-Water-Rezept mit grobmotorischem Humor wie in Willkommen bei den Sch’tis. Dabei kommen noch nicht einmal alle in Frankreich erfolgreichen Produktionen nach Deutschland, wie Camping (2006) oder die James-Bond-Parodien "OSS 117" mit Jean Dujardin belegen. Leider haben auch französische "Funny Bones" wie der Gesichtsakrobat Louis de Funès noch keinen angemessenen Nachfolger gefunden.

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4. Multikulti

Paris ist seit jeher ein Migrantenschmelztiegel, und so sind auch viele Komikspezialisten und Comedians Neufranzosen. Louis de Funès und Jean Reno haben spanische, The Artist- und OSS-Regisseur Michel Hazanavicius hat litauische, Kad Merad algerische Wurzeln. Auch Dany Boon ist algerischer Abstammung, fühlt sich aber mehr seiner Sch’ti-Heimat im Pas-de-Calais verbunden. Gut möglich, dass der Wechsel zwischen den Identitäten den Blickwinkel verschiebt und zu höherer Sensibilität und humoristischer Distanz beiträgt. Konkret wird das in Kad Merads Komödie Fasten auf italienisch sichtbar, in der er in der Rolle eines algerischstämmigen Autoverkäufers die Mimikry eines Klischee-Italieners hinlegt, um gesellschaftlicher Diskriminierung zu entkommen.

5. Anmache

Französische Komödien sehen gut aus und machen schon optisch Appetit. Wir sprechen hier nicht nur von aparten Schauspielerinnen, sondern auch von den surrealen Traumbildern der Pilger in Saint Jacques, den Schokokreationen in Die anonymen Romantiker und den Modelkleidern von Vanessa Paradis in Der Auftragslover. Besonders Amélie und die Micmacs setzen auf visuelle Verführung durch "shabby chic", was man dem Regisseur Jean-Pierre Jeunet auch vorgeworfen hat. Die nostalgieselige Amélie mit ihrem Kleinbürger-Nachkriegs-Paris ohne Migranten, Micmacs, der heruntergekommene Stadtlandschaften in satter Patina ausmalt, Willkommen bei den Sch’tis, wo mit proletarischen Klischees gespielt wird: französische Regisseure gehen mit der Realität erfinderisch um. Das zeigt auch der auf einer wahren Geschichte basierende Kassenhit Ziemlich beste Freunde, wenn der algerische Pfleger Abdel der Vorlage – im Buch anfangs als "eitel und brutal" beschrieben – durch den schwarzen Sonnyboy Omar Sy ersetzt wird, dessen unverfrorener Charme jede Macke überstrahlt.

6. Frauen

Ohnehin im französischen Kino sehr präsent, haben sie auch in Komödien oft das letzte Wort. Wie zum Beispiel die bärbeißige Mutter von Postler Dany Boon, die gierige Kneipenwirtin in Nichts zu verzollen, die schnippische Sekretärin in Ziemlich beste Freunde oder Ozons flamboyante Heldinnen. Julie Delpy nimmt sich mit wunderbarer Selbstironie ihrer eigenen Neurosen an. Wenn Frauen mal nicht für lieb, schutzbedürftig und blöd verkauft werden, sondern wie im wahren Leben biestig, grimmig und schlagfertig sein dürfen, stellt sich eine komödiantische Win-Win-Situation ein: das weibliche Publikum freut’s, und jegliche Biederkeit geht flöten.

7. Timing

Witz entsteht aus Überraschung, aus Brüchen, unerwarteten Assoziationen, hat also etwas mit Tempo zu tun. Und wenn in Ziemlich beste Freunde bei der Konfrontation zweier gesellschaftlich "Unberührbarer", einem Kleinkriminellen aus der Banlieue und einem gelähmten Adligen, Tabus schnoddrig gebrochen werden, ist Timing Trumpf. Wären Philippes Pipi-Kaka-Probleme nur eine Sekunde länger ausgeweitet worden, hätte Driss mehr Zeit bekommen, die sexy Sekretärin anzulüstern, dann hätte sich die Komik in eine sozialpädagogische Botschaft oder in Aggressivität verwandelt. Die oft beschworene Leichtfüßigkeit französischer Komödien ist eben nicht nur ein Klischee: Die Wuseligkeit und der ständiger Perspektivenwechsel sind Grundbedingung für den "Esprit", aber auch für die Darstellung des Allzumenschlichen.

8. Übertragbarkeit

Nur die Besten werden kopiert: französische Komödien erfahren so viele US-Remakes wie keine andere Filmsparte. So gab es etwa US-Versionen von Ein Käfig voller Narren, Drei Männer und ein Baby, Mein Vater der Held, Die Besucher, Dinner für Spinner und "LOL". Demnächst wird drüben Willkommen bei den Sch’tis anlaufen. Doch es funktioniert auch anders herum: die "ZBF"-Regisseure Eric Toledano und Olivier Nakache nennen ausdrücklich die turbulente Achtzigerjahrekomödie Die Glücksritter von John Landis mit Eddie Murphy und Dan Aykroyd als ihre Inspiration: "Wir haben ein Buddy-Movie mit einem schwarzen und einem weißen Typen gemacht, das ist ein Modell Amerikas."

Dieser Text stammt aus dem Magazin epd-film, erschienen im Heft 7/12, und wird hier mit freundlicher Genehmigung wiedergegeben.