Was haben Joggen und Beten gemeinsam?

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Was haben Joggen und Beten gemeinsam?
Stefan Schneider von der Deutschen Sporthochschule hat untersucht, wie sich Sport und Gebete auf den Körper auswirken – mit überraschenden Erkenntnissen. Im Interview erklärt er, warum Beten nicht nur dem Geist, sondern auch dem Körper guttut.
05.06.2012
evangelisch.de

Herr Schneider, Sie haben herausgefunden, dass Beten ähnlich wie ein Jogginglauf ein Stresskiller ist. Wie sind Sie auf diesen Zusammenhang von Sport und Beten gekommen?

Stefan Schneider: Ich bin in beiden Wissenschaftsbereichen beheimatet, habe in Sportwissenschaft und Theologie promoviert. Da liegt es auf der Hand, mit der Zeit auch Gemeinsamkeiten zu entdecken, wobei sich beide Disziplinen eigentlich völlig entgegengesetzt gegenüberstehen und erst einmal nichts miteinander zu tun haben. Im Sportbereich lässt sich gerade eine gewisse Spiritualisierung beobachten. Der "Laufpapst" Ulrich Strunz hat das so formuliert: "Lauf und Du wirst ein neuer Mensch." Da werden stark religiöse und theologische Begriffe bedient. Von der Meditation weiß man, dass sie entspannend wirkt. Das war für mich der Auslöser, zu untersuchen: Was passiert überhaupt beim Gebet im Menschen?

Entspannt Beten wirklich?

Schneider: Man kann nicht sagen: "Bete und Du entspannst Dich." So wie sich auch nicht sagen lässt: "Treibe Sport und Dein Geist wird gesünder und Du entspannst Dich." Ausschlaggebend ist immer, wie der Einzelne sich selbst einbringt. Wer betet oder Sport macht, muss das immer auch aus einem inneren Bedürfnis heraus tun.

Wie haben Sie Ihre Studie durchgeführt?

Für die Untersuchung haben wir einerseits Persönlichkeitsfragebögen benutzt. Sie setzen sich mit der Frage auseinander, wie jemand seine eigene Situation in Bezug auf Stress, auf körperliche, psychische und mentale Gesundheit bewertet. Außerdem haben wir die Herzfrequenz der Teilnehmer untersucht und Speichelproben für Cortisolanalysen entnommen. Cortisol ist ein Stresshormon, das der Körper ausschüttet und welches sich leicht im Speichel nachmessen lässt. Zu guter Letzt haben wir uns auch Gehirnaktivität der Betenden angeschaut.

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Welche Wirkung hat das Beten nun ganz konkret im menschlichen Körper?

Schneider: Das ist sehr schwierig zu sagen, weil wir letzten Endes lediglich eine Probandengröße von 20 Leuten hatten. Unser Ziel war es, zu zeigen: Da tut sich tatsächlich was. Es gibt eine riesige Bandbreite an Gebetsvariationen: Sie reicht vom Gebet im stillen Kämmerchen, wie es im Pietismus sicherlich häufig vorkommt, bis hin zum aktiven Tanzen beim Lobpreis. Das Ergebnis: Nach einem 20- bis 25-minütigen Gebet fühlten sich die Teilnehmer körperlich gesünder. Uns ist klar, dass man in rund 20 Minuten nicht wirklich gesünder wird. Aber die Eigenwahrnehmung ist so, dass man sich als gesünder einstuft. Wer betet, kriegt also nicht nur den Kopf frei. Beten hat auch einen körperlichen Einfluss: Unseren Teilnehmern ging es danach deutlich besser.

Und wie lange muss man beten, um sich zu entspannen?

Schneider: Wir wissen es nicht. Vielleicht wirkt auch ein Stoßgebet? Uns war wichtig, Betende und Sportler vergleichen zu können, um zu erfahren, welche Auswirkungen Beten und Sport auf den Körper haben. Deswegen sollten die Betenden ähnlich lange im Gebet verweilen, wie Sportler sich körperlich bewegen. Weil viele Menschen 20 bis 30 Minuten Sport treiben, um körperlich und geistig fit und gesund zu bleiben, hatten wir beschlossen, dass dies auch die Dauer des Gebetes sein sollte.

Spielt beim Beten die Konfession eine Rolle?

