Dem Bösen auf der Spur

NDR/Morris Mac Matzen
Carolin Emcke, Nikolaus Schneider, Susanne Preusker, Frank Urbaniok und Johannes Kneifel am Donnerstagabend in der ARD bei Beckmann.
Dem Bösen auf der Spur
Bei Beckmann beleuchten Opfer, Täter und Experten das "Böse". Das Thema ist spannend, facettenreich und nahezu uferlos, wie der Verlauf der Sendung zeigt. Unter den Gästen sind der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider und der Theologiestudent Johannes Kneifel, der als Jugendlicher einen Mann zu Tode geprügelt hat. Zusammen mit zwei Psychologen und einer Kriegsreporterin versuchen sie zu erklären, woher das Böse kommt - und wie man es eindämmen kann.
02.11.2012
Felix Ehring

Zunächst steht ein Möbel im Mittelpunkt von Reinhold Beckmanns Sendung am Donnerstagabend. Denn im Beckmann-Studio steht nicht mehr der gewohnte dunkle Tisch, sondern eine Glas-Holz-Kombination mit seltsamer Form und objektiv hässlichen Bürosesseln. Das Thema des Abends ist auch nicht gerade gefällig: "Die Natur des Bösen – kann jeder Mensch zum Täter werden?" Und inwiefern wird man zum Täter gemacht?

Auf diese Fragen sind kaum endgültige Antworten zu finden. Was der Runde aber gelingt, sind 75 intensive Minuten, in denen zwei Gefängnispsychiater und ein verurteilter Gewalttäter im Mittelpunkt stehen. Auch der EKD-Ratsvrsitzende Nikolaus Schneider ist eingeladen, und es zeigt sich, dass eine theologisch-religiöse Perspektive bei diesem Thema im Extrembereich menschlicher Erfahrung gut tut.

Der Mensch ist nicht "komplett vermessbar"

"Das Böse" – Gibt es das eigentlich, lässt sich das definieren? Beckmanns Gäste sind für einen pragmatischen Zugang. Wichtig sei die Frage, ob und inwiefern eine Person gefährlich sei. Nikolaus Schneider gibt zu bedenken: "Man kann den Mensch nicht komplett vermessen." Es bleibe immer etwas offen, unklar. Damit müsse man leben.

###mehr-artikel###Beckmann tut gut daran, erst ein Opfer von Gewalt zu Wort kommen zu lassen. Die ehemalige Gefängnispsychologin Susanne Preusker wurde 2009 von einem Häftling als Geisel genommen und vergewaltigt. Sie berichtet, dass der Täter durchaus gewusst habe, was er ihr antue. Er habe die Folgen für Preusker und ihr Umfeld in Kauf genommen. Deshalb könne sie dem Täter nicht verzeihen. Nikolaus Schneider äußert Verständnis dafür, Vergebung zwischen Menschen könne man nicht einfordern.

Ein Täter ist ebenfalls zu Gast: Johannes Kneifel, ehemaliger Neonazi, der im Alter von 17 Jahren und gemeinsam mit einem anderen Rechtsradikalen einen Mann zu Tode prügelte, dann im Jugendknast saß, aus der Sozialtherapie flog und sich später doch änderte. Mittlerweile ist Kneifel Theologiestudent und Gast in TV-Gesprächsrunden.

Beckmann konfrontiert den Täter

Kneifel – ein böser Mensch? Er selbst sagt, er sei ein Stück weit "abgerichtet" worden. Falsche Freunde, Gewalt in der Nazigruppe, viel Alkohol, und schwache Eltern, die ihm keinen Halt gaben. Beckmann konfrontiert Kneifel mit Einzelheiten der Tat. Er fragt hier gut nach, warum Kneifel und sein Mittäter auf das Opfer Peter Deutschmann losgingen, der als friedlicher Mensch bekannt war. Kneifel versucht mit Bedacht eine Erklärung. Das Opfer sei für ihn ein Feindbild gewesen, ein Linker.

###mehr-links###Erst später fand der einst Rechtsextreme den Weg aus der Gewalt, im Gefängnisgottesdienst. Durch die Predigt des Pastors habe er gemerkt, dass Gott zu ihm spreche und ihm eine neue Chance gebe, wenn er sein altes Leben hinter sich lasse. Durch das Gebet habe er Vergebung erfahren. Die anderen Gäste fallen Kneifel nun nicht naiv um den Hals. Die Psychiaterin Preusker bleibt skeptisch. Schneider sagt, Glaube und Spiritualität könnten die Menschen verändern, sie zu liebenden Menschen machen und die Gewaltpotentiale und -phantasien einhegen.

Was das Böse ausmacht

Kneifel sei eine absolute Ausnahme, sagt der Psychiater Frank Urbaniok, der Erhellendes auf der Suche nach dem Bösen beiträgt. Ihm zufolge gibt es durchaus Menschen, die wenig empfinden, stark nach eigenem Nutzen entscheiden und nicht danach, ob etwas in Ordnung ist. Das klingt ziemlich böse, oder eben gefährlich, wie man will.

Kann man Mitgefühl antrainieren und vermitteln? Preusker glaubt nicht daran, aber es gebe diese Ansätze. Man könne üben, Folgen zu erklären und damit ein Gespür zu vermitteln, was falsch ist. Richtig sei aber auch, dass es emotional arme Menschen gebe, die kaum empfinden könnten.

Preusker meint, es gebe durchaus eine Faszination und einen Spaß daran, sich im "Grenzbereich menschlichen Seins" zu bewegen, die Macht des Bösen zu spüren. Nun ist noch einmal Schneider gefragt. Was sage der Theologe dazu? Der Theologe sage: "Lass das!", meint Schneider. Über diese entwaffnend kurze und bewusst etwas simple Antwort kann die Runde kurz vorm Ende das erste Mal lachen. Auch mal schön bei diesem brettharten und komplizierten Thema, das Stoff bietet für mindestens drei Sendungen und deshalb immer mal wieder auszufransen droht. Man muss schon sehr wach und konzentriert sein, um zu nachtschlafender Zeit dranzubleiben.