Türkischer EU-Beitritt: Hoffnung durch Hollande

Foto: photocase / Kay Fochtmann
Blick auf Istanbul
Türkischer EU-Beitritt: Hoffnung durch Hollande
In den Beitrittsgesprächen zwischen EU und Türkei herrschte lange Zeit Frust. Mit Nicolas Sarkozy hat nun ein prominenter Beitrittsbremser die Bühne verlassen. Hollande könnte neuen Schwung bringen - allerdings gibt es weitere Problemherde.
08.06.2012
epd
Isabel Guzmán

Wenn es um einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ging, griff Nicolas Sarkozy seinerzeit gerne zu raffinierter Rhetorik. "Die Türkei hat in der Welt eine großartige Rolle zu spielen", sagte der frühere französische Präsident etwa im Dezember 2011 der Zeitung "Le Monde". "Die eines Bindeglieds zwischen Ost und West. Liegt es in ihrem Interesse, diese Brückenfunktion aufzugeben und sich einer Seite anzuschließen? Ich glaube, das wäre eine Schwächung."

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Mit Sarkozy hat einer der wichtigsten Kritiker eines Türkei-Beitritts die politische Bühne Frankreichs und Europas verlassen. Sein Nachfolger François Hollande liegt in seinen Positionen deutlich näher an Ankara. Gespannt warten Beobachter, ob nun wieder Bewegung in die Beitrittsverhandlungen kommt. Dort sieht es düster aus: Von 35 Verhandlungskapiteln sind 18 blockiert und erst ein einziges abgeschlossen.

Mit Hollande könnte es tatsächlich in kleinen Schritten vorwärts gehen, meinen Diplomaten in Brüssel und in Ankara. Allerdings: nicht sofort. Zum einen hält sich Hollande im Moment zurück, weil er die Wahlen zur Nationalversammlung Mitte Juni abwartet. Zum anderen könnten die nächsten Monate in Sachen EU-Türkei-Beziehungen turbulent werden. Zypern, bisher neben Frankreich das zweite Blockadeland, übernimmt ab 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Präsidentschaft.

Absurdes Theater um Zypern

Zwischen Ankara und Nikosia spielt sich seit vielen Jahren ein absurdes Theater ab: Die Türkei erkennt Zypern nicht als Staat an und hat deshalb Häfen und Flughäfen für die Zyprer gesperrt. Sie will keine Zollunion mit dem Zwergstaat und auch nicht bei einem Zypern-geführten EU-Ministerrat mit am Tisch sitzen. Man werde die Verhandlungen boykottieren, hatten der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und andere Regierungsvertreter schon gepoltert.

"Augen zu und durch" lautet deshalb die Sechsmonats-Devise in der EU-Kommission. Die Behörde will den Prozess in jedem Fall wieder ankurbeln - zunächst auf technischer Ebene, fernab hochrangiger Regierungstreffen. "Wir müssen verhindern, dass die Türkei sich als ewiger Kandidat fühlt", warnt ein EU-Beamter. Mitbewerber Kroatien wird bereits 2013 EU-Mitglied. Auch Island, Serbien und Montenegro machen schnellere Fortschritte als das Bosporus-Land.

Die EU-Kommission hat daher eine Initiative namens "Positive Agenda" begonnen. Sie besteht aus Arbeitsgruppen, die verschiedene Reform-Möglichkeiten ausloten und Gespräche auf Ministerebene vorbereiten. Es geht um Themen wie Einwanderung, Visa-Vorschriften, Energie und das wichtige Gebiet Grundrechte und Justiz.

Reformen sind im Gange

Keinesfalls sei ein Beitritt in den nächsten fünf Jahren zu erwarten, heißt es aus der Behörde. Immerhin habe der Beitrittsprozess per se schon einen Wert, weil er zu wichtigen Reformen in der Türkei geführt habe und führen werde. Das sehe auch die Regierung in Ankara so, selbst wenn sie es öffentlich nicht immer zugebe.

Ähnlich argumentiert Amanda Paul, Kolumnistin bei der regierungsnahen türkischen Zeitung "Today´s Zaman". "Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklungen über die letzten zehn Jahre sind nicht zu leugnen", schreibt sie. "2004 hat die Türkei noch Entwicklungshilfe bekommen. Im Jahr 2011 hat sie Hilfen in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar an über 100 Länder gegeben. Für viele Reformstaaten hat das Land inzwischen eine Vorbildfunktion. Ich bezweifle, dass die Türkei dies ohne den EU-Faktor erreicht hätte."

Paul pariert auch das Argument, das man von Sarkozy und anderen Beitrittsgegnern häufiger hören konnte: In wirtschaftlichen Krisenzeiten sei der Beitritt der armen Türkei keine gute Idee. "Die Türken sind selbstbewusster geworden", meint dagegen die Journalistin. "Unsere Wirtschaft wächst, während die EU von Schulden geplagt ist." Das Interesse ihrer Landsleute an einem Beitritt sei daher gesunken - es bleibe abzuwarten, ob es wieder dauerhaft erwachen werde.