Schneider: Die Konfession ist egal, glaube ich. Persönlich hatte ich den Eindruck, dass Katholiken eher als Protestanten bereit waren, an dieser Studie teilzunehmen. Das mag an der Körperlichkeit liegen. Bei den Katholiken spielt das Ritual eine größere Rolle. Die Protestanten sind mehr auf das Wort Gottes getrimmt, bei ihnen steht die Schrift im Mittelpunkt. Bei den Katholiken steht vielmehr rituelles Handeln mit körperlichen Aspekten im Vordergrund. Das fängt beim Rosenkranzbeten an: Man hält den Rosenkranz und bewegt ihn durch die Hand – das ist etwas Körperliches.

Ist das Beten vergleichbar mit Meditation?

Schneider: Trotz vieler Ähnlichkeiten stellen wir fest, dass es einen wesentlichen Unterschied bei der Hirnaktivität gibt: Beim Beten kommt es nicht notwendigerweise zu einem Entspannungszustand, wie man ihn aus der Meditation kennt. Das war für uns zuerst sehr überraschend. Allerdings wollen Menschen bei der Meditation abschalten, frei werden von allem, was sie umgibt. Das Gebet hingegen ist häufig auch ein Kommunikationsprozess mit Gott, mit sich selbst, mit seinem Gewissen. Jeder wird das anders benennen. Ich glaube, dass dieser Kommunikationsprozess gewisse zentrale Ressourcen benötigt, sodass es nicht zu einem Trancezustand kommt, wie man ihn vielleicht findet in der Meditation vorfindet.

Wir brauchen eine Balance zwischen Spannung und Entspannung: Wer körperlich arbeitet, sollte abends meditieren oder beten. Wer den ganzen Tag sitzt, sollte abends Sport machen.

Wie sollte Ihrer Ansicht nach die Kirche reagieren? Sollten Ihre Untersuchungsergebnisse Einfluss auf die Liturgie eines Gottesdienstes nehmen?

Schneider: Nein. Ausschlaggebend ist, wie sich der Einzelne auf die Situation einlässt. Heute sollten wir uns wieder stärker auf den Heiligen Benedikt beziehen, auf sein "Ora et labora", auf das Arbeiten und Beten. Führt man sich die Zeit Benedikts vor Augen, wird klar, dass Arbeit damals körperliche Arbeit war. Genau das finden wir aber heute in unserer Gesellschaft immer weniger.

Viele Menschen bewegen sich heutzutage eindeutig zu wenig. Dafür sitzen sie mehr. Der Bewegungsmangel hat Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabeteserkrankungen und eine zunehmende Dickleibigkeit vieler Menschen zur Folge. Ich glaube, wenn jemand den ganzen Tag gearbeitet und gesessen hat, braucht er am Abend nicht noch ein Gebet oder eine Meditation zur Entspannung, sondern vielmehr körperliche Bewegung. Anders sieht es hingegen bei Menschen aus, die den ganzen Tag über körperlich sehr aktiv sind. Ich glaube, sie brauchen am Abend nicht zusätzlichen Sport zur Entspannung, sondern eher Ruhephasen, wie sie im Gebet oder in der Meditation gegeben sind. Unser Körper, unsere Seele und unser Geist brauchen eine Balance zwischen Spannung und Entspannung, sowohl auf einer physischen, als auch auf einer psychischen Ebene.

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Ich würde mir wünschen, dass diese Balance mehr in unseren täglichen Alltag einfließt. Dass etwa auf Abendveranstaltungen oder in Gottesdiensten weniger gesessen wird, wenn die meisten Menschen sowieso schon den ganzen Tag gesessen haben. Dass man versucht, aktiv was zu gestalten. Warum gibt es nicht eine kirchliche Laufgruppe, einen kirchlichen Fußballverein oder einfach mal ein gemütliches Kicken zusammen oder ein Volleyballspiel? Bewegung muss gefördert werden, weil der Mensch beides ist: Körper und Geist. Während der Geist in unserem Alltag durch unsere Tätigkeiten, die wir ausführen, sehr stark gefordert wird, geht der Körper meistens den Bach runter, wird vernachlässigt. Die Kirchen müssten es schaffen, diese Balance von Körper und Geist wieder zu erschaffen und hinzukriegen.