Frankfurt a.M. (epd). Der Passauer Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo empfiehlt den Kirchen, das eigene Machtpotenzial stärker zu reflektieren. Beim Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt zeige sich ein mangelndes Selbstverständnis als politische Institution, sagte Hidalgo dem Evangelischen Pressedienst (epd). Durch die Trennung von Kirche und Staat habe sich in den Kirchen das Selbstbild verfestigt, keine politischen Institutionen mehr zu sein. In der Kirche werde Macht zudem oft nicht thematisiert oder sei negativ konnotiert.
Dieses Selbstverständnis sei jedoch trügerisch, sagte der Professor für Politikwissenschaft. „Wenn man Macht nicht als institutionelle Zwangsgewalt, sondern als Fähigkeit zu kollektivem Handeln versteht, ist die Kirche selbstverständlich eine politische Institution.“ Sie sei Teil der Zivilgesellschaft und verfüge durch die Menge ihrer Mitglieder über ein erhebliches gesellschaftliches Einfluss- und Gestaltungspotenzial. Wann immer sie ihre Stimme erhebe, übe die Kirche Einfluss auf gesellschaftliche Fragen aus.
#Langfristig Schaden für die Kirche erhöht
Diese politische Kraft bringe aber auch Verantwortung für die Kehrseite der Macht mit sich - wenn sie etwa dazu benutzt werde, Aufklärung oder Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen zu blockieren. „Der Versuch, den Missbrauch und seine Vertuschung nicht transparent werden zu lassen, war politisch gesehen genau die falsche Strategie“, sagte Hidalgo. „Kurzfristig hat man versucht, Schaden von der politischen Institution Kirche abzuwenden, hat aber langfristig genau das Gegenteil erreicht, nämlich den Schaden erhöht.“
Der Prozess der Machtreflexion in der Kirche müsse alle Ebenen betreffen. „Da kann man niemanden ausnehmen“, sagte Hidalgo. Dafür trügen die Laien ebenso wie das Kirchenparlament oder die offiziellen Repräsentanten Verantwortung. Das Thema „Kirche und Macht“ ist Schwerpunktthema auf der Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von Sonntag bis Mittwoch in Dresden.
#Schutz für Straftäter ist Machtmissbrauch
Macht definiert Hidalgo nicht primär als Herrschaft, sondern als die Fähigkeit eines Kollektivs, gemeinsam zu handeln, zu gestalten und zu beeinflussen. Diese Form der Macht sei zunächst weder per se gut noch schlecht. Erst im Nachhinein erkenne man, wann ein Machtmissbrauch vorliege.
Hidalgo führte aus, dass Macht eine lebendige Basis benötige. Ohne die Unterstützung der Vielen, ohne die kollektive Mitwirkung könnten auch mächtige Institutionen nicht bestehen. Eine Möglichkeit des Machtmissbrauchs entstehe etwa durch Unterlassen.
Wenn ein Kollektiv, das Macht besitze, diese nicht nutze, um Veränderungen herbeizuführen oder Fehlentwicklungen zu korrigieren, verzichte es auf seine Verantwortung. Das bewusste Schützen von Straftätern innerhalb der Kirche sei daher ein gezielter Gebrauch von Macht, um Strafverfolgung zu verhindern. Gerade das sei im Sinne seines Machtbegriffs ein klarer Machtmissbrauch der Kirche.